- Phantombremsungen, Cybertruck-Mängel, Kundendienst-Verschleierungstaktik
- Technologisch fällt Tesla zurück
- Gebrochenen Versprechen folgen neue
Tesla ist dieser Tage in aller Munde. Das ist, abgesehen von der sich immer weiter erhöhenden Frequenz der Meldungen über das US-Unternehmen, nicht neu. Aber während es bis vor rund einem Jahr vor allem um Rekorde, neue Technologien oder Giga-Factories ging, ist der Tenor inzwischen fast ausschließlich negativ: Cybertruck-Rückruf (siehe Bildergalerie), Brandanschläge auf Teslas, sinkender Aktienkurs, einbrechende Absatzzahlen …
Die Erfolgsgeschichte von Tesla ist untrennbar mit dem Kapitalmarkt verbunden. An der Börse lässt sich ablesen, welch schwindelerregenden Wert Beobachter und Anleger dem Unternehmen zutrauen – zwischenzeitlich mehr als allen großen Autoherstellern zusammen. Es wird immer deutlicher, wie viel davon auf Versprechungen und Übertreibungen vor allem von CEO Elon Musk basiert. Der Blick ins Unternehmen allerdings zeichnet ein anderes, besorgniserregendes Bild.
Die Kollegen vom Handelsblatt haben bereits im Mai 2023 mit einer Reihe von Artikeln über Missstände bei Tesla berichtet. Ausgangspunkt waren die Hinweise und insgesamt 100 GB interner Daten eines Whistleblowers. Der ehemalige Tesla-Servicetechniker Lukasz Krupski hatte im November 2022 mit dem Medium Kontakt aufgenommen und in der Folge eine beispiellose Sammlung von Dokumenten aus allen Bereichen des E-Auto-Unternehmens bereitgestellt. Schon die erste Datei war eine Exel-Liste, die E-Mail-Adressen, Telefonnummern und vor allem Sozialversicherungsnummern sowie andere sensible Daten von mehr als 70.000 Tesla-Mitarbeitern enthielt. Prüfungen und Recherchen des Handelsblatts ergaben letztlich: Alle Daten waren echt, authentisch – und die meisten waren hochbrisant.
Phantombremsungen, Cybertruck-Mängel, Kundendienst-Verschleierungstaktik
Die Fülle des Materials lieferte Stoff genug für ein Buch. Genau das haben Sönke Iwersen und Michael Verfürden geschrieben. "Die Tesla Files" erschienen am 21.3. 2025 im C.H. Beck-Verlag. Das sehr lesenswerte Buch gibt es hier. Mit den Autoren haben wir in zwei Podcast-Folgen über Tesla und Elon Musk gesprochen.
In Teil 1 sprechen wir vor allem über das Unternehmen und das Produkt. Zahlreiche der Tesla-Files berichten über Probleme von Tesla-Fahrern mit den Assistenzsystemen, die Tesla lange unter der irreführenden Bezeichnung "Autopilot" oder Full Self Driving (FSD) verkaufte. Das System arbeitet im Gegensatz zu denen der Konkurrenz ohne Radar- oder Lidar-Sensoren, die viele Experten für zuverlässiges autonomes Fahren als unverzichtbar erachten. Tatsächlich dokumentiert das Buch Hunderte Fälle, in denen FSD Kunden beispielsweise mit Phantombremsungen und -beschleunigungen überraschte. Gleichzeitig deckt es auf, wie der Kundendienst von Tesla auf eine No-Paper-Trail-Policy gebrieft ist – eine Vorgehensweise, die keine schriftlichen Spuren (paper trail), nicht mal gesprochene (Mailbox-Nachrichten) hinterlassen soll. De facto verbringen Kundenautos teils Wochen im Service und danach heißt es nur, dass kein reproduzierbarer Fehler zu finden sei.
Aber auch Hardware-Probleme dokumentieren die Tesla-Files. So gibt es einen Krisen-Bericht über den Entwicklungsstand des Cybertrucks kurz vor dem Serienstart, der massenhaft rot (in einem Ampelsystem) markierte Probleme verzeichnet. Bei den Verkäufen blieb der elektrische Pick-Up weit hinter den Erwartungen zurück. Glück im Unglück, denn aktuell lässt die amerikanische Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA gerade alle bislang produzierten Exemplare zurückrufen, weil sich reihenweise lediglich geklebte Teile der Edelstahlkarosse lösen.
