Als sich die Laderampe des Autotransporters öffnet, stehen auch gleich mal die Münder offen. 2003, an einem zugigen Herbsttag, Fototermin Flughafen Malmsheim. Erster Realitäts-Check einer Vision, des Mercedes CLS Vision. Ein viertüriges Coupé, Fließheck de luxe auf Basis der E-Klasse. Weg mit dem bürgerlichen Knickknack-Stufenheck, her mit einem eleganten Abschluss. Ganz anders als die spießigen Fließhecks wie einst beim VW Passat oder beim Audi 100 Avant. Heute ganz normal, damals ein fast fünf Meter langer Kopfverdreher mit flüssigen Linien und gestreckter Silhouette unterm flachen Dach.
Unter dem ein ebenso spannendes Interieur wohnte. Nix mit schwäbischem Biedermeier, stattdessen ein großes offenporiges Holzpaneel als Armaturenträger. Das helle Holz und die hellen Ledersitze mögen heute vielleicht ein wenig barock wirken, damals waren sie der Knaller. Und die Geschichte gab Mercedes recht: Viertürige Coupés – zumindest ihre Grundform – haben sich durchgesetzt. Sehen wir uns nur mal die zeitgenössische Elektro-Premium-Klasse an. Alles, was nicht SUV ist, fließt karosseriemäßig irgendwie daher, von Tesla über Taycan bis EQS.
Aber wir wollen ja nicht summen, sondern brummen. Nicht einfach so, sondern mit zwei Hybriden. Vergleichbare Leistung, auf unterschiedliche Art erzeugt. Der Audi A7 Sportback 55 TFSI e Quattro setzt als Plug-in-Hybrid auf einen Zweiliter-Vierzylinder mit 265 PS plus E-Maschine mit bis zu 143 PS/350 Nm und einer Systemleistung von 367 PS. Im CLS 450 4Matic steckt dagegen ein 367 PS starker Sechszylinder-Reihenmotor, drei Liter groß, per ISG-Startergenerator mildhybridisiert. Bei beiden wird die Kraft per Allradantrieb auf den Asphalt gebracht. Doch wer nun meint, der A7 spiele in diesem Duell die Rolle des Downsizing-Sparbrötchens, irrt und übersieht den Anspruch des fast fünf Meter langen Fünfsitzers. Serienmäßig per Sportfahrwerk tiefergelegt, mit S line gepimpt, mit 19-Zoll-Rädern, dunkler Verglasung, Sportsitzen, Vierzonenklima und LED-Matrix-Scheinwerfern professionalisiert, biegt hier ein Premium-Dynamiker mit Fünflenker-Vorderachse ums Eck.

Fünflenker-Vorderachse? Ja, kommt jetzt ganz neu im Mercedes-AMG SL. Nur um mal zu zeigen, was Phase ist beim schicken Fließheck-Audi, dessen Heckbereich sie in Ingolstadt gern in direkter Linie mit dem 70er-Jahre-Coupé 100 S sehen.
Körpernah und wiegend
Und der CLS? Bleibt da ganz entspannt, hat die Design-Aufregung des Debüts in dritter Generation hinter sich gelassen, konzentriert sich auf die Rolle der E-Klasse für Anspruchsvolle – trotz frappierender Ähnlichkeit mit dem rangniedrigeren Kompakt-CLA. Anders als die ganz aktuellen Mercedes (C- und S-Klasse), die innen mit einem wie reingedübelt anmutenden Tablet bildschirmen, trägt der CLS ein klassisches Armaturenbrett. Na ja, was man so klassisch nennt mit 12,3-Zoll-Widescreens, 64-farbigem Ambientelicht samt innenbeleuchteten Lüftungsdüsen, die für Designchef Gorden Wagener scheinbar keinen Widerspruch zu sinnlicher Klarheit darstellen.
Sei es drum, gemütlich ist es im CLS. Wenn man mit dem beschwerlichen Einstieg, dem körpernahen Innenraumschnitt und Optionssitzen klarkommt, deren Wangen selbst schlanke Menschen in die Zange nehmen. Recht hoch montiert und mit eher schmaler Sitzfläche bleiben die Sessel trotz Funktionsvielfalt (Massage, verstellbare und aktive Seitenwangen) ergonomisch hinter früheren Generationen zurück. Im Audi sitzt man tiefer und im Testwagen auch weniger umtüddelt. Doch: Der kühle Technikstil ist gelernt, die Verarbeitung durchweg untadelig bis vorbildlich solide, die Bedienung sämtlicher Funktionen im Stand schlüssig und problemlos. Während der Fahrt ist sie jedoch mit den Touch-Themen schwieriges Zielen, mäßige Rückmeldung und verschmutzende Oberflächen belastet. Immerhin setzt Audi bei Lautstärke und Titel-Skip noch auf einen klassischen Regler, am Lenkrad auf physische Walzen und Tasten.
Mercedes bietet neben umfangreichen, ebenso aufwendig wie beim Audi designten Bildschirmmenüs für sämtliche Angelegenheiten bis zur detaillierten Sitzeinstellung und zur Lautstärkeregelung eine Walze in der Mittelkonsole, dazu einige Direktwahltasten. Beim Titelsprung wird es auf der Touchfläche der Mittelkonsole anstrengender. Und erst die fummeligen Pendants am Lenkrad. Wo es beim Audi physisch läuft, polarisiert der CLS mit kapazitiven Flächen. Hier dürfte sich nicht nur der Untertürkheim-Fanclub den guten alten 124er zurückwünschen angesichts der Justage des Head-up-Displays, bei dem sich die Ingenieure scheinbar von Weckern aus dem Ramschmarkt inspirieren ließen.
Dafür überrascht der Benz Unkundige mit dem Interieur-Assistenten, der auf Bewegung hin etwa die Leseleuchte einschaltet, sowie einer Sprachsteuerung, die selbst dahergenuschelte Befehle prompt und zielführend umsetzt. Hier kann der Audi nicht hundertprozentig mithalten.

