Neues Verkehrskonzept in Paris: Erfolg von E-Autos bleibt aus

Urbane Mobilität
Pariser wollen sich keine Elektroautos leihen

Mit etwas Glück sieht man sie vereinzelt durch die Straßen von Paris surren: silberne kleine Autos mit bunten Aufklebern. Auf denen steht "cool" oder "zéro odeur" (null Gestank) und "100% électrique". Der Geschäftsmann Vincent Bolloré gerät bei ihrem Anblick ins Schwärmen: "Was ist das denn für ein Ufo, denkt man, wenn die völlig geräuschlos und abgasfrei an einem vorbeifahren." Der Franzose ist der Vater der "BlueCars" und der Initiator der Pariser Elektroauto-Offensive.

Anfang Dezember 2011 fiel der Startschuss für "Autolib", ein dichtes Netz von Ladestationen mit den dazugehörigen Elektro-Mietwagen. Entwickelt wurde das Auto von batScap, einem Tochterunternehmen der Groupe Bolloré und Pininfarina in Italien. Mit 20 Prozent ist daran auch der Atomstromkonzern EDF beteiligt. Gebaut werden die Autos in Italien. Der Anschaffungspreis soll je nach Ausstattung zwischen 15.000 und 25.000 Euro liegen

Elektroschock sollte von Paris um die ganze Welt gehen

Die Stadtoberen prophezeiten beim Start eine "neue Mobilitäts-Ära". Oberbürgermeister Bertrand Delanoë sagte dem Verleihsystem eine große Zukunft voraus: "An dem Tag, an dem Autolib zur Gewohnheit für die Pariser wird, wird das alle Städte der Welt verändern." Paris will keineswegs nur den eigenen Verkehr sauberer machen. Von Frankreichs Hauptstadt soll gewissermaßen auch ein Elektroschock um die Erde gehen.

Doch drei Monate nach dem Start ist der Funke selbst auf die Pariser nicht übergesprungen. Nicht einmal 650 von den bis Ende 2013 geplanten 3.000 BlueCars rollen derzeit durch die Avenuen der Kapitale. Dutzende Fahrzeuge konnten nicht rechtzeitig ausgeliefert werden – Verzögerungen in der Produktion. Um die Ladestationen war es nicht besser bestellt. Nur knapp 300 von insgesamt 1.200 vorgesehenen Tankstellen waren in Betrieb. Der größte Teil ist in Planung oder liegt als Baustelle am Straßenrand. Für die ursprünglich in Parkhäusern geplanten Stationen muss nach einer ganz neuen Lösung gesucht werden – aus Sicherheitsgründen. Es herrscht Explosionsgefahr.

Auch die Zahl der Abonnenten bleibt hinter den Erwartungen zurück. Nur etwa 2.600 Pariser kauften sich nach Unternehmensangaben ein Jahresabonnement. Bolloré hatte aus Vorsicht offiziell keine Zielmarke genannt, war aber dem Vernehmen nach von einer größeren Elektro-Begeisterung ausgegangen. Gemeinsam mit der Stadt bastelt der Geschäftsmann nun an einem neuen Tarifsystem. Das soll "lesbarer", also einfacher zu verstehen sein.

Fahrrad-Verleihsystem ist ungleich beliebter

Dabei wissen die meisten Pariser im Prinzip, wie Autolib funktioniert. Es ähnelt dem 2007 in Betrieb genommenen, sehr populären Fahrrad-Verleihsystem Vélib. Man kauft sich am Metro-Schalter eine Abo-Karte, deren Preis je nach Laufzeit gestaffelt ist. Wie bei den Elektroautos. Da kostet sie zehn Euro für 24 Stunden, für sieben Tage 15 Euro und für ein Jahr 144 Euro. Aber dann wird es schon kompliziert: Zusätzlich bezahlt man für die erste halbe Stunde zwischen fünf und sieben Euro Miete beziehungsweise für jede weitere halbe Stunde vier bis acht Euro. Um die Abo-Zahlen zu steigern, wollen Stadt und Unternehmen jetzt noch einen Monatstarif und ein Car-Sharing-Abo einführen, also ein Abo, das mehrere Fahrer nutzen können. Das allerdings könnte den Missbrauch fördern.

Wie man es auch wendet: Die Probephase scheint trotz des offiziellen Starts noch nicht abgeschlossen zu sein. Das gilt auch für die Autos. Teils fiel die Elektronik in den BlueCars aus. Die Fahrer wussten dann nicht, wo die nächste Ladestation ist und wo sie parken können. Dadurch erhöhten sich Fahrzeit und Mietpreis. Von den ohnehin wenigen Elektroautos im Betrieb mussten Dutzende in die Reparatur, zum Teil täglich.

Viele Schäden durch Vandalismus

Dies auch, weil der Vandalismus unerwartet hoch war. Viele wurden offenbar sogar von Abonnenten beschädigt. Darauf deuteten abgebrochene Blinkhebel hin. Die meisten Schäden kamen aber von außen: eingeschlagene Scheiben, abgebrochene Seitenspiegel und demolierte Stoßstangen. Inzwischen patrouilliert eine Einsatztruppe von Bolloré regelmäßig an den Stationen, um die leichten Schäden zu beheben.

Die Pariser Presse zieht deswegen eine durchwachsene Zwischenbilanz. Als Meilenstein auf dem Weg hin zu einer intelligenten Verkehrssteuerung in einer Weltmetropole kann Autolib bislang nicht gelten. Dazu fehlt auch die nötige Akzeptanz in der Bevölkerung. Kritiker monieren, dass der Bau der geplanten 1.000 Ladestationen in Paris und den umliegenden Städten wertvollen Platz zum Parken koste. Händler und Anwohner zeigen sich genervt von den Bauarbeiten. Taxifahrer und herkömmliche Autovermieter fürchten eine wachsende und öffentlich geförderte Konkurrenz. Die Grünen im Stadtrat, die immerhin mit Oberbürgermeister Delanoë regieren, bezweifeln grundsätzlich den ökologischen Nutzen des pompös lancierten Projekts. Sie halten Autolib für einen "Schwindel". Das Verleihsystem bewirkt ihrer Meinung nach das Gegenteil. So steckt Autolib kurz nach dem Start aus vielerlei Hinsicht erst einmal im Stau.

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