Nanobeschichtung von Actnano: Revolution für die Autoindustrie

36 Sek. • 27.07.2022

Darum hält actnano seine Technologie für lebensrettend

Wer mit Taymur Ahmad spricht, merkt schnell: Der Mann ist auf einer Mission. Er kann eindringlich schildern, mit welch gesundheitsgefährdenden Methoden die Halbleiter-Branche ihre Chips wasserfest zu machen versucht. Und erzählt, wie ehemalige junge Kollegen in der Produktion binnen Jahren graue Haare bekamen. Bei Philips wurde ihm in internationaler Produktionsverantwortung bewusst, wie gesundheits- und umweltschädlich die herkömmlichen Beschichtungen für Platinen sind. Natürlich trügen die Menschen Mundschutz und Handschuhe, was aber die Wirkung der Substanzen, die im Einsatz sind, offenbar nur mildert. Für seinen damaligen Arbeitgeber wurde er nach solchen Beobachtungen durchaus lästig – weil er das Thema nicht mehr aus dem Fokus lassen wollte und permanent auf die Agenda setzte.

Offenbar fand er nicht genug Gehör, denn 2012 gründet er Actnano. Das Produkt, das das Unternehmen entwickelte, heißt Nanoguard. Es ist eine Flüssigkeit streng geheimer Zusammensetzung; trotzdem muss sie an Kunden verkauft und geliefert werden. Denn sie dient "nur" der Beschichtung von elektronischen Bauteilen und muss zum Produzenten – wo dann auch die Mitarbeiter profitieren: Nanoguard ist frei von Fluor und in keiner Weise gefährlich für Menschen, verspricht Ahmad. Zwar ist die Beschichtung selbst als Produkt teurer, aber das Bauteil wird mit Nanoguard günstiger zu produzieren.

Elektronik und Platinen sind nicht nur in jedem Fahrzeug inzwischen in großer Zahl verbaut. Zum Schutz vor Korrosion lackieren die Hersteller sie fast komplett. Und genau da setzt die Nanobeschichtung aus Boston an: Herkömmliche Schutzbeschichtungen sind nicht nur ungut zum Verarbeiten, sondern müssen wesentliche Umfänge ungeschützt lassen, weil die sonst nicht mehr funktionieren würden. Dazu gehören etwa Antennen, weil sonst das Signal zu schwach würde und die Steckverbindung, da sonst weder Strom noch Informationen fließen könnten. Und der Prozessor, weil er zu heiß würde.

"Ich nenne das die Strategie Hoffnung", sagt Ahmad. "Hoffnung, weil man genau weiß, dass die wichtigsten Bauteile nicht geschützt sind", ergänzt er.

Mit Nanoguard konzentriert sich Ahmad zunächst auf die Autobranche. Fahrzeuge sind für den Außengebrauch gemacht, der Witterung ausgesetzt. Kondenswasser in Gehäusen sind angesichts großer Temperaturunterschiede immer ein Thema, aufwendig gekapselte Gehäuse vielerorts Pflicht. Und das, wo Fahrzeuge mehr und mehr elektronisch assistiert, automatisiert und vielleicht zukünftig gar autonom fahren sollen. Was dann ein Platinen-Ausfall für die Sicherheit von Verkehrsteilnehmern bedeuten kann, lässt sich unschwer vorstellen.

"Nanoguard schützt die gesamte Platine mit allen darauf verbauten Umfängen. Es weist Wasser ab, verschlechtert nicht das ein- oder ausgehende Signal, gibt die Temperatur des Prozessors an die Umgebung ab und schützt auch die Steckverbindungen. Das kann sonst keine andere Beschichtung", erklärt Ahmad mit Stolz auf die Actnano-Entwicklung. Nanoguard wird das Autofahren sicherer machen, zugleich die Produktionskosten senken sowie Menschen und Umwelt nachhaltig schützen, davon ist er überzeugt.

Theoretisch bringt die Nanobeschichtung zudem Gewichtsvorteile. Theoretisch deshalb, weil die meisten der verbauten Platinen nicht komplett vor Umwelteinflüssen geschützt werden. Aber würde in einem Auto jede Platine mit herkömmlichen Mitteln so gekapselt, dass sie die Schutzwirkung von Nanoguard erreicht, dann läge der Gewichtsvorteil bei bis zu sieben Kilogramm. Umgekehrt bringt das nicht gesparte Gewicht ein Plus an Sicherheit.

Dem Patent auf die Nanobeschichtung sind etliche Jahre Entwicklungsarbeit vorausgegangen. Aber nachdem Actnano einige namhafte Kunden in den USA (z.B. Tesla seit 2018) und Europa sowie etliche, vorwiegend deutsche Investoren (BMW, Porsche, Hella) vorweisen kann, nimmt Taymur Ahmad mit seinem Team die nächsten Möglichkeiten und Varianten von Nanoguard ins Visier.

So kann mit entsprechenden Anpassungen die wasserabweisende Wirkung auch das Beschlagen von Scheiben verhindern, was vor allem bei E-Autos interessant ist, denn Heizen zum Trocknen der Scheiben kostet auch Reichweite.

Etwas weiter in der Zukunft liegt das Ziel, Auto-Waschanlagen überflüssig zu machen. "Stell‘ Dir vor, Dein Auto würde nach zehn Jahren genauso aussehen wie beim Kauf. Autowaschen ist eine der überflüssigsten Tätigkeiten überhaupt. Schädlich für die Umwelt. Und nur dazu da, dass wir besser aussehen. Ich will, dass das nicht mehr sein muss", insistiert Ahmad, der die Business School in Lausanne mit einem MBA abschloss und die Universität in Iowa als Ingenieur.

Mit seiner Firma ist Ahmad mobil geblieben: Sie ist in den Anfangsjahren umgezogen, von Chicago nach Boston. "Wir wollten dorthin, wo die besten Absolventen sind – zum MIT. Wir erwarten nicht, dass die Talente uns folgen. Actnano geht zu ihnen", so Ahmad. Vom MIT bzw. einem Spin-off des berühmten Massachusetts Institute of Technology kommt auch Actnano-CTO Justin Kleingartner.

Der promovierte Chemiker sitzt meist still daneben, wenn sein Chef engagiert seine Visionen ausbreitet. Aber wer seine Vita liest, stößt auf eine lange akademische Karriere mit weiteren Abschlüssen als chemischer Ingenieur, während der er sich immer mit viskosen Flüssigkeiten, Beschichtungen und Nano-Technologie beschäftigt hat. Man kann sich gut vorstellen, wie er über die Anti-Fleck-Beschichtung der Tischdecke nachdenkt, auf der er gedankenverloren sein Cola-Glas dreht. Vermutlich kommt Actnano bald damit auf den Markt und das Ende der Waschanlage nehmen wir Taymur Ahmad auch ab.

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