Die Golden Ray ist ein zweihundert Meter langes Schiff der Reederei Hyundai Glovis. Genauer gesagt ein sogenanntes RoRo-Schiff (Roll on, Roll off) der Kategorie Autotransporter. Ihre Kiellegung fand am 23. Dezember 2015 statt, der Stapellauf am 26. August 2016. Fertiggestellt war sie am 5. Dezember 2017. Ihren zweiten Geburtstag konnte sie schon nicht mehr feiern: In der Nacht zum 8. September 2019 kenterte sie in der Bucht von St. Simons Sound auf dem Weg zum Hafen von Baltimore. An Bord befanden sich 24 Personen – und 4.200 Kraftfahrzeuge.
Und genau an dieser Stelle kommt das mit der Bergung beauftragte Havariekommando Unified Command und ihr gewaltiger Schwimmkran VP10000 ins Spiel. Denn als Autotransporter-Kapitän Jonathan Tennant und der auf der Brücke anwesende Lotse sich auf Grund eines Feuers an Bord dazu entschieden die Golden Ray kontrolliert auf Grund zu setzen, ahnte noch niemand, dass sie von dort nicht mehr in einem Stück zurückkommen würde.
Das Havariekommando entschied das Wrack Stück für Stück auseinanderzuschneiden und die insgesamt acht Sektoren einzeln abzutransportieren. Die rund 900 Tonnen Treibstoff ließen sich zum Glück problemlos aus dem Rumpf des Schiffs abpumpen. Zudem konnte das Unternehmen bereits 3.800 der insgesamt 4.200 Fahrzeuge herausholen. Die 400 noch immer im Rumpf befindlichen Autos sind so ineinander verkeilt, dass sie auch während der Teilung des Schiffs an Bord bleiben mussten.
Nachdem der größte Schwimmkran der USA am Havariestandort angekommen ist, installierte das Havariekommando einen 1,6 Kilometer langen Umwelt-Sicherheits-Ring, bestehend aus schwimmenden Ölbarrieren, rund um das Wrack. Der Schwimmkran wiegt 7.500 Tonnen, besteht aus zwei Schwimmkörpern und kann theoretisch bis zu 10.000 Tonnen anheben. Da die einzelnen Sektoren rund 5.000 Tonnen wiegen, können an dieser Stelle keinerlei Problem auftauchen. Es sei denn, eines der extra für solche Einsätze gefertigten Polyethylen-Seile reißt. Doch davon geht niemand aus.
Die Teilung selbst findet mit 122 Meter langen Ankerketten statt. Jedes Kettenglied ist 46 Zentimeter lang und bringt 36 Kilogramm auf die Waage. In Summe wiegt allein das "Sägeblatt" demnach fast zehn Tonnen. Die Ankerketten betreibt das Havarieunternehmen mit gewaltigen Winden, die mit jeweils zwei Motoren ausgestattet sind. Fällt einer aus, kann der andere im langsameren Tempo weiterarbeiten. Der Sägevorgang findet stets von unten nach oben statt, da auf diese Weise das Gewicht des Schiffs beim Sägen mithilft.
Sobald ein Sektor nach 24 Stunden vom Rest des Schiffs unter gewaltigen Sägegeräuschen getrennt ist, hebt ihn das Havarie-Team mit den Spezialseilen über die beiden 73 Meter hohen Metalltürme aus dem Wasser. Anschließend fährt der Lastkahn Julie B unter das angehobene Schiffs-Segment, nimmt ihn auf und bringt ihn zum Hafen von Brunswick. Von dort startet die Weiterreise gen Recyclingzentrum in Louisiana. Bis zur Hurricane-Saison, sprich bis zum 1. Juni 2021, sollen die Arbeiten abgeschlossen sein.