Vorstands-Beben bei VW: Der Revolutionär frisst seine Kinder

Kommentar zum Vorstands-Beben bei Volkswagen
Der Revolutionär frisst seine Kinder

Einen Konzern mit weltweit über 650.000 Mitarbeitern umzubauen, kann nicht lautlos funktionieren. Und wahrscheinlich darf es das auch gar nicht. Das Ringen von Konzernchef Herbert Diess um die richtige Aufstellung seiner Führungskräfte muss also niemanden ernsthaft überraschen. So etwas mit kühler Souveränität und eiserner Konsequenz zu tun, schafft wenig Freunde, sorgt aber für Sicherheit auf allen Seiten. Weil jeder weiß, woran er ist. Und aus Sicherheit entsteht Vertrauen.

Sieben auf einen Streich

Wie weit es in einem Konzern um die Themen Sicherheit und Vertrauen bestellt ist, bei dem gut zwei Jahre nach Diess‘ Amtsantritt innerhalb kürzester Zeit mit Stefan Sommer (VW-Einkaufsvorstand), Hans-Joachim Rothenpieler (Audi-Entwicklungsvorstand), Andreas Renschler (Vorstandsvorsitzender Traton), Joachim Drees (Vorstandsvorsitzender MAN), Thomas Sedran (Vorstand Volkswagen Nutzfahrzeuge) und Bernhard Maier (Vorstandsvorsitzender Skoda) und Christian Senger (Digitalvorstand VW) gleich sieben Topmanager entweder hingeworfen haben oder ausgetauscht wurden, mag jeder für sich selbst entscheiden.

VW ID.3 Produktion Halde
nextmove

Rotation oder Implosion?

Die Konzern-Kommunikatoren geben sich die allergrößte Mühe, das Personal-Beben als übliche Rotation zu verkaufen. Wobei da natürlich nichts rotiert, sondern die Zukunfts-Strategie von Konzern-Chef Diess implodiert. Der hat in den letzten Jahren versucht, den Rückstand in Sachen Elektromobilität und Digitalisierung aufzuholen und damit den Rest des Konzerns mehr oder weniger auf stumm geschaltet. Mit Blick auf die Herausforderungen der nächsten 10 Jahre wahrscheinlich die richtige Priorisierung. Aber Gift fürs Klima. Und für Marken wie Audi, deren Erfolg auf Vorsprung durch Technik basiert und die mit dem Versprechen einer elektrischen Zukunft im hier und jetzt große Probleme haben, ihre Autos zu verkaufen.

So etwas hältst du in einem Laden wie dem VW-Konzern nur durch, wenn du die volle Rückendeckung aller Interessensgruppen (vor allem Anteilseigner und Mitarbeitervertretung) hast und keine Fehler machst. Genau die sind aber passiert. Die verpatzte Markteinführung des Golf VIII kann in Wolfsburg niemand weglächeln. Und wenn dann noch der als Heilsbringer angekündigte ID.3 trotz Milliarden-Investitionen und Entwickler-Ressourcen in Sachen Software nicht aus dem Quark kommt, zeigt dir der Aufsichtsrat beim nächsten Konflikt ganz schnell die gelbe Karte. So geschehen im Juni 2020.

Audi AG; Ceo Markus Duesmann
AUDI AG

Ambulanter Aktionismus

Dann wird aus einer strategischen Neuausrichtung ganz schnell ambulanter Aktionismus, um sich die Rückendeckung der verschiedenen Interessensgruppen zu sichern. Mit dem mühsam bei BMW losgeeisten Markus Duesmann hat Audi jetzt wieder den starken Chef, den die Ingolstädter dringend brauchen. Und weil er gleichzeitig auch VW-Entwicklungsvorstand ist und sich in dieser Funktion auch die Digital-Sparte von Christian Senger einverleibt hat, haben die vier Ringe im Konzern jetzt wieder die Sichtbarkeit, die sich viele wünschen. Dass dabei Top-Manager auf der Strecke bleiben, die Diess selbst installiert hat, verbucht man in Wolfsburg offensichtlich als Kollateralschaden.

Ralf Brandstätter
VW

Es gehe Herbert Diess jetzt darum, die einzelnen Marken zu stärken und sie gleichzeitig auf maximales Konzerndenken einzuschwören, heißt es aus Konzernkreisen. Konkret: Entwickelt wird zwar bei Audi, Skoda, Volkswagen oder Porsche – aber nur, was in die Konzernlinie passt. Das ist schon ein deutlicher Unterschied zur eher zentralistischen Grundaufstellung der letzten Jahre. Zentralisierter Förderalismus. Mal sehen, wie lange das gut geht.

Die Sache mit den BMW-Weggefährten

Stoff für künftige Dramen gibt's genug. Alleine die Tatsache, dass Ex-BMW-Mann Diess bei der Neu-, bzw. Nachbesetzung hochkarätiger Top-Jobs vor allem auf Weggefährten seines ehemaligen Arbeitgebers setzt, kommt nicht überall in Wolfsburg gut an. Audi-Chef Duesmann kam von BMW. Und auch Dirk Hilgenberg, der Nachfolger von Christian Senger bei der zukunftswichtigen Car.Software.org (CSo), wurde frisch aus München abgeworben.