Da muss noch was sein, irgendwo tief unter den Werkshallen in Sant‘Agata. Eine Folterkammer vielleicht, ein Kerker oder ein Labor, etwas streng geheimes, wo sie aus rechtschaffenden Lamborghini wahrhaftige Bestien züchten. Jetzt ist es wieder passiert: 600 Aventador hat man dorthin verschleppt, um sie abzurichten, anzustacheln und danach wieder auf die Menschheit loszulassen. Entzähmt, beflügelt und gebrandmarkt als SV – dem Auto nicht mehr ganz von dieser Welt.
Seine bloße Anwesenheit lässt das Blut in den Adern gefrieren. Schon wie er vor dir liegt – keine Eins-Zwanzig hoch, aber über zwei Meter breit – und zu dir hochstiert, als wolle er sagen: „Was? Du willst mich fahren? Dann komm mal her Du Würstchen!" Selten war ein Auftritt so respekteinflößend. Und selten war ein Name so dermaßen Programm. Lesen wir kurz mal drüber – zum Runterkommen oder Antörnen, ganz wie es beliebt: Lamborghini Aventador dürfte allen klar sein. V12-Faustkeil, eher einer von den Bösen. LP? Longitudinale posteriore! Ins Allgemeine übersetzt: längs hinten; konkret: der Motor. 750-4 steht nacheinander für die PS sowie die Anzahl der Antriebsräder, und SV für superveloce, was übersetzt super schnell bedeutet und die Sache noch immer ziemlich auf den Punkt bringt.
In 2,8 Sekunden durchbricht der Lamborghini Aventador SV die 100-km/h-Marke, nach 8,6 Sekunden sind 200 fällig, bis 300 vergehen gerade mal 24, Schluss ist erst jenseits von 350 km/h. Keine Frage, super schnell ist er damit, superviel schneller als der – in Anführungszeichen – normale Aventador ist er nicht. Doch erstens geht es beim SV nicht um Längsdynamik. Nicht ausschließlich, nicht primär. Und zweitens ist er kein Auto, das sich relativieren lässt. Er ist absolut. 600 Stück werden gebaut, jeder kostet 389.356 Euro, nehmen Sie einen, oder lassen sie’s sein. Übrig wird keiner bleiben.
Und auch wenn es teurere gibt als ihn, reichlich exklusivere, sogar schnellere, der Kick hier ist ultimativ. Sobald die Fahrertür des Lamborghini Aventador SV aufschert, tut es gut, die ganzen Zahlen einfach auszublenden. Die Zahlen und viele andere Dinge am besten gleich mit: die vier Mitten-Endrohre, die der V12 in nacktem Alu durch den martialischen Diffusor reckt, die riesigen Kühlschächte, und die Horrorgeschichten, die SV-Veteranen gern von seinen Vorgänger erzählen. Sie handeln von Männern, von Hinterlist, von knappem Entrinnen, enden manchmal tragisch, aber danach wird immer schmutzig gelacht.
Drinnen finden sich dann die Indizien für die 50 Kilogramm Gewichtsverlust: kaum Dämmung, die Fußmatten sind zu labbrigen Aluplatten mit Antirutschgummierung degeneriert, Infotainment gibt es nur auf ausdrücklichen Wunsch und alles um einen herum ist aus CfK gebacken: Türverkleidungen, die harten aber großartigen Sitze, das Monocoque sowieso. Der Instrumenten-TFT leuchtet in grellem gelb, aus der Lenksäule wuchern die Schaltsensen, vom Lenkradkranz flaumt Alcantara, was jedoch in keinster Weise als Schmusekurs gemeint sein soll. Die vereinzelten Audi-Komponenten hemmen ganz kurz die Adrenalin-Zufuhr, die rote Schutzklappe über dem Startknopf feuert sie wieder an. Klick. Klack. Erst jault die Zündanlage, dann explodiert der Vulkan zunächst nur mechanisch vor sich hin. Mit Betonung auf zunächst.
Der 6,5-Liter-Sauger klingt wie er ist. Authentisch, unverfälscht, ein bisschen urtümlich. In seiner Liga wird Leistung heute normalerweise mit Wachstumsbeschleunigern erzeugt: mit E-Motoren oder zumindest mit Turboladern, er hier züchtet sie noch ganz natürlich aus Hubraum und Drehzahl. Wobei das Wort „züchten" den Entstehungsprozess schon etwas verharmlost. Bereits im zahmsten der drei Fahrmodi fällt er wie besessen über den Lamborghini Aventador SV her, frisst einen Gang nach dem anderen in sich hinein, dreht höher als bisher, dazu fleischiger und impulsiver als der 50 PS schwächere LP 700-4.