Ist eine Palliativschwester im Notfall-Einsatz nicht schnell genug zu schnell gefahren?

Nicht schnell genug zu schnell
:
Überzeugend rasen im Notfalleinsatz?

Arzt Matthias Thöns vom Palliativnetz-Witten e.V. mit einem seiner Dienst-Smarts. © Matthias Thöns 3 Bilder

Bußgeld wegen zu niedriger Geschwindigkeits-Überschreitung? Extra 3 berichtet über einen seltsam anmutenden Fall, der auch einen Bezug zu einem Fall hat, in dem es um ein dringendes Bedürfnis geht.

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Im zirka elf Kilometer südwestlich von Dortmund gelegenen Witten ist eine Palliativschwester auf einer privaten Rettungsfahrt zu schnell zum Einsatzort gefahren. Ein Blitzer hat die Schwester in ihrem Smart am 24. September 2024 in der Kreisstraße erwischt – dort gilt Tempo 30. Nach Abzug der Messtoleranz in Höhe von 3 km/h bleiben nach Angaben der zuständigen Behörde des Ennepe-Ruhr-Kreises 8 km/h Geschwindigkeits-Überschreitung. Eine Schwester darf auf ihrer Einsatzfahrt zu schnell fahren – aber nach Behördenangaben fuhr sie in diesem Fall nicht schnell genug. So berichtet es das politische Satiremagazin Extra 3 in seiner Ausgabe vom 9. Januar 2025.

30 Euro beträgt das Bußgeld, dass Mediziner Matthias Thöns vom Palliativnetz-Witten e.V. für die Geschwindigkeits-Überschreitung bezahlen soll. Der Smart, mit dem die Palliativnetz-Mitarbeiterin zu schnell gefahren ist, auf ihn angemeldet. Thöns hat dem Bußgeldbescheid mit Hinweis auf die lebensrettende Einsatzfahrt widersprochen. § 16 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) sieht einen Rechtfertigenden Notstand vor: In der Norm heißt es: "Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, ... eine Handlung begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, ..." Die Bußgeldstelle des Ennepe-Ruhr-Kreises erkennt Thöns‘ Widerspruch allerdings nicht an und beruft sich dabei auf einen Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf.

© Matthias Thöns

Matthias Thöns vom Palliativnetz-Witten e.V. hat diesen Strafzettel bekommen, an dem die Bußgeldstelle trotz Notfall-Einsatzes seiner Mitarbeiterin festhält.

Durchfall – aber nicht genug Zeitgewinn

In seinem Beschluss vom 6. Dezember 2007 (Aktenzeichen IV-5 Ss-OWi 218/07 – (OWi) 150/07 I) musste sich das OLG Düsseldorf mit einem Fall beschäftigen, bei dem ein Autofahrer wegen "unabweisbarem" Stuhldrang (Durchfall) die örtliche geltende Geschwindigkeitsbegrenzung von 80 km/h um 34 km/h überschritten hatte. Bei Durchfall als Grund für zu schnelles Fahren haben die Richter ein Einsehen: Das OLG Zweibrücken hat bereits in seinem Beschluss vom 26. Oktober 1998 Durchfall als Rechtfertigenden Notstandsgrund im Sinne von § 16 OWiG anerkannt. Die Richter des OLG Düsseldorf schränken allerdings ein: "Erbringt die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit keinen nennenswerten Zeitgewinn, ist der Verkehrsverstoß nicht geeignet, die "drohende Gefahr" abzuwehren."

Seine Geschwindigkeits-Überschreitung hatte der Betroffene anscheinend, so vermutet es der Senat des OLG Düsseldorf, auf einer autobahnähnlichen Kraftfahrstraße begangen. Die Richterin des vorinstanzlichen Amtsgerichts hatte festgestellt, dass der von Durchfall geplagte Fahrer mit 34 km/h zu schnellem Fahren die nächste Ausfahrt auch nicht viel schneller erreicht hätte. Dieser Einschätzung folgte der Senat des OLG Düsseldorf, weshalb der Fahrer seinerzeit mit seiner Rechtsbeschwerde nicht durchkam.

© Matthias Thöns

Matthias Thöns fragt sich, ob seine Mitarbeiterin bei ihrem Notfall-Einsatz hätte noch heftiger hätte die erlaubte Höchstgeschwindigkeit übertreten müssen, keinen Verwarngeld-Bescheid zu bekommen.

Für Arzt zählt jede Sekunde

Dass sich die Busgeldstelle des Ennepe-Ruhr-Kreises in seinem Fall auf dieses Urteil bezieht, kann Palliativ-Mediziner Matthias Thöns nicht nachvollziehen. Er betont, dass es bei dem Notarzt-Einsatz um Atemnot und damit um Sekunden ging. Außerdem könne man bereits mit einer niedrigen Geschwindigkeits-Überschreitung beispielsweise noch eine rote Ampelphase vermeiden, gleichzeitig müssten er und seine Mitarbeiter natürlich auf den Verkehr achtgeben, um niemanden zu gefährden. Die Bußgeldstelle betont jedoch abschließend, dass Entscheidungen in diesem Bereich immer Einzelfall-Entscheidungen sind. "Nach aktuellem Stand sind keine Gründe ersichtlich, warum das Verwarngeld nicht gezahlt werden müsste." zitiert Extra 3 aus einer Antwort der Behörde auf eine Nachfrage der Redaktion.

Wie viel zu schnell die Ärztin hätte fahren müssen, damit der Zeitgewinn beträchtlich genug ist, um von der Behörde anerkannt zu werden, bleibt offen. Rein mathematisch ist schnelleres Fahren grundsätzlich mit einem Zeitgewinn verbunden. Matthias Thöns betont uns gegenüber, dass bisher die Zusammenarbeit mit der Bußgeldstelle immer gut und freundlich war. Ob, und wenn ja wie, sich der Fall weiterentwickelt – wir bleiben dran.

Fazit

Eine Palliativschwester fährt während einer privaten Rettungsfahrt zu schnell – sie ist ohne Sonderrechte unterwegs. Für die Geschwindigkeits-Überschreitung in Höhe von 8 km/h auf einer Tempo-30-Strecke soll der Halter des Fahrzeugs 30 Euro Verwarngeld bezahlen. Dieser beruft sich allerdings auf einen Rechtfertigenden Notstand gemäß § 16 OWiG.

Die zuständige Bußgeldstelle hält dem wiederum einen Beschluss des OLG Düsseldorf entgegen und erkennt im konkreten Fall einen Rechtfertigenden Notstand nicht an, weil die Ärztin mit ihrer Fahrt keinen nennenswerten Zeitgewinn erzielt hätte.

Die Entscheidung der Bußgeldstelle soll sicher nicht Autofahrer in Notsituationen dazu animieren, noch schneller zu fahren, um so einem Verwarngeld zu entgehen. Möglicherweise kann hier erst ein weiterer Gerichtsbeschluss mehr Klarheit bringen.

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