Spätestens seit bekannt wurde, dass die chinesische Staatsreederei Cosco 24,9 Prozent eines Container-Terminals des Hamburger Hafens übernehmen darf, wird der Einfluss des asiatischen Riesenreiches auf die deutsche Wirtschaft heftig diskutiert. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte sich stark für den Deal in jener Stadt, in der er einst Innensenator und Erster Bürgermeister war, eingesetzt. Zudem wurde der SPD-Politiker dafür kritisiert, bei seiner jüngsten China-Reise nicht kritisch genug gegenüber dem dortigen Regime aufgetreten zu sein. Seitdem hat das Bundeskabinett in zwei Einstiege chinesischer Unternehmen bei deutschen Firmen untersagt (9. November 2022). Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zufolge geht es einmal um den Verkauf der Chipfertigung der Dortmunder Firma Elmos an das schwedische Unternehmen Silex, eine Tochterfirma des chinesischen Herstellers Sai Microeletronics. Laut mehrerer Medienberichte soll es beim zweiten Fall um die bayerische Halbleiterfirma ERS Electronic handeln.
Über all diesen Debatten schwebt eine Befürchtung, die seit Russlands Einmarsch in die Ukraine nochmals größer geworden ist: Macht sich Deutschland erst wirtschaftlich und dann auch politisch zu abhängig von China? Herbert Diess, der seit Anfang September nicht mehr Vorstandsvorsitzender des Volkswagen-Konzerns ist, sieht in dieser Hinsicht keine große Gefahr: Abhängigkeiten seien "nicht per se schlecht, denn sie zwingen einen dazu, dass man miteinander redet", sagte er in der ZDF-Sendung "Lanz".
"Nicht nur eine negative Abhängigkeit"
Diess bezog sich bei dieser Aussage in erster Linie auf die Technologie für Windkraftanlagen, die in Deutschland erfunden und industrialisiert worden sei. "Und dann haben wir es aufgrund schusseliger Politik versäumt, die hier in Gang zu halten und haben sie an China verloren", sagte der Österreicher. Jetzt sei China der weltweit größte Hersteller bei Windkraft- und Solartechnik, doch Deutschland könne seine nicht "nachhaltige, dramatische, technologische" Abhängigkeit jederzeit ändern. "Wir können die Industrie in Deutschland entweder subventionieren oder vor Importen schützen, dann ist die auch schnell wieder aufgebaut."
Diess weiter: "Wir haben nicht nur eine negative Abhängigkeit, sondern China leistet auch einen großen Beitrag zu unserem Wohlstand." Und zwar nicht nur in Deutschland, sondern beispielsweise auch in den USA. Hier referenziert er vor allem auf die ihm bestens bekannte Autoindustrie. "Die Hälfte des weltweiten Marktes ist China", sagt Diess. Für seinen Ex-Arbeitgeber VW ist China der mit Abstand wichtigste Markt.
Xinjiang? "Besser, dort zu bleiben"
Volkswagen befindet sich obendrein in einer Sondersituation: Der Konzern betreibt zahlreiche Autowerke in China, eines in der Region Xinjiang, in der – inzwischen mehrfach von Menschenrechtlern dokumentiert – die chinesische Regierung die dort lebende Minderheit der Uiguren unterdrückt. Das Werk sei zwar vor seiner Zeit bei VW gegründet worden, aber er habe immer die Position vertreten, dass es besser sei, dort zu bleiben und diesen Standort aufrechtzuerhalten, als ihn zuzumachen. "Präsenz von einem internationalen Unternehmen in so einer Region führt immer dazu, dass man Öffnung hat", sagte Diess.
Der ehemalige Automanager, der vor seiner VW-Zeit im BMW-Vorstand saß und kurz vor Auffliegen des Dieselskandals im September 2015 nach Wolfsburg wechselte, fand bei "Lanz" aber auch kritische Worte zur chinesischen Regierung. Über Präsident Xi Jinping sagte er: "Ich finde ihn in der Politik, die sehr stark leninistisch ist, die marxistisch ist, die den privaten Sektor zurückdrängt, sehr unglücklich." Dies führe China in eine Phase des geringeren Wachstums und werde für das Land letztlich nicht funktionieren.
Hinweis: Die Fotoshow zeigt Herbert Diess bei einem Treffen mit Tesla-Chef Elon Musk im September 2020.