Die Straße ist breit und gerade. Durch die kalifornische Mittagshitze dröhnen Big-Block-Beats: Zwei US-Cars stehen an einer Linie. Ein Dodge Dart 413 Superstock und eine Corvette Stingray. Ihre Fahrer schätzen sich kurz ab. Einen Fuß auf dem Gaspedal, den anderen auf der Kupplung. Drei – zwei – eins! Die Fahne fällt, die Muscle-Cars schießen los. Die Slicks der Corvette krallen sich in den Asphalt, trotzdem kommt der 413 besser vom Fleck. Ein Straßenrennen am helllichten Tag? Das ging in den 60ern.
Ein gutes halbes Jahrhundert später läuft der Challenger Hellcat auf. Die Straße ist ebenfalls breit und gerade, nur nicht öffentlich. Seit den wilden 60ern hat sich die Welt verändert: Die Polizei greift streng durch; Autorennen auf öffentlichen Straßen sind längst illegal. Wie der Dart in jenem Duell, das die kalifornischen Beach Boys 1963 in ihrem Song "Shut Down“ besingen, gehört auch sein Konzernbruder Challenger zu den Ikonen der Viertelmeile. Und wie der Dart ist der Hellcat die höchste Evolutionsstufe – der schnellste und stärkste Challenger im Angebot von Dodge.
Dodge Challenger Hellcat so stark wie noch nie
Entsprechend großmäulig tritt er auf, breitschultrig, durchtrainiert. Die Augen, unter der vorgezogenen Motorhaube halb verdeckt, blicken seine Kontrahenten arrogant, fast ein wenig spöttisch an. Wen wundert’s? In seiner Heimat bewerben sie ihn herausfordernd: "707 Horsepower, end of discussion. The most powerful muscle car ever. The fastest muscle car ever.“ Das Marketing-Eigenlob scheint ein wenig dick aufgetragen. So dick, dass die Gegner hier auf dem Dragstrip nur noch mehr angestachelt werden.
Etwa die Ur-Ur-Urenkelin jener Stingray aus dem 63er-Hit – die Corvette C7 als Z06 und ihr Chevrolet- Bruder, der Camaro . Beide rennerprobt, beides Helden jener glorious days, als die Autoindustrie eine bis dato vernachlässigte Käuferschicht entdeckte: die geschwindigkeitssüchtige, aber nicht besonders finanzkräftige Jugend. Als Antwort rollte Anfang der 60er die Midsize-Klasse von den Bändern der Hersteller: Muscle- Cars. Potent, testosteronstrotzend und übermütig.

Geiger-Cars bläst alle drei Kontrahenten mächtig auf
Unsere drei Kontrahenten kommen vom Münchener Importeur für US-Cars Karl Geiger. Er hat alle drei so sehr aufgeblasen, dass ihre V8 eigentlich bersten müssten. Doch noch hullern sie sich an der Startlinie fast unschuldig warm. Bevor ihr V8-Gewitter unter Volllast losdonnert, wollen wir kurz die Daten vergleichen. Das Herz eines jeden bildet ein 6,2-Liter-V8, der seine Kraft per Handschaltgetriebe überträgt. Die Amis nennen diese Monster von Achtzylindern herabwürdigend Small Block. Dabei sind die Werte, die ihm ein paar Anabolika wie neue Ansaugsysteme und Software-Modifikationen eingespritzt haben, alles andere als small, also klein.
Bei der Corvette: 729 PS und fette 942 Nm. Nicht genug Muskeln? Okay, der Hellcat protzt nach Geigers Behandlung gar mit 805 PS und 967 Nm. Und der Camaro? Der zeigt sich im kompletten Renntrimm: Geiger hat ihn für den Tuner-Grand-Prix von sport auto aufgebaut. Sein Motor stammt aus der Corvette ZR1, wurde gedopt mit einem größeren Ladeluftkühler und geänderten Kolben für eine höhere Verdichtung samt schärferer Nockenwelle, die den V8 im Leerlauf unter der Fronthaube unwillig schütteln lässt. Ein Kraftprotz, der sogar 824 PS und 992 Nm ans Sechsganggetriebe schickt. Moment, fast 1.000 Nm Drehmoment? Ja, 1.000. Eine Vorentscheidung? Womöglich ... Statt einer Antwort folgen kurze, fordernde Gasstöße.
Camaro Z/28 mit knallhartem Viertelmeile-Setup
US-Achtzylinder spielen auch heute noch Amerikas schönste Melodie, haben von ihrer Faszination über die Jahrzehnte nichts verloren. Noch immer treiben sie den Adrenalinspiegel jedes Autofans schlagartig in die Höhe, zumal wenn sie für ein anstehendes Rennen hitzig aufbellen. Und wenn sie in einer Höllenmaschine wie dem Camaro stecken. Hellcat? Wer hier aus der Hölle stammt, wollen wir doch erst mal sehen. Mit seinem spartanischen Innenraum samt Überrollkäfig, fixierten Sitzschalen und Hosenträgergurten lautet die unmissverständliche Botschaft des Camaro: Hier geht es zur Sache, Baby. Mach dich bereit für den Trip deines Lebens.
Volle Konzentration auf den Christmas Tree, so nennt man die Quartermile-Startampel wegen ihrer bunten Lichter. Grün. Mit den Fünfpunktgurten fest verschnürt wie vor einem Bungee-Sprung, lässt der Fahrer bei knapp über 1.000 Umdrehungen die Kupplung kommen. Der V8 brandet auf, der Kompressor heult, die Räder drehen durch, das Heck tänzelt. Nicht zu viel Gas, nur nicht im Begrenzer feststecken. Schalten, zweiter Gang. Wieder Schlupf, wieder keilt die Hinterachse aus. Kurz gegenlenken. Hell yeah, ist die Lenkung zackig. Und was hat der Sechszwoer bitte für eine Abwärme? Oder kommt die Hitze von innen, angefacht vom Adrenalin?