Aber: Bedienen heißt ja auch fahren, und da überzeugt der CLS vom Start weg. Schon wegen des unmerklich sanften Motorstarts per 48-Volt- Startergenerator. Oder dadurch, wie die Ingenieure der Lenkung eine feine Mischung aus direktem Ansprechen, passendem Handmoment und präziser Kontrolle bei definiert ruhiger Mittellage geben. Oder wie die optionale Luftfederung Unebenheiten wegfiltert, ohne dabei Rückmeldung zu unterschlagen. Die wiegende Art ohne störende Bewegungen bei stets sauberer Karosseriekontrolle gefällt auf kurvigen Landstraßen ebenso wie auf Autobahnen bei Expressgeschwindigkeit. Beeindruckend – und Beweis für lange Erfahrung im Fahrzeugbau. So richtig physisch halt.
Stahlfedern und Fünflenker
Was nicht bedeutet, dass sie in Ingolstadt in irgendeiner Weise hinterherstolpern. Der A7 unterscheidet sich beim Fahrgefühl nur in Nuancen vom CLS, lenkt höchstens einen Hauch weniger willig an, nimmt Kurven dafür mit ordentlich Elan, kommuniziert durchweg feinsinnig und ausreichend direkt über die Progressivlenkung mit dem Fahrer. Sein sogenanntes Sportfahrwerk mit Karosserie-Tieferlegung (Serie) und geregelten Dämpfern (Option) zeigt, wie geschmeidig Stahlfedern arbeiten, wenn sie sauber abgestimmt auf Fünflenkerachsen wirken.
So strömen beide Limousinen trotz rahmenloser Türen (mit Akustikverglasung) grundsätzlich leise und ohne störende Motor- oder Fahrwerksgeräusche über Landstraße und Autobahn, belästigen erst bei Tempi jenseits 200 nennenswert mit Windgeräuschen, laufen akkurat geradeaus und nehmen mittelgebirgige Steigungen ohne Anstrengung.
Ohne Anstrengung? Nicht ganz. Auf den ersten Kilometern hält sich der Audi-Antriebsstrang akustisch komplett bedeckt, profitiert vom großzügigen Einsatz der quasi lautlosen E-Maschine bei elektrischer Reichweite um die 50 Kilometer (ams-Runde: 52 Kilometer) und alltagstauglicher E-Beschleunigung, begeistert ansonsten mit der nahezu perfekten Kombination beider Motoren samt Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe. Aber irgendwann weht ihm das Hybrid-Tuch davon, stattdessen Gegenwind ins Gesicht. Spätestens wenn der schnöde Vierzylinder als Single rödeln muss. Denn mit leerem 14-kWh-Akku ist die Boostparty vorüber. Nicht wirklich kritisch, doch wirkt er dann deutlich weniger samtig-souverän als der nominell gleich starke Dreiliter-Reihen- sechser im Mercedes, der jederzeit reproduzierbar und verlässlich liefert.
Zwar profitiert auch der hochmoderne, aufwendig abgasgereinigte M 256 von der 48-Volt-Mildhybridisierung, lässt sich sanft vom ISG (integrierter Startergenerator) boosten, gewinnt unmerklich Energie zurück, etwa beim Bremsen oder durch Lastpunktverschiebung. Doch im Kern bleibt er, wer er ist: ein zupackender Dreiliter mit Reserven. Dessen 500 Newtonmeter per Neungangautomatik und Allradantrieb verwaltet werden. Mit einer grundsätzlich unauffälligen Automatik made by Mercedes, die kleine Drehzahlsprünge sowie selbst bei hohen Tempi niedrige Drehzahlen ermöglicht. Einziges Manko: gelegentliche überraschende Ruckler, etwa beim Wiederbeschleunigen aus mittleren Geschwindigkeiten oder beim Rumrollen in der Stadt. Ein Phänomen, das auch schon bei anderen Testwagen mit diesem Getriebe auftrat.

Der A7 kennt so was nicht, überzeugt dafür mit einem angenehm zielführenden Effizienzassistenten. Solche Dinger können ja gehörig nerven, doch dem Gaslupfen-Symbol samt leichtem Impuls im Gaspedal gelingt es, vorausschauendes Fahren ganz beiläufig zu fördern. Ohne Besserwisserei oder störendes Eingreifen wie beim Spurhalter kann das helfen, den Verbrauch zu drücken. Denn: Normal gefahren unterscheiden sich die beiden Fullsize-Coupé-Limousinen kaum, kommen mit unter zehn Litern gut klar, wobei der CLS-Pilot im Schnitt einen halben Liter mehr einplanen muss. Außer der A7-Fahrer ist Ladesäulen-Junkie. Dann kann er das Abfackeln fossiler Reserven unter seiner Alu-Motorhaube deutlich stärker reduzieren – speziell auf Kurzstrecken mit Kaltstart ideal.
Bei beiden ideal: ihre Top-Scheinwerfer (LED), bestehend aus blendfreiem Fernlicht mit Ausschneidefunktion plus Reichweitenverlängerung bis etwa 600 Meter. Beim Audi optional per Laser, beim Mercedes vom komplett optionalen LED selbst erzeugt. Beide strahlen enorm hell und weit, der Audi segmentiert und regelt insgesamt etwas auffälliger, während der Mercedes sanfter und fließender regelt. Da könnten ruhig mal wieder Münder offen stehen ...