Aston Martin, das waren in den 2000er-Jahren immer Sportwagen mit bildhübschem Design, die stets von hochemotionalen Saugmotor-Triebwerken mit acht oder zwölf Zylindern befeuert wurden. Zurückhaltende Eleganz traf auf ein großvolumiges Aggregat mit himmlischem Klang – mehr Kaufgründe brauchte es über fast zwei Jahrzehnte nicht. Wem ein Ferrari oder Lamborghini zu krawallig und ein Porsche 911 nicht selten genug war, der fand sich schnell bei den Sportlern aus dem britischen Gaydon wieder.
Doch speziell am Beispiel des Einstiegsmodells Vantage zeigte sich, dass irgendwann Schönheit und Klang alleine nicht mehr ziehen. Gerade aus fahrdynamischer Sicht war der Ur-Vantage nach zwölf Jahren Bauzeit hoffnungslos veraltet. Aston Martin schnitt die alten Zöpfe konsequent ab – zwischen DB11 (ab 2016) und DBS Superleggera (ab 2018) ging Ende 2017 auch ein völlig neues Vantage-Modell an den Start.
Einen Aston Martin hat man früher nicht wegen einer auf der Nordschleife beworbenen Rundenzeit gekauft, und sie ist auch heute nicht das ausschlaggebende Kaufkriterium. Und trotzdem wedele ich hier gerade in der Aufwärmrunde hinter dem Safety-Car der Nordschleifen-Streckensicherung her. Gleich fällt der Startschuss für die schnelle Runde und damit auch die neue Aston-Zeitrechnung im Supertest.
Biturbo: der richtige Schritt!
Dass sich auch aus fahrdynamischer Sicht einiges bei Aston Martin getan hat, durfte ich schon im frühen Entwicklungsstadium des Vantage, weit vor dessen Serienanlauf, erfahren. Matt Becker (Aston Martin Chief Engineer Vehicle Engineering) und sein Entwicklungsteam hatten mich auf den European Proving Ground, das Bridgestone-Testzentrum in Aprilia bei Rom, eingeladen. Hier wuselte es nur so von bis zur Unkenntlichkeit getarnten Erlkönigen zahlreicher Hersteller. Unter einem dieser Tarnbomber steckten der neue Antriebsstrang und das Chassis des neuen Vantage. Ersteindruck damals: viel Power, guter Grip und eine Fahrpräzision, die deutlich besser war als bei allen anderen Aston-Martin-Modellen bisher.

Allein die Tatsache, dass sich Aston Martin ab Anfang 2015 die Dienste von Matt Becker gesichert hatte, war ein Zeichen, dass hier eine neue Marschroute eingeschlagen wurde. Becker war zuvor 26 Jahre für die britische Traditionsschmiede Lotus tätig und hat quasi alle dem Thema Fahrdynamik zuträglichen Kniffe mit der Muttermilch aufgesogen. Doch natürlich weht der neue Wind nicht allein durch Chef-Ingenieur Becker, sondern durch die Mitglieder des ganzen Entwicklungsteams, die alle zusammen gute Arbeit geleistet haben.
Ein erfolgreicher Baustein steckt außerdem hinter der neuen Kooperation zwischen Aston Martin und Mercedes-AMG. Die Briten trennten sich von den eigenentwickelten Saugmotoren, und im Zentrum besagter Kooperation steht nun der Vierliter-V8-Biturbo. Der M 177 (so sein AMG-interner Rufname) ist in der 510-PS-Leistungsstufe aus unterschiedlichen AMG-Derivaten ja schon hinlänglich bekannt.
Ähnlich wie beim Aston Martin DB11 ist seine Transplantation auch in den Vantage ein echter Glücksgriff. So sehr ich auch Saugmotor-Fan bin und so unfassbar grandios der 4,7-Liter-V8 mit 446 PS im finalen GT8-Sondermodell der ersten Vantage-Baureihe geklungen hat – das neue Triebwerk war der richtige Schritt und hilft Aston Martin, zukunftsfähig zu bleiben.
Willige Gasannahme und ein kräftiger Punch, der über einen weiten Dreh zahlbereich abrufbar ist – aus Performance-Sicht muss man dem Saugmotor keine Träne nachweinen. 13,0 Sekunden aus dem Stand auf 200 km/h sind ein Wort! Der Vantage GT8 mühte sich bei selbiger Sprintübung in gedehnten 15,6 Sekunden ab. Doch eigentlich ist das radikale GT8-Sondermodell ja gar nicht der richtige Vergleichskandidat. Lang, lang ist’s her, als sich der Ur-Vantage, damals noch mit 4,3-Liter-V8-Sauger und schmächtigen 385 PS, im Supertest präsentierte. Die sport auto-Ausgabe 10/2005 hat genauso Patina angesetzt wie sein damaliger 0–200-km/h- Wert: 18,8 Sekunden.
