VW in der Krise: Super-Baukasten wird nochmals verschoben

1:00 Min. • 12.07.2021

Ist das die Zukunft der Mobilität in Innenstädten?

Volkswagen muss den Start mehrerer Elektro-Modelle nochmals um mehr als ein Jahr nach hinten verschieben – darunter sind der elektrische Golf 9 / ID.Golf oder der SUV-Nachfolger des ID.4. Beide Elektroautos sollten ursprünglich bereits 2026 auf der neuen Scalable Systems Platform (SSP) aufbauen. Die ersten Modelle aus VWs Super-Baukasten werden nun aber wohl frühestens 2029 erscheinen. Bis dahin wird der aktuell genutzte Modulare Elektro-Baukasten (MEB) ein Upgrade zum MEB+ erhalten.

Die Idee des einheitlichen Mega-Baukastens SSP stammt noch aus der Zeit von Herbert Diess. Er verkündete auch das ursprüngliche Ziel, bereits 2026 mit den ersten SSP-Modellen auf den Markt zu kommen. Im Jahr 2021 mussten die Wolfsburger die selbst gesetzte Deadline um zwei Jahre nach hinten auf 2028 verschieben. Nun sind es weitere 15 Monate und das Jahr 2029. Hauptgrund für die erneuten Verzögerungen sind Software-Probleme aus dem eigenen Hause Cariad.

Gemäß dem Pariser Abkommen plant der Volkswagen-Konzern, seinen CO₂-Fußabdruck pro Auto über den gesamten Lebenszyklus bis 2030 im Vergleich zu 2018 um 30 Prozent zu reduzieren. Im selben Zeitraum wird erwartet, dass der Anteil der Verkäufe von Elektrofahrzeugen auf rund 50 Prozent steigt. Bis 2040 sollen nahezu 100 Prozent der Neuwagen (in den Hauptmärkten) emissionsfrei sein. Spätestens 2050 will VW vollständig klimaneutral sein. VW rechnet damit, dass sich Umsatz- und Profit zunächst von Autos mit Verbrennungsmotor (ICEs) hin zu batterieelektrischen Fahrzeugen (BEVs) und später stärker in Richtung Software und Dienstleistungen verschieben.

Noch 2021 ging VW davon aus, dass der Verbrenner-Markt in den folgenden zehn Jahren um über 20 Prozent zurückgehen wird, während der Absatz von Elektrofahrzeugen schnell wachsen und Verbrennerfahrzeuge als führende Technologie überholen wird. Derzeit leiden allerdings alle Elektrowerke wegen mangelnder E-Auto-Nachfrage unter zu geringer Auslastung.

Nach wie vor sieht der Konzern die größte Entwicklungschance im Umsatz mit Software. Allerdings kommt die eigene Software-Tochter Cariad längst nicht auf einen grünen Zweig. Bis 2030 wollte Volkswagen ursrpünglich 1,2 Billionen Euro mit Software-Produkten umsetzen – zusätzlich zum erwarteten Geschäft mit BEVs und ICEs. Das wäre rund ein Drittel des gesamten Mobilitätsmarktes. Mittlerweile erkaufen sich VW, Audi oder Porsche externe Software-Lösungen. Sogar ein Joint Venture mit Rivian ist mittlerweile entstanden.

Technisch will Volkswagen mit dem SSP massiv auf Vereinheitlichung setzen: Zunächst soll aus der Vielzahl der Architekturen, die VW bislang als Baukästen bezeichnet hat, nur mehr eine werden, die bei allen Marken zum Einsatz kommt. Die Pkw-Marken fasst VW zu drei Gruppen zusammen: Volumen (VW, Seat, Skoda), Premium (Audi, Bentley, Lamborghini, Ducati) und Sport (Porsche, Rimac-Bugatti).

Die neue Architektur nennt der Konzern SSP (Scalable Systems Platform). VW selbst bezeichnet sie als Mechatronics-Plattform der nächsten Generation. Modelle aller Marken und Segmente können zukünftig auf der SSP gebaut werden – über die Laufzeit sind das mehr als 40 Millionen Konzernfahrzeuge. Zum Vergleich: Bislang baute VW Verbrenner auf Basis von drei Baukästen: MQB (Volumen-Segment), MLB (Audi ab A4) und MSB (für sportlichere Fahrzeuge), 80 Prozent der mehr als 10 Millionen Autos Jahresproduktion standen zuletzt auf dem MQB.

Die Verbrenner-Baukästen löst VW nach und nach ab – mit den Elektroauto-Architekturen MEB (Modularer Elektrobaukasten für Segmente ähnlich derer des MQB) und PPE (Premium Plattform Electric für Segmente ähnlich wie MLB und MSB). Die SSP wiederum wird perspektivische beide E-Architekturen ersetzen.

Die SSP ist laut VW auch der Schlüssel für das autonome Fahren. Angst vor dem Einheitsauto muss man laut dem Vielmarken-Konzern nicht haben. "Durch die Kombination verschiedener Module mit unterschiedlichen Plattformgrößen haben die Marken des Konzerns weiterhin eine Vielzahl an Möglichkeiten, sich voneinander zu differenzieren", so VW.

Die Software-Architektur von Cariad umfasst ein skalierbares Betriebssystem (VW.OS) sowie eine Cloudanbindung (VW.AC). Bis 2025 wollte VW den Anteil selbst entwickelter Software im Fahrzeug von 10 Prozent auf 60 Prozent steigern. Strategische Unternehmensbeteiligungen sowie Partnerschaften sollen den Rest abdecken.

Die neue Software soll nicht nur Over-the-air-Updates und das Zubuchen von Funktionen auch nach dem Kauf zum Alltag machen, sondern auch das autonome Fahren nach Level 4. Auch das soll sich dann zeitlich befristet hinzubuchen lassen – für beispielsweise 7 Euro die Stunde. Der damalige CEO von Cariad, Dirk Hilgenberg, glaubte, dass Software fürs autonome Fahren bis 2030 eine bedeutende Einnahmequelle für den Konzern werden wird. Die neue einheitliche 2.0 Plattform soll den Weg "für ein ganz neues digitales Ökosystem und damit auch für neue datenbasierte Geschäftsmodelle" ebnen. Dabei helfen soll die Auswertung eines umfangreichen Pools an Echtzeitdaten der voll vernetzten, autonomen Fahrzeuge.

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