Ursprünglich hatte Daimler vor, die nächste Smart-Generation ab 2022 zusammen mit Kooperationspartner Geely ausschließlich in China zu bauen. Doch Ende 2020 entschied sich der Konzern zu einer gravierenden Planänderung: Wie bisher wird der Smart Fortwo EQ (der Forfour EQ entsteht in Slowenien) auch künftig in Hambach gefertigt. Aber nicht allein: Neben dem mittlerweile ausschließlich elektrisch angetriebenen Zweisitzer rollt ab Juli 2022 auch ein kerniger Geländewagen von den Bändern des in Frankreich nahe der deutschen Grenze gelegenen Werkes.
Ineos erwirbt alle Geschäftsanteile
Es handelt sich um das Modell Grenadier von Ineos Automotive. Der junge Hersteller, der aus dem gleichnamigen britischen Chemiekonzern hervorgegangen ist und den Hauptsitz seiner Autosparte im 200 Kilometer entfernten Stuttgart ansiedelt, erwarb alle Gesellschaftsanteile der smart France S.A.S. und hat damit das Werk in Hambach komplett übernommen. "Damit haben wir für Hambach eine tragfähige Lösung gefunden, die dem Standort eine klare Zukunftsperspektive bietet", kommentierte Daimler-Vorstand Markus Schäfer seinerzeit den Deal. Zum Zeitpunkt der Übernahme waren in Hambach etwa 1.300 Mitarbeiter beschäftigt.

Diese Zukunftsperspektive sah vor nicht allzu langer Zeit noch ganz anders aus. 2018 hieß es noch, dass dort das Kompaktmodell der neuen elektrischen Mercedes EQ-Familie gebaut werden soll (mehr dazu lesen Sie hier). Seitdem wurde viel Geld in das Werk investiert – damals war von 500 Millionen Euro die Rede -, um unter anderem neue Hallen für den Karosseriebau und die Oberflächenbehandlung zu errichten.
"Globales Produktions-Netzwerk straffen"
Doch dann kam die Corona-Krise, und mit ihr eine Nachfrage-Delle, die Daimler in arge wirtschaftliche Schwierigkeiten beförderte. Zusätzlich muss der Konzern den hohen Investitionsaufwand für die zunehmende Digitalisierung und die Transformation zur Elektromobilität stemmen, weshalb der Daimler-Vorstand die Entscheidung traf, das Werk zu verkaufen. Konzernchef Ola Källenius sagte im Sommer 2020, dass damit die Kapazitäten an die zu erwartenden Marktentwicklungen (bedeutet: die sinkende Nachfrage) angepasst und das globale Produktions-Netzwerk gestrafft werden solle. Das soll helfen, die "Kostenstruktur nachhaltig zu verbessern und deutlich effizienter zu werden".

Inzwischen sieht Daimler wohl wieder etwas bessere Perspektiven für den Smart Fortwo EQ in Europa, weshalb die Schwaben den Deal mit Ineos angepasst haben und die Briten künftig als Auftragsfertiger fungieren. Dadurch ergibt sich für Hambach die interessante Konstellation, dass neben dem elektrischen Klein- ein schwerer Geländewagen gefertigt wird. Beim Ineos Grenadier (alles Wichtige zu diesem Auto lesen Sie hier) handelt es sich um so etwas eine Neuauflage des Land Rover Defender. Das Projekt, die britische Offroad-Ikone wiederzubeleben, ist das Herzensprojekt des Ineos-Chefs Jim Ratcliffe.
Grenadier-Vorproduktion startet
Ineos hat seinerseits 50 Millionen Euro in das Werk investiert und inzwischen die Vorserien-Produktion von 130 Grenadier-Exemplaren gestartet. Damit bereitet sich der Hersteller auf die reguläre Serienfertigung vor, die im Juli 2022 beginnen soll. Der Geländewagen wird mithilfe einer vollautomatischen Karosserie-Produktion und einer halbautomatischen Lackiererei gebaut; in einer völlig neuen Qualitätskontrolle erfolgt die Abnahme der Autos. Parallel baut Ineos sein weltweit etwa 100 Standorte umfassendes Vertriebs- und Servicenetz auf, über das der Grenadier ab Sommer ausgeliefert und gewartet werden soll. Dem Hersteller zufolge liegen 15.000 Bestellungen für den Offroader vor.

Für Ineos stellt der Kauf des Hambacher Werkes ebenfalls eine grundlegende Strategieänderung dar. Eigentlich wollte der Brexit-Befürworter Ratcliffe die Grenadier-Produktion zweiteilen: Mit in Portugal gefertigten Karosserien sollte der Offroader in Wales endmontiert werden. Dafür wollte Ratcliffe in diesem Teil Großbritanniens 500 Arbeitsplätze schaffen. "Doch als Ergebnis der Covid-19-Pandemie haben sich neue Optionen wie diese ergeben, die uns vorher einfach nicht zur Verfügung standen", sagt der Autosparten-Chef des britischen Chemiekonzerns, Dirk Heilmann. Er hält "diese Übernahme für unseren bisher größten Meilenstein in der Entwicklung des Grenadiers."
"Einzigartige Gelegenheit"
Jim Ratcliffe ergänzt: "Hambach bot uns eine einzigartige Gelegenheit, die wir einfach nicht ignorieren konnten: den Kauf eines modernen Automobilwerks mit einer erstklassigen Belegschaft." Hambach habe eine ausgezeichnete Erfolgsbilanz unter den Mercedes-Werken für die Qualität seiner Produktion. Zudem profitiere das Werk von der kürzlich getätigten Großinvestition, die die Produktion größerer Fahrzeuge ermöglicht. Darüber hinaus biete die Nähe zu Stuttgart einen ausgezeichneten Zugang zu Lieferketten und Zielmärkten.