Zerstört die aktuelle Überproduktion die Auto-Industrie?

Überproduktion setzt Hersteller unter Druck
Zerstört die Überkapazität die Auto-Industrie?

In diesem Artikel:
  • Europa nur bedingt im Gleichgewicht
  • China – Wachstum mit Risiken
  • USA – Lücke statt Überproduktion
  • Konsequenzen für OEMs und den Arbeitsmarkt

Die Automobilbranche steckt in einem Dilemma: Wie aus Zahlen des Verbands der Automobilindustrie (VDA) hervorgeht, wurden 2023 weltweit rund 80 Millionen Fahrzeuge produziert, aber nur circa 76 Millionen zugelassen. Ein Überhang von gut vier Millionen unverkauften Autos belastet die Branche – allein für das Jahr 2023. Mittlerweile dürfte die Zahl weiter angestiegen sein.

"Das größte Problem, das wir aktuell haben und das alle Welt quält, ist die Überkapazität", sagt Franz Loogen, Geschäftsführer der e-mobil BW GmbH, die sich mit dem Thema befasst hat. "Das ist auch das eigentlich Elementare, warum die Autoindustrie im Moment leidet. Es geht nicht um einen Kulturkampf der Antriebe, sondern darum, dass es zu viel Produktionskapazität gibt", so Loogen. Die Überkapazität sei ein Relikt aus einer Zeit, in der die Automobilkonzerne mit deutlich größeren Märkten rechneten. "Vor Corona hatten alle darauf gesetzt, dass der globale Markt Richtung 100 Millionen Neuzulassungen pro Jahr wächst. Dann kam die Pandemie – und plötzlich war der Markt auf 70 Millionen abgestürzt", erklärt Loogen. Zwar erholten sich die Zahlen wieder, doch die Kapazitäten blieben überdimensioniert.

Europa nur bedingt im Gleichgewicht

In Europa (EU, EFTA, UK) wurden 13 Millionen Fahrzeuge produziert – genauso viele, wie neu zugelassen wurden. Doch diese Zahlen täuschen. In Deutschland etwa wurden zwar vier Millionen Autos gebaut, aber nur drei Millionen neu zugelassen – und davon stammt nur ein geringer Teil aus deutscher Produktion. "Von diesen drei Millionen Neuzulassungen wurden etwa zwei Drittel importiert", so Loogen. "Ein Drittel davon sind deutsche Marken, die im Ausland produziert wurden, das andere Drittel sind ausländische Marken. Nur ein Drittel stammt tatsächlich aus deutschen Werken." Das bedeutet: Deutschland produziert mehr Fahrzeuge, als es selbst abnimmt, während der heimische Markt stark auf Importmodelle setzt. Gerade Volumen-Hersteller wie Volkswagen und Stellantis müssen deshalb ihre Produktion stark auf den Export ausrichten.

Japan weist die größte Überkapazität auf: Acht Millionen Fahrzeuge stehen nur vier Millionen Neuzulassungen gegenüber. "Japan ist extrem exportabhängig", sagt e-mobil-Geschäftsführer Loogen. Doch die traditionellen Absatzmärkte werden immer umkämpfter: Hohe Importzölle, protektionistische Maßnahmen und die wachsende Konkurrenz aus China könnten es Toyota, Honda und Nissan zunehmend erschweren, ihre Überproduktion im Ausland an die Kunden zu bringen.

China – Wachstum mit Risiken

China kann indes seinen riesigen Binnenmarkt Stand jetzt noch nutzen, doch auch dort gerät das Gleichgewicht ins Wanken. Auf den ersten Blick scheint der Markt stabil: 26 Millionen Fahrzeuge wurden 2023 produziert, 26 Millionen zugelassen. Aber laut Loogen täuscht diese Balance. Ihm zufolge sammle man gerade noch die Zahlen für 2024. Und offenbar wurden in China vergangenes Jahr bereits an die 30 Millionen Autos gebaut, während der Inlandsmarkt nur rund 23 Millionen aufgenommen habe.

Die wachsende Überproduktion zwingt chinesische Hersteller wie BYD, Nio und Co. also geradezu, aggressiv neue Exportmärkte zu erschließen. Doch genau dort treffen sie auf Handelsbarrieren wie die seitens der EU eingeführten Strafzölle für aus China importierte Autos und auf etablierte Marken. Darunter befinden sich übrigens auch japanische Hersteller wie Toyota, Honda oder Nissan, die durch die Expansion der Chinesen wiederum selbst unter zusätzlichen Druck geraten.

BYD RoRo Autofrachter Frachtschiff Changzhou
BYD Auto via Weibo

USA – Lücke statt Überproduktion

In den USA zeichnet sich – anders als in Europa und Japan – keine Überproduktion, sondern eine Produktionslücke ab: Zehn Millionen Fahrzeuge wurden 2023 gebaut, aber 15 Millionen zugelassen. Quasi jedes dritte in den USA verkaufte Auto stammt also aus dem Ausland. Besonders Fahrzeuge aus Asien und Mexiko haben den Marktanteil erhöht – zum Ärger von Washington. "Die USA sind ein klassischer Importmarkt", erklärt Loogen. "Und genau das ist auch Trumps großes Thema. Er schaut nur auf diese Zahlen – und deshalb sind wir dort gar nicht so kritisch gesehen, weil deutsche Hersteller viel vor Ort produzieren."

Die Lücke zwischen Produktion und Neuzulassungen könnte Handelskonflikte zwischen den USA und China weiter anheizen. Schon jetzt gibt es Forderungen, Importzölle auf Elektrofahrzeuge drastisch zu erhöhen. Besonders chinesische Marken wie BYD oder Nio werden als Bedrohung für die US-Autoindustrie gesehen. Gleichzeitig haben Ford und GM Probleme, ihre Produktion dort auszuweiten. Hohe Lohnkosten, streikende Arbeiter und steigende Rohstoffpreise machen die Fertigung in den USA teuer. Das könnte dazu führen, dass sich die Produktionslücke weiter vergrößert – oder sich die USA verstärkt auf protektionistische Maßnahmen konzentrieren.

Konsequenzen für OEMs und den Arbeitsmarkt

Die Kernfrage für alle Hersteller lautet: Wie mit Überkapazitäten umgehen? "Wenn ein Hersteller zu viel Produktionskapazität hat, drückt das auf die Preise", so Loogen. Es gebe dann zwei Möglichkeiten: Entweder Kapazität abbauen oder an Standorte gehen, wo man günstiger produzieren kann. Diese Entwicklung ist bereits sichtbar: Ford beispielsweise zieht sich aus Europa teils zurück, Stellantis verlagert Werke, und auch deutsche OEMs bauen Fertigungen in Spanien und Mexiko aus.

Übrigens betrifft das Ganze nicht nur die Produktion – auch die Entwicklung wird internationaler verteilt. Die Vorstellung, dass Hersteller alles heimisch entwickeln und nur die Fabriken im Ausland stehen, sei längst überholt, erklärt Loogen. Letztlich agiert also jeder Hersteller insgesamt zunehmend globaler.