Was auch immer es noch wird, eines wird es sicher: eine lange Nacht. Eine lange Nacht in einer Polizeibaracke in Arad, ungarisch-rumänische Grenze. Wo denn die grüne Versicherungskarte für den Audi S6 Avant sei, wollte der strenge Beamte wissen. Tja. Das Dokument ist momentan unauffindbar. Dabei lief doch alles so reibungslos bis hierher, vor allem der S6 mit seinem 450 PS starken V8-Triebwerk. Seit Beginn des Dauertests schiebt das Biturbo-Aggregat den fast zwei Tonnen schweren Kombi sanft bassend auf Dienstreisen quer durch Europa, muss sich auf tempolimitierten Autobahnen selten zu mehr als 3.000 Umdrehungen bequemen, knipst dabei unmerklich schon mal die Hälfte seiner Zylinder aus. Das siehst du nur, wenn du die Verbrauchsanzeige zwischen Tacho und Drehzahlmesser einblendest, dort erscheint ein Hinweis darauf, dass die Technik aktiv ist.

Der Verbrauch dümpelt dann schon mal zwischen 10 und 11 l/100 km umher, am Testende kamen in dieser Leistungs- und Gewichtsklasse immer noch sehr gute 13,1 l/100 km heraus. Im Dieselumfeld ergeben sich dennoch vergleichsweise hohe Kilometerkosten von 23,1 Cent. Und woher kommt der selbst bei zurückhaltender Fahrweise emotionale, aber nie stressige Sound? Künstlich generiert aus Lautsprechern in der Abgasanlage, aber wenigstens perfekt imitiert. Also wählen die meisten Kollegen gerne den Individualmodus, stellen den Klang scharf, die Lenkung auf sportlich, überlassen Antrieb und Fahrwerk gerne sich selbst. „Ein klasse Reisewagen“, findet Redakteur Michael von Maydell, „schnell, leise und komfortabel.“ Ressortleiter Jörn Thomas widerspricht nicht: „Der S6 geht extrem gut, fährt präzise ohne zu wanken, federt komfortabel.“
Tatsächlich donnert der S6 bei Testbeginn und -ende praktisch in identischer Zeit von null auf 100 km/h (4,5/4,6 s). Alles reibungslos, wirklich. Obwohl: „Beim Rangieren mit vollem Lenkeinschlag kommen aus dem Antriebsstrang ganz fiese Brummfrequenzen“, notiert Redakteur Peter Wolkenstein ins Fahrtenbuch. Ist das der durch unterschiedliche Lenkwinkel an den Vorderrädern hervorgerufene Ackermann-Effekt, der gerne bei sportlichen Fahrzeugen auftritt? „Der Quattro-Antrieb im S6 ist auf optimale Fahrdynamik und Traktion ausgelegt. Aus diesem Grund können je nach Untergrund und Reibwert gelegentlich leichte Verspannungen bei großem Lenkeinschlag im Rangierbetrieb spürbar sein“, sagt Audi dazu.
Hervorragendes Fahrwerk
Es kommen noch weitere Reibungen hinzu. So überrascht das Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe einerseits mit irre kurzen Schaltzeiten unter Volllast, andererseits aber auch mit irritierenden Schaltrucken bei langsamer Fahrt. Das Fahrwerk hingegen spreizt sich gelenkiger in den Spagat zwischen Komfort und Dynamik: „Die Abstufungen der adaptiven Dämpfer sind gut gelungen, harmonieren toll mit der Luftfederung“, notiert Redakteur Heinrich Lingner. Dabei ist es unerheblich, ob die 19- Zoll-Sommer- oder 20-Zoll-Winterräder an den Achsen stecken. Die Größendifferenz hängt mit Audis Testwagenlogistik zusammen, die ab einer bestimmten Leistungsklasse nur eine Rädergröße vorsieht.

Übrigens: Die Fahrwerkskonfiguration zählt zur Serienausstattung, einzig das sogenannte Sport-Differenzial für die variable Kraftverteilung zwischen den Hinterrädern kommt extra – und sorgt dafür, dass sich der S6 selbst engschlaufige Passstraßen engagiert hinaufstemmt, sich nur selten ins Untersteuern flüchten muss, sondern meist neutral die Kurven abhakt. Aber selbst wenn der Audi nicht derart rangenommen wird, wenn er einfach nur über Ausfallstraßen aufs Land bummelt, entwickeln sich aufgrund des Motorenkonzepts offenbar extrem hohe Temperaturen. „Der Kühlluftbedarf scheint immens, denn der Lüfter läuft sehr lange und laut nach“, fällt Jochen Albig, dem Leiter der Testabteilung auf. Dennoch: Das Triebwerk funktioniert, der Zündkerzenwechsel im Rahmen der Inspektion bei Kilometerstand 58.581 zählt zum Standardprogramm – und kostet alleine 473,50 Euro.
Ärgerlicher und deutlich teurer: Auf der Suche nach Poltergeräuschen aus dem Bereich der Vorderachse tauscht die Werkstatt Federbeine sowie die Hydrolager an den Führungslenkern für 3.577,88 Euro. Der Hersteller beteuert, dass es sich um einen Einzelfall handele, einem Kunden nichts in Rechnung gestellt worden wäre. Die Leserzuschriften lassen vermuten, dass dem nicht so ist. Ach ja, ein Radlager musste ebenfalls getauscht werden, da Schmutz eindrang. Macht nochmals 608 Euro.
Ein bisschen zickig, aber hell
Von den zahlreichen Elektronikkapriolen, über die sich einige S6-Fahrer beschwert haben, blieb der Testwagen weitestgehend verschont. Einzig das Infotainment-System meuterte zuweilen, wollte bekannte Mobiltelefone erst nach langer Zeit oder überhaupt nicht akzeptieren, trödelte mal bei der Routenberechnung. Trotz Updates blieben diese Macken erhalten, aber auch die fehlerfreie Funktion der Assistenzsysteme (Abstandsregeltempomat, Spurhalte- und Spurwechselassistent). Das LED-Matrix-Licht erhellt selbst dunkelste Nächte, und die straffe Polsterung der perfekt geformten Sitze stützt Fahrer und Mitreisende. Nur die integrierten und zu kurzen Kopfstützen der optionalen S-Sportsitze gehören ausgemustert – ein seltsamer Design-Gag. So erreichte der S6 auch völlig problemlos die ungarisch-rumänische Grenze. An der jetzt ein langer Aufenthalt droht – bis die grüne Versicherungskarte doch noch auftaucht. Irgendwer hat Origami geübt und sie winzig klein gefaltet. Die Reise geht also weiter.
Audi S6 Avant 4.0 TFSI Quattro | |
Grundpreis | 80.150 € |
Außenmaße | 4942 x 1874 x 1482 mm |
Kofferraumvolumen | 565 bis 1680 l |
Hubraum / Motor | 3993 cm³ / 8-Zylinder |
Leistung | 331 kW / 450 PS bei 5800 U/min |
Höchstgeschwindigkeit | 250 km/h |
Verbrauch | 9,4 l/100 km |