Bei Gas-Stopp droht der Autoindustrie der Stillstand

Gas-Stopp und die Folgen
Mercedes drosselt Gasverbrauch

Die steigenden Energiepreise machen nicht nur den Verbrauchern, sondern auch der Wirtschaft immer mehr zu schaffen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte am 23. Juni wegen gedrosselter russischer Lieferungen die zweite Krisenstufe im Notfallplan Gas, die sogenannte Alarmstufe, ausgerufen.

Mercedes kommt mit 50 Prozent aus

Sollte tatsächlich der Gas-Nachschub aus Russland ausbleiben, hätte das fatale Folgen für die komplette Industrie und speziell auch für die Autoindustrie, da die Autohersteller und auch die Zulieferer bei ihrer Produktion noch immer stark von Gas abhängig sind. Rund 37 Prozent des gesamten deutschen Erdgasverbrauchs entfallen auf die industrielle Nutzung. Separate Zahlen für den Gasverbrauch in der Autoindustrie liegen allerdings nicht vor.

Hersteller Mercedes hat unterdessen verlauten lassen, dass man den Gasverbrauch in Europa bereits um 10 Prozent gedrosselt habe. Sollte es zu einer Rationierung kommen, könne man notfalls – zumindest in Deutschland – auch mit der Hälfte der regulären Menge an Gas arbeiten, erklärte ein Sprecher gegenüber Automotive News Europe. Man habe einen Weg gefunden, etwa die Lackiervorgänge im Werk Sindelfingen (EQS, S-Klasse und Maybach-Modelle) komplett ohne Zufuhr von Gas durchzuführen. Ob das Einflüsse auf den Gewinn hat, ist unklar. Doch aktuell gibt Mercedes sogar Gewinnprognosen für die zweite Jahreshälfte 2022 ab, die über jenen des Vorjahres liegen. Zuletzt hatte sich CEO Ola Källenius bei der Online-Hauptversammlung noch weniger optimistisch geäußert: "Sollte es zu einem Gas-Lieferstopp kommen, würde das weite Teile der Wirtschaft betreffen." Der Hersteller brauche Gas für die Fertigung, aber auch für das Heizen von Werkshallen.

Bei BMW droht der Stillstand

Ohne Zweifel würde ein Gas-Lieferstopp insbesondere Aluminium-Gießereien, von denen es rund 200 in Deutschland gibt, in die Knie zwingen. Schmelzöfen, in denen Aluminiumteile für die Autoindustrie gefertigt werden, werden mit Gas befeuert. Die Autobranche benötigt Erdgas unter anderem auch für Trocknungsöfen in der Lackiererei. Bei BMW droht bei einer reduzierten Gasversorgung der Stillstand, erklärt Produktionsvorstand Milan Nedeljkoic gegenüber dem Handelsblatt. Auch die gesamte Automobilindustrie würde zum Stehen kommen, ergänzt der BMW-Manager.

Bei reduzierter Gaslieferung droht auch bei den bei Fahrzeugglas-Zulieferern eine Verschärfung der Krise. Ihr Bundesverband teilte mit: "Die Glasindustrie benötigt anlagenabhängig eine Mindest-Erdgasmenge von circa 70 Prozent des Normalbetriebes, um ihre Glaswannen vor Schäden zu schützen. Eine Komplettabschaltung ist nicht möglich, da dies bei der Glasproduktion zu irreversiblen Anlagenschäden führen würde." Auch der VDA schlägt Alarm. "Die Automobilindustrie arbeitet intensiv daran, den Energieverbrauch unserer Industrie, insbesondere den Gasverbrauch, weiter zu reduzieren. Im vergangenen Quartal hat die europäische Industrie es geschafft, ihren Gasverbrauch um 20 Prozent zu reduzieren. Die Autoindustrie arbeitet mit Ideen, Innovationen und Investitionen weiter daran, noch mehr einzusparen. Dabei sind die Potenziale zu kurzfristigen Einsparungen – ohne die Produktion einzuschränken – inzwischen jedoch weitestgehend erschöpft", erklärt eine VDA-Sprecherin auf Anfrage.

Aber auch die Maschinenbauer, die Chemiebranche und die Materiallieferanten hängen stark am Gas. Gerade die Stahl- und die Chemiebranche gehören in Deutschland zu den ganz großen Gasabnehmern. Eine schnelle Umstellung auf eine andere Energiequelle ist in vielen Fällen schlicht nicht möglich.