Dodge Challenger Hellcat startet mit Launch-Control
Ins Schwitzen gerät man dagegen im Hellcat nicht – in dieser Art Hölle bleibt es kurioserweise wohltemperiert. Kunststück, man lässt als Fahrer ja auch die Launch Control für sich arbeiten. Sie ist übers Display in der Drehzahl einstellbar; beim Trainingslauf heute Nachmittag haben 3.000 Touren Einkuppeldrehzahl die besten Ergebnisse gebracht. Jetzt, in der Nacht, versucht die automatisierte Sensorik wieder, die Hinterräder am optimalen Schlupf entlangzuführen – und schafft es erstaunlich geschmeidig.
Ganz anders, als der Name vermuten lässt, gibt sich die Höllenkatze fast schon pflegeleicht. Erschreckend normal, angesichts ihrer Leistung. Alles wirkt leicht abgesoftet, die Sitze, das Fahrwerk, der Motorklang. So grollt der V8 angenehm tief, ja enttäuschend wenig einschüchternd, während außenstehende Zuhörer feststellen, dass genau so ein Muscle-Car klingen müsse. Aber eine Ausgeburt der Hölle? Leicht übertrieben. Gleichwohl ist die gebotene Start-Show von der Tribüne aus spannend, dafür sorgt vor allem der schwänzelnde Camaro. Noch ist nichts entschieden, doch sein ständig gegenlenkender Pilot scheint siegesgewiss. Klar, bei diesem fahrerischen Aufwand muss doch ein toller Run herauskommen.

Chevrolet Corvette Z06 und die überragende Traktion
Moment, was ist das? Wie aus dem Nichts taucht die blaue Corvette auf, schiebt sich ins Blickfeld. Zieht zornig dahin, schleppt ein V8-Gewitter hinter sich her. Erst ein Blick auf die Messdaten offenbart, dass sie bereits kurz nach dem Start vorn liegt. Sie verzahnt ihre 335er-Hinterreifen am besten von allen mit dem körnigen Asphalt, hat mit Abstand die beste mechanische Traktion. Schlupf? Kaum. Es geht einfach bestialisch vorwärts. So schnell taucht der Begrenzer auf, dass man fast nicht mit dem Schalten nachkommt. Klar, könnte man nun anmerken, sie ist schließlich auch ein echter Sportwagen.
Dabei war die Quartermile früher doch eigentlich die Domäne der Muscle-Cars. Wie der Camaro fühlt auch sie sich zum Start bei etwa 1.000 Umdrehungen am wohlsten, wirkt dabei aber viel leichtfüßiger. Nach nicht einmal 50 Metern hat sich die Corvette auf Tempo 100 katapultiert. Die Kontrahenten benötigen dafür über zehn Meter mehr Strecke. Selbst im dritten Gang, als der Pilot den Camaro endlich im Griff hat und nicht mehr umgekehrt, macht er kaum Boden gut. Auch der Hellcat presst sich vorbei, schiebt sich sogar näher an die Corvette heran.
Doch die lässt sich ihren Sieg auf den letzten Metern nicht mehr nehmen, stürmt nach 11,6 Sekunden mit 204 km/h durchs Quartermile-Ziel. Ein Finale, wie perfekt inszeniert zum Song der Beach Boys; auch hier gewinnt am Ende die Stingray. Warum die besungene Vette trotz Slickreifen nicht so recht aus den Startlöchern kam, dürfte im Nachhinein klar sein: Es muss wohl eine Schlafmütze am Steuer gesessen haben. An der Sting kann es kaum gelegen haben. Sie hatte es drauf – und hat es offensichtlich auch heute noch.