Mit neun Millionen Euro hat Volkswagen Herbert Diess und Hans Dieter Pötsch aus dem drohenden Verfahren um eine mögliche Marktmanipulation in der Diesel-Affäre herausgekauft. Formaljuristisch wahrscheinlich alles, nur kein Skandal. Und aus Sicht des Konzerns sogar irgendwie nachvollziehbar. Weil in Wolfsburg die Hütte brennt. Die Auswirkungen des Diesel-Skandals, Milliarden-Investitionen in die Elektromobilität, Werksschließungen durch die Corona-Pandemie und ein frischer Auslieferungsstopp für alle Kompaktfahrzeuge des Konzerns, die auf dem neuen Golf 8 aufbauen: In so einer Situation brauchst du den Vorstandsvorsitzenden und den Aufsichtsratschef im Büro, nicht auf der Anklagebank.

10 Sekunden, die nicht zu entschuldigen sind
Du brauchst aber auch eine Organisation, die in der Lage ist, viele komplexe Herausforderungen gleichzeitig zu meistern. Und genau das bekommen sie bei Volkswagen gerade einfach nicht hin. Wie sonst ist zu erklären, dass sich die Wolfsburger nur einen Tag nach dem Neun-Millionen-Deal für Diess und Pötsch auf Instagram einen handfesten Rassismus-Skandal eingefangen haben? Im Mittelpunkt: Ein gerade einmal zehn Sekunden langer Werbespot für den neuen Golf, in dem überdimensionale Finger einen Menschen vor einem Golf 8 wegschnipsen. Die Hand ist weiß, der Mensch dunkelhäutig. Und dann tauchen für Sekundenbruchteile im Abspann auch noch die Buchstaben "N-E-G-E-R" auf, bevor "Der neue Golf" eingeblendet wird.
Das Video wurde zwar schnell gelöscht. Die folgende Stellungnahme macht die Sache aber nicht besser, weil Volkswagen sich zunächst nicht von so viel plumpem und gedankenlosen Rassismus distanziert, sondern vor allem darüber wundert, dass ”unsere Instagram-Story derart missverstanden werden kann”. Missverstanden? Wie bitte? Erst viel später findet VW-Vertriebsvorstand Jürgen Stackmann die richtigen Worte: "Wir schämen uns dafür und können es heute auch nicht erklären. Umso mehr werden wir dafür sorgen, dass wir diesen Vorgang aufklären."
Hat VW also ein Rassismus-Problem? Nein, das glaube ich nicht. Dafür hat sich der Konzern gerade auch in jüngerer Vergangenheit sehr eindeutig als weltoffenes und tolerantes Unternehmen positioniert.

Zu viel Druck
Das Problem bei Volkswagen heißt Veränderung. Oder besser: viel zu viel davon. Der Konzern muss sich, angetrieben von Herbert Diess, aktuell in beinahe jedem Bereich neu erfinden und dabei auch noch mit externen Faktoren wie einer globalen Pandemie klarkommen. Entsprechend groß ist der Druck, unter dem alle Beteiligten stehen. Und unter Druck entstehen leider nur unter geologischen Gesichtspunkten Diamanten. Im echten Leben führt zu großer Druck zwangsläufig zu Fehlern. Hier ein rassistischer Werbespot, der durch alle Freigabeprozesse rutscht, dort ein fehlerhafter Notruf-Assistent, der zu einem Auslieferungsstopp für alle kompakten Konzern-Fahrzeuge führt.
Und dann ist da natürlich noch die Kaufprämie, mit deren Hilfe VW schwungvoll aus der Corona-Krise fahren will. Gemeinsam mit Amtskollegen der Konkurrenz hat sich Herbert Diess sehr früh für ein staatliches Förderprogramm stark gemacht und dafür unter anderem auf Unterstützung durch die Bundeskanzlerin spekuliert. Die schickte die Auto-Lobby aber unverrichteter Dinge vom Hof und vertagte das Ganze. Auch, weil die großen Autobauer trotz Bedarf an staatlicher Unterstützung gleichzeitig nicht auf eine Dividenden-Ausschüttung für die Aktionäre verzichten wollen. Mit verheerenden Auswirkungen für den Auto-Absatz. Weil eben kein Kunde jetzt ein Auto kauft, wenn er damit rechnen muss, mit Hilfe einer Kaufprämie später viel Geld sparen zu können.