Technologisch fällt Tesla zurück
Am Cybertruck lässt sich aber auch ablesen, wie sehr Teslas Innovationskraft nachgelassen hat. Zwar trägt der tonnenschwere Pritschenwagen die neuen zylindrischen Batteriezellen im Format 4680, die deutlich leistungsfähiger und dank trockenbeschichteter Elektroden kostengünstiger sein sollen als die 2170er. Bislang ist aber der Cybertruck das einzige Modell, mit den größeren Rundzellen – und mit 800-Volt-Architektur, wie sie koreanische Marken schon lange und BMW sowie Mercedes bei neuen Modellen dieses Jahr einsetzen. Anders als bei der Konkurrenz ist beim Cybertruck allerdings keine signifikant höhere Ladegeschwindigkeit nachgewiesen, selbst die Spitzenleistung gibt Tesla mit schon bisher eher üblichen 250 kW an, Mercedes beim neuen CLA mit 320 kW.
Hinzu kommt, dass der Truck (auch konzeptbedingt) viel verbraucht, sodass die Ladezeit pro Kilometer nicht konkurrenzfähig ist. Tesla sagt, "bis zu 206 km in 15 Minuten" sind möglich, Mercedes verspricht 325 km in 10 Minuten, BMW für die Neue Klasse 300 Kilometer in der gleichen Zeitspanne. Und nicht nur die deutsche Konkurrenz setzt zum Überholen an, sondern die chinesische erst recht: Der einst von Musk verspottete Hersteller BYD präsentierte dieser Tage seine neue 1.000-Volt-Plattform – damit sollen (nach chinesischer Norm) 470 Kilometer Nachladen in 5 Minuten möglich sein. Selbst, wenn man die Reichweiten auf europäische Standards herunterrechnet, käme man auf sicher 350 Kilometer – in 5 Minuten, sprich mindestens doppelt so viel bei Mercedes und BMW. Und der chinesische Batteriegigant hat sich in der Vergangenheit nicht damit hervorgetan, übermäßig zu übertreiben.
Gebrochenen Versprechen folgen neue
Elon Musk hingegen rettet sich seit jeher gern in immer fantastischere Versprechungen, die er vor allem zeitlich bislang nie einhalten konnte. Er selbst sagt von sich, er habe immer recht mit seinen Ankündigungen, nur Timing und Zeitpläne habe er nicht im Griff. Aber die Liste mit gebrochenen Versprechen ist ähnlich lang wie eine Klopapierrolle:
- Supercharger bleiben für immer kostenlos (2013)
- Ausschließlich von Solarzellen gespeiste Supercharger (2017)
- 1000 km Reichweite in zwei Jahren (2015)
- Autopilot kommt in 6 Monaten ohne menschlichen Fahrer aus (2017)
- Mehr als eine Million autonome Robotaxis in einem Jahr auf der Straße (2019)
Das autonome Taxi hat Tesla im Herbst 2024 vorgestellt – nicht ohne ein erneutes Verprechen: 2026 soll das Cybercab verfügbar sein. Das wären sechs Jahre Verzögerung gegenüber dem Versprechen von 2019. Wer dagegen wettet, riskiert – mutmaßlich nichts. Denn die Performance des FSD-Systems lässt sich binnen zwei Jahren nicht ausreichend steigern, selbst wenn Musk sich tatsächlich den bislang verspotteten Lidars nicht mehr verschließen würde. Wie schlecht Teslas FSD ohne Lidar "sehen" kann, wurde nicht nur bei zahlreichen (teils tödlichen) Unfällen offensichtlich, sondern ganz aktuell bei einem perfiden Test eines Youtubers.
Gleichzeitig sagt Musk selbst: Der Autopilot bzw. die Fähigkeit zum autonomen Fahren entscheide darüber, ob Tesla künftig sehr viel oder gar nichts wert sei. Diese Einschätzung des CEO plus die Expertenmeinung über den Autopiloten zusammengenommen muss vernünftigen Aktionären eine Verkaufsempfehlung sein.