Zurück zur Nordschleife, Streckenabschnitt T13, die Zeit läuft! Während der Vantage die erste Linkskurve der Nordschleife wegfrühstückt, schnell noch ein Wort zur Sitzposition: Verbundenheit. Der Vantage ist keiner von diesen Sportlern, die einen unters Dach zwängen oder in ihrem Gestühl hin- und herschunkeln. Sitzhöhe, Sitzposition, Seitenhalt und Lenkradjustierung liefern sowohl für den Alltag als auch für die Rennstrecke eine sehr gute Sitzposition. Die integrierende Ergonomie ist hervorragend gelungen. Für das Gefühl der Verbundenheit sorgt auch die hochgezogene Seitenlinie, die fast auf Schulterhöhe liegt.
Die Schaltwippen-Tradition hat sich Aston Martin derweil erhalten – fest stehend statt mitdrehend. Die Konstruktion der Schaltwippen ist genauso Geschmackssache wie die Barrique-Note eines Weines – die einen schwören darauf, während andere abwinken. Ich stehe auf mitdrehende Schaltwippen, da man zu keiner Zeit im Grenzbereich auch nur eine Hand vom Lenkrad nehmen muss, um beispielsweise kurz vor dem Kurvenausgang hochzuschalten.

Apropos schalten. Was musste sich Aston Martin beim Vorgängermodell für das automatisierte Getriebe mit seinen kaugummizähen Schaltpausen im Teillastbetrieb verprügeln lassen. Zu Recht: Speziell dieses Getriebe zeigte, bei allem Ideenreichtum der Aston-Macher für Sondermodelle à la GT8, wie veraltet das Konzept des Ur-Vantage eigentlich schon war. Während man den Vorgänger lieber mit Handschalter geordert hat, macht die Achtgangautomatik von ZF ihren Job im aktuellen Vantage richtig gut – komfortable und kaum spürbare Gangwechsel im Automatikmodus, schnelle Schaltvorgänge im manuellen Getriebemodus.
Handschalter reduziert Kilos!
Warum wurde nicht gleich das auf 200 Exemplare limitierte Sondermodell Vantage AMR mit Handschalter und Keramikbremsanlage gesupertestet? Berechtigte Frage! Schnelle Antwort: Weil zum Zeitpunkt des Supertests ein Vantage AMR noch nicht als Testwagen verfügbar war. Rund 100 Kilo soll die Kombination aus manuellem Getriebe (erster Gang übrigens unten links: herrlich!), Keramikbremsanlage und einigen Carbonbauteilen sparen. Ab diesem Jahr gibt es den Handschalter dann auch für den „normalen“ Vantage.
Klingt gut. Beim Thema Gewicht sollte Chief Engineer Becker in Zukunft noch mehr auf seine Vergangenheit bei der Leichtbauschmiede Lotus pochen. Mit einem Gewicht von 1.710 Kilo kann der Automatik-Vantage den Wohlstandsspeck nicht verheimlichen.
Sowohl der Antriebsstrang als auch das Adaptivfahrwerk lassen sich unabhängig voneinander in den Einstellungen Sport, Sport plus und Track justieren. Für den Rennstreckenbesuch im Allgemeinen wie auch für den Nordschleifen-Ausflug im Speziellen kann man problemlos sofort jeweils in die Track-Abstimmung wechseln. Der Name ist hier Programm. Nicht nur die Schaltvorgänge gehen dann noch schneller über die Bühne, auch die Dämpferkennlinie fällt so noch kerniger aus. Insgesamt erhöht sich die ganze Fahrpräzision beim neuen Vantage auch schon durch die spürbar gesteigerte Chassissteifigkeit im Vergleich zum Vorgänger.

Die im Alltag zuweilen sehr schroffe und rustikal wirkende Hydrauliklenkung des Vorgängers ist Geschichte. In der Neuauflage arbeitet eine elektromechanische Adaptivlenkung, welche die ganze Bandbreite beherrscht – von relativ leichtgängig und komfortabel bis hin zu einem gestrafften Handmoment im Track-Modus.
Kumpel auf der Nordschleife?
Und wie fährt sich der Neue auf der Nordschleife? Der Aston Martin Vantage ist einer, der einem im Grenzbereich relativ schnell das Du anbietet und zum Kumpeltyp wird. Dank der Fahrbarkeit kann man sich schnell und mühelos ans Limit herantasten. Bereits am Eingang zu den Hatzenbach-Wechselkurven präsentiert der Vantage das Fahrverhalten, das die ganze Nordschleifen-Runde prägen wird.
Im ersten Anlenkmoment reagiert der Vantage mit recht spontanem Einlenkverhalten, das sich dann aber zu einem leicht auswischenden Einlenkuntersteuern der Vorderachse verwandelt. Beim Herausbeschleunigen drückt anschließend das Heck in leichtes Leistungsübersteuern. Um den Vantage so neutral wie möglich über den Kurs zu bewegen, sollte man nicht die Vorderachse schon am Kurveneingang überfordern und zu spät in die Kurven reinbremsen. Ab dem Scheitelpunkt sollte zudem das Gaspedal nicht allzu digital malträtiert werden. Eine progressive und runde Fahrweise ist besonders beim Vantage der Schlüssel zum Erfolg im Grenzbereich.
Motor hinter der Vorderachse, Getriebe in Transaxle-Anordnung im Heck – dem Entwicklungsteam ist es gelungen, dem Vantage die für einen Sportwagen nahezu ideale Gewichtsverteilung von fast 50 : 50 Prozent mit auf den Weg zu geben. Dadurch verkneift sich der Brite übrigens auch übermäßige Lastwechselreaktionen. Wenn das Heck dann doch einmal regiert, dann läuft das Eigenlenkverhalten eher sanft ab und der Vantage kann mit einer kleinen Lenkradkorrektur spielerisch auf Kurs gehalten werden.
Optimierungspotenzial bietet die ABS-Abstimmung. In bergab liegenden Anbremszonen (beispielsweise Aremberg, Kallenhard) könnte die Regelung homogener sein. Schon bei der Standardbremsung aus 100 km/h im temperierten Betriebszustand zeigte sich, dass die Bremsanlage zwar überaus standfest reagiert, der Bremsweg mit 35,0 Metern aber nur Durchschnitt ist.
An der Dimensionierung der Bremsanlage oder dem guten Gripniveau der speziell für den Vantage ausgelegten Pirelli-Pneus liegt das sicherlich nicht – eher an den Regelalgorithmen des ABS. Insgesamt bleibt die Bremsanlage den Strapazen auf der Nordschleife jederzeit gewachsen und zeigt sich standfest. Der Rest ist Feintuning, das man vielleicht zum kommenden Modelljahr noch ändern könnte.

Auch in den schnellen Nordschleifen-Passagen verhält sich der Vantage gutmütig und weitgehend unauffällig. Wer es puristisch mag und richtig im Grenzbereich arbeiten will, der kann das ESP komplett deaktivieren. Die Tendenz zum Leistungsübersteuern verlangt dann aber nach einem sensibleren Gasfuß. Wer sich etwas Reserven im absoluten Grenzbereich erhalten will, dem sei der ESP-Track-Modus empfohlen. Gerade an kitzeligen Highspeed-Stellen, wie beispielsweise am großen Sprunghügel, bei dem die Hinterachse unter Last recht stark entlastet wird, oder bei den anschließenden Highspeed-Richtungswechseln im Bellof-S gibt die einer Traktionskontrolle ähnelnde und minimal regelnde ESP-Funktion viel Vertrauen. Und Vertrauen am Limit macht ja bekanntlich schneller.
Schwalbenschwanz, Galgenkopf, Döttinger Höhe – nach 7.44 Minuten huscht der Vantage ins Ziel. 19 beziehungsweise 29 Sekunden schneller als das thematisierte Vorgängermodell des Ur-Vantage (2005: 8.03 min mit Pirelli-P-Zero-Corsa-Sportreifen, 8.13 mit Serienreifen Bridgestone Potenza RE 50). Für diesen Fortschritt hat die Entwicklungstruppe ein Lob verdient.
Aber er ist ja gar nicht der Schnellste im Konkurrenz-Umfeld? Das will der Vantage auch gar nicht sein. Vielmehr wollte er den Anschlusstreffer erzielen und zur Spitzengruppe wieder aufschließen. Das neue Modell versteht sich als gelungene Basis, auf der es aufzubauen gilt.
Aston Martin Vantage 4.0 V8 | |
Grundpreis | 152.000 € |
Außenmaße | 4465 x 1942 x 1274 mm |
Kofferraumvolumen | 270 l |
Hubraum / Motor | 3982 cm³ / 8-Zylinder |
Leistung | 375 kW / 510 PS bