Nach Betrugsvorwürfen und den daraufhin folgenden Lockerungen der Kooperationen mit GM und Bosch hatte Nikola versucht, wieder bei Investoren zu punkten. Allerdings vergeblich: Nun hat das Lkw-Start-up ein Insolvenzverfahren nach der US-Regelung "Chapter 11" eröffnet. Nikola wolle Unternehmenswerte verkaufen und muss das eigene Geschäft einstellen. Aus den Gerichtsunterlagen geht hervor, dass die Firma über etwa 47 Millionen Dollar (aktuell umgerechnet etwa 45 Millionen Euro) an Barmitteln verfügt. Dem stehen Verbindlichkeiten zwischen einer und zehn Milliarden Dollar gegenüber. 13,3 Millionen Dollar (12,7 Millionen Euro) schuldet Nikola dem Insolvenzantrag zufolge dem deutschen Zulieferer Bosch.
800 Mio. Dollar Verlust, 24 Mio. Dollar Umsatz
Schaut man auf die Absatzzahlen des in Phoenix (US-Bundesstaat Arizona) ansässigen Unternehmens, ist diese enorme Diskrepanz keine große Überraschung. So habe Nikola im dritten Quartal 2024 gerade einmal 88 Brennstoffzellen-Lkw an die Händler ausgeliefert. Nachdem zwischendurch wegen Brandgefahr alle bis dahin abgesetzten batterieelektrischen Lastwagen zurückgerufen werden mussten, kehrten von diesen gerade einmal 78 Exemplare auf die Straßen zurück. Die Konsequenz: ein Verlust von 800 Millionen Dollar (767 Millionen Euro) in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres bei einem Umsatz von gerade einmal 24 Millionen Dollar (23 Millionen Euro) im selben Zeitraum.
Ende 2022 war der deutsche Automanager Michael Lohscheller angetreten, Nikola als CEO wieder in die Erfolgsspur zu führen. Doch nach nicht einmal einem Jahr war der ehemalige Opel- und heutige Polestar-Chef bereits wieder weg – offiziell wegen eines "gesundheitlichen Grundes in der Familie". Fast gleichzeitig hatte sich Nikola aus Europa zurückgezogen. Die Anteile der Amerikaner am Joint Venture mit dem europäischen Lkw-Konzern CNH Industrial hatte daraufhin die Nutzfahrzeugmarke Iveco übernommen.
Investoren hatten Vertrauen verloren
Zuvor hatte die Firma einen neuen Geschäftsplan vorgestellt, in dem sie den Zeitplan für die Einführung von zwei Brennstoffzellen-Trucks auf dem nordamerikanischen Markt konkretisiert hatte. Parallel verließ mit Jesse Schneider jedoch der Chef der Brennstoffzellen-Entwicklung die Firma. Schneider hatte bei Nikola zuvor drei Jahre lang die Abteilung zur Entwicklung von Brennstoffzellen geleitet.
Sein Abgang hatte die Nikola-Aktie – das Unternehmen ging 2020 an die Börse und hatte dort schnell Erfolg – um fünf Prozent einbrechen lassen. Vor Bekanntwerden der von einem Investor vorgetragenen Betrugsvorwürfe – mehr dazu weiter unten im Artikel – war Nikola an der Börse 26 Milliarden Dollar wert (aktuell umgerechnet zirka 25 Milliarden Euro). Dieser Wert schrumpfte fortan in rasender Geschwindigkeit zusammen – mit dem jetzigen Insolvenzverfahren als Höhepunkt.
Im weiteren Verlauf des Artikels schildern wir Ihnen den rasanten Aufstieg und Niedergang des Elektro- und Wasserstoff-Lkw-Herstellers Nikola.
So sah der Modellfahrplan aus
Laut dem damals neuen Geschäftsplan wollte Nikola seine wasserstoffbetriebenen Lkw nach einem rein batterieelektrischen Truck mit dem Modellnamen Tre auf den Markt bringen. Die Wasserstoff-Variante des Tre wollte Nikola seinerzeit Mitte 2023 als Serienmodell anbieten, der größere Two sollte im dritten Quartal 2024 als FCEV (fuel cell electric vehicle) folgen. Der Tre ist mit einer flachen Front versehen (Cab over) und soll mit einer Ladung Wasserstoff bis zu 500 Meilen (805 Kilometer) schaffen. Der Two ist mit einer langen Haube und einer Schlafkabine (sleeper cab) versehen – für ihn versprach Nikola eine maximale Reichweite von 900 Meilen (1.448 Kilometer).
GM und Bosch ziehen sich teilweise zurück
GM hat bekanntgegeben, sich nicht, wie geplant, mit zwei Milliarden Dollar am Lkw-Startup Nikola zu beteiligen. Jetzt zieht sich auch Bosch teilweise aus dem Projekt zurück – die von einem Investor erhobenen Betrugsvorwürfe gegen die Elektro- und Brennstoffzellen-Lkw-Spezialisten haben das Vertrauen in das junge Unternehmen nachhaltig beschädigt. Die deutschen Automobil-Zulieferer Bosch und Mahle unterstützen Nikola bei der Entwicklung ihrer Antriebe. Bosch ist an dem börsennotierten Unternehmen mit 6,4 Prozent beteiligt – nach Ablauf der Mindesthaltedauer reduzieren die Schwaben jetzt ihren Anteil auf 4,9 Prozent. Während Nikola diesen Schritt nicht kommentiert, hat ein Sprecher von Bosch-USA betont, dass das Investment vor allen Dingen dafür gedacht war, die Entwicklung von Wasserstoff-Brennstoffzellen-Antrieben voranzutreiben. Einen Grund für den plötzlichen Teilausstieg nannte er nicht.

Zuerst Batterie-Lkw
Der Wirtschafts-Nachrichtendienst Bloomberg meldet, dass Bosch die Brennstoffzellen der Nikola-Europa-Lkw liefern soll. In den USA soll GM die Brennstoffzellen bereitstellen. Geht es nach Nikola, kommen vorher aber batterieelektrische Lkw auf den Markt, die das Startup zusammen mit Iveco in Ulm baut.
GM degradiert Nikola zum reinen Kunden
Noch im September waren die Verantwortlichen bei Nikola guter Dinge: Investoren und die Öffentlichkeit glaubten dem Nutzfahrzeug-Startup, dass es in naher Zukunft den Markt mit Batterie- und Brennstoffzellen-Fahrzeugen aufmischen könnte. Sein Sattelschlepper One sollte beispielsweise ein ernsthafter Konkurrent für Teslas Semi Truck sein. Dann schaute ein Investor genauer hin und fühlte sich betrogen – unter anderem fuhr anscheinend der vorgestellte Prototyp des One nicht mit Wasserstoff, sondern mit einem Erdgasbetriebenen Verbrennungsmotor. Nikola-Chef Trevor Milton musste zurücktreten und löschte seine Konten in den sozialen Medien. Inzwischen ermittelt das US-Justizministerium. GM hat nun wegen der sich häufenden schlechten Nachrichten die Reißleine gezogen und die geplante tiefgreifende technische Zusammenarbeit sowie eine elf prozentige Beteiligung Wert von zwei Milliarden Dollar abgesagt. Damit ist auch der unter dem Modellnamen Badger angekündigte Nikola Pickup vom Tisch.

Kein Nikola Badger
Um seinen Pickup zu bauen, ist Nikola auf massive Unterstützung durch GM angewiesen – und diese Unterstützung bleibt nun aus. Der jetzt ausgehandelte neue Vertrag reduziert das Verhältnis des Startups zu GM auf eine reine Lieferantenbeziehung. So soll die Wasserstoff-Brennstoffzelle für einen künftigen Nikola-Truck von GM kommen. Nikolas neuer CEO Mark Russell bekräftigte im Zuge des neuen GM-Vertrags, dass man sich von nun an nur noch auf das Kerngeschäft mit schweren Lkw konzentriere. Allerdings wirkt die Konstellation sonderbar, wenn ein etablierter Autobauer ein kleines Startup mit innovativer Technologie beliefert.
Außerdem ist es unklar, ob Nikola je den umfangreichen Flottenservice leisten kann, der in der hart umkämpften Nutzfahrzeugbranche üblich ist. Hinzu kommt, dass der Brennstoffzellen-Antrieb inzwischen selbst bei schweren Lkw umstritten ist – aufgrund fortschreitender Batterieentwicklungen halten ihn einige Experten bereits für überholt. GM hat sich mit der neuen Vereinbarung aus einem möglichen Nikola-Abwärtsstrudel gerettet. Nikola selbst möchte das Geld für bereits angezahlte Badger zurückzahlen – wann, dazu äußert sich das Unternehmen nicht.

Nikola hatte umstrittenes Design selbst gekauft
Im Jahr 2018 hat das kleine Startup Nikola das damals schon große Startup Tesla wegen angeblichen Designklaus verklagt. Die Nikola-Verantwortlichen fanden, dass das Design des Tesla-Sattelschleppers, der bisher nur unter seiner englischen Gattungsbezeichnung Semi Truck bekannt ist, zu sehr dem des eigenen Wasserstoff-Lkws namens One ähnele. Jetzt kommt heraus: Nikola hat das Design 2015 für mehrere tausend Dollar von Rimac-Designchef Adriano Mudri gekauft.

Nikola geht von eigenem Entwurf aus
In der Klageschrift gibt Nikola an, dass der One ein eigener Entwurf sei. Diesen Standpunkt vertritt das Unternehmen auch nach Bekanntwerden des Design-Kaufs: Es sei üblich, Entwürfe zu kaufen und weiterzuentwickeln, betonen die Nikola-Verantwortlichen. Mudri sei nie Mitglied des Design-Teams gewesen und der fertige One sehe wesentlich anders aus als die ursprünglichen Entwürfe des Rimac-Designers.
Tesla und Rimac haben die Vorgänge bisher nicht kommentiert. Die Nachricht kommt für Nikola zu einer Unzeit: Das Startup sieht sich heftigen Betrugsvorwürfen ausgesetzt, in deren Folge Nikola-Chef Trevor Milton zurückgetreten war.
Nikola-Chef tritt wegen Betrugsvorwürfen zurück
Nikola aus Phoenix im US-Bundesstaat Arizona teilte mit, man habe den Rücktritt Miltons akzeptiert. Neuer Chef wird Stephen Girsky, der im Nikola-Verwaltungsrat sitzt und zuvor bei General Motors tätig war.
Via Twitter hatte Milton seinen Rücktritt öffentlich gemacht und schrieb unter anderem, dass der "Fokus auf dem Unternehmen und seiner Mission liegen soll, und nicht auf ihm". Er beabsichtige sich gegen die falschen Anschuldigungen zu verteidigen, die von externen Kritikern gegen ihn erhoben werden.
Konkret hatte die Investmentgesellschaft Hindenburg Research – spezialisiert auf Leerverkäufe – Nikola "komplexen Betrug" vorgeworfen, der auf Lügen des 39-jährigen Firmengründers beruhe. So seien Geschäftspartner in die Irre geführt worden, weil man nicht über wichtige Technologien verfüge, so Hindenburg Research. Nikola habe neben General Motors, Bosch sowie den italienischen Nutzfahrzeughersteller CNH Industrial auch den großen südkoreanischen Mischkonzern Hanwha (Chemie, Rüstung, Logistik, Bau) mit falschen Versprechungen in Kooperationen gelockt.
Brennstoffzelle war "heiße Luft"
So soll unter anderem der Lkw-Prototyp "Nikola One" bei einer Präsentation einen Berg hinunter gerollt worden sein, da das Modell keinen Antriebsstrang besessen habe. Frühere Partner verzeichnen laut Hindenburg Research die Batterie- und Wasserstoffbrennstoffzelle von Nikola als "heiße Luft". Fahrzeuge seien nie mit Brennstoffzellenantrieb gefahren, sondern mit Erdgas.
Nikola weist die Vorwürfe zurück und beschuldigt seinerseits, Hindenburg Research habe den Aktienkurs manipuliert, um mit Leerverkäufen bei fallenden Kursen Gewinne zu generieren. Alle Vorwürfe und Behauptungen werden nun von der US-amerikanischen Börsenaufsichtsbehörde Securities and Exchange Commission (SEC) und dem US-Justiz-Ministeriums untersucht.
Trevor Milton verfügt aktuell über ein Privatvermögen von 3,5 Milliarden US-Dollar und hält rund 40 Prozent Anteile an Nikola. 2014 gründete er die Nikola Motor Company und wollte zunächst nur ein Wasserstofftankstellennetz mit einem norwegischen Partner aufbauen. Mit Stand Herbst 2019 liegen Nikola Motor 14.000 Vorbestellungen für Lkw vor, darunter auch 800 Lkw für die US-amerikanische Brauerei Anheuser-Busch. Erst im August 2020 hatte der US-Müllentsorger Republic Services bei Nikola einen Auftrag über 2.500 batterie-elektrisch angetriebene Müllfahrzeuge deponiert. Der Auftrag sollte später um weitere 2.500 Fahrzeuge wachsen.
Die Brennstoffzellen-Lkw von Nikola kamen indes nie über den Prototypen-Status hinaus. Neben dem Nikola Zero, dem Nikola One und Nikola Two zeigten das Unternehmen einen Nikola Tre sowie den Pickup-Truck Badger.