Vordergründig scheint der "Sentry Mode" (übersetzt: Wächter-Modus) für Fahrerinnen und Fahrer eines Tesla eine sinnvolle Sache zu sein. Dass das Auto kontinuierlich seine Umgebung filmt, kann das Sicherheitsempfinden steigern. Weil sich beispielsweise bei Unfällen der Hergang oder die Schuldfrage leichter klären lassen. Oder überhaupt ein Delinquent überführt werden kann, beispielsweise bei Parkremplern mit Fahrerflucht. In den USA wurden dadurch schon Fälle von Vandalismus aufgeklärt; unter anderem wurde in mehreren Fällen der Lack des Teslas mit einem Schlüssel zerkratzt.
Der Wächter-Modus macht Tesla aber auch immer wieder Probleme, und zwar juristischer Art. Nun wieder: Deutschlands Verbraucherzentrale-Bundesverband (VZBV) hat wegen des Wächter-Modus beim Landgericht Berlin Klage gegen Tesla eingereicht. Der Vorwurf: Der Autokonzern verschweige seinen Kundinnen und Kunden, dass diese bei Nutzung der Wächter-Funktion zur Einhaltung der Vorschriften der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) verpflichtet sind und bei Verstößen ein Bußgeld riskieren.
"Datenschutzkonforme Nutzung praktisch unmöglich"
"Nutzerinnen und Nutzer müssten von Passantinnen und Passanten, die zufällig am Auto vorbeilaufen, Einwilligungen für die Verarbeitung personenbezogener Daten einholen", erklärt Heiko Dünkel, Leiter Team Rechtsdurchsetzung beim VZBV. Tesla verschweige dies seinen Kundinnen und Kunden aber, womit eine datenschutzkonforme Nutzung des Wächter-Modus praktisch unmöglich sei.
Wird der Wächter-Modus bei geparkten Autos aktiviert, zeichnen mehrere im Fahrzeug installierte Kameras die Umgebung permanent auf – in der Regel betrifft das auch unbeteiligte Personen. In bestimmten Fällen werden die Aufnahmen im Fahrzeug beziehungsweise auf Servern im Ausland gespeichert. Damit handelt es sich nach Ansicht des VZBV um die Verarbeitung personenbezogener Daten, die der DSGVO unterliegt. Zudem sei die anlasslose Aufzeichnung des Geschehens im Fahrzeugumfeld unzulässig.
"Lücken bei den Zulassungsverfahren"
"Dass der Wächter-Modus trotz massiver Datenschutzmängel zugelassen wurde, weist auf Lücken bei den Zulassungsverfahren für automatisierte Fahrfunktionen hin", ergänzt Marion Jungbluth, beim VZBV Leiterin des Teams Mobilität und Reisen. Die verpflichtende Datenschutzfolgenabschätzung müsse ernsthaft geprüft werden. In diesem Zusammenhang sieht der VZBV Defizite bei der Zusammenarbeit zwischen dem Kraftfahrt-Bundesamt und dem Bundesdatenschutzbeauftragten.
Es ist nicht das erste Mal, dass Teslas Wächter-Modus aus Datenschutzgründen moniert wird. Im Juni wurde bekannt, dass die Berliner Polizei ein Verbot vorbereite, das mit Kameras ausgerüsteten Autos verbiete, die Liegenschaften der Behörde zu befahren. Der Anlass sollen Sicherheitsbedenken in Bezug auf Tesla-Fahrzeuge gewesen sein. Fast gleichzeitig gab es Medienberichte, nach denen die chinesische Hafenstadt Beidaihe alle Teslas aussperren wolle. Ursache dafür sei die Sorge, dass die Kameras der Fahrzeuge für Spionageaktivitäten genutzt werden könnten. Aus demselben Grund verhängte die chinesische Regierung einen Tesla-Bann für die einheimischen Militäreinrichtungen.
Irreführende Werbeaussagen zur CO2-Ersparnis
Datenschutzbedenken sind jedoch nicht das einzige Motiv für die VZBV-Klage. Zusätzlich werfen die Verbraucherschützer Tesla irreführende Werbeaussagen zur CO2-Ersparnis beim Kauf seiner E-Autos vor. So gebe der Hersteller für das Model 3 auf seiner Internetseite einen CO2-Ausstoß von "0 g/km" an und suggeriere auch mit anderen Werbeaussagen in Richtung Verbraucherinnen und Verbrauchern, dass sie durch die Anschaffung des Fahrzeugs den CO2-Ausstoß durch Pkw insgesamt verringern.
Die Realität sehe anders aus, sagt der VZBV. Die Verbraucherschützer kritisieren, dass die Fahrzeuge anderer Hersteller jenes CO2 zusätzlich ausstoßen dürfen, dass die Autos von Tesla einsparen. Und zwar über den Handel mit Emissions-Zertifikaten, die anderen Herstellern ermöglichen, die für ihre Fahrzeugflotte geltenden Grenzwerte zu überschreiten. In der EU geschieht das durch den Zusammenschluss mehrerer Hersteller zu Emissionsgemeinschaften (CO2-Pooling). Laut VZBV verdiene Tesla gut an diesem Handel: Der Konzern habe nach eigenen Angaben allein im Jahr 2020 1,6 Milliarden Dollar durch den Verkauf von "Emission Credits" verdient.
Bereits Abmahnung und Teil-Unterlassungserklärung
Der VZBV hat Tesla eigenen Angaben zufolge im Dezember 2021 bereits abgemahnt und eine Teil-Unterlassungserklärung in Bezug auf mehrere Klauseln in der Datenschutzerklärung des Unternehmens erwirkt. Nachdem der Autohersteller daraufhin offensichtlich nicht die gewünschten Maßnahmen ergriff, folgt nun die Klage vor dem Berliner Landgericht. Tesla hat bisher nicht auf eine Anfrage der Redaktion von auto motor und sport nach einer Stellungnahme reagiert.
Hinweis: In der Fotoshow zeigen wir Ihnen, wie Alexander Bloch das Tesla Model 3 in der Long-Range-Version in seinem E-Auto-Supertest bewertet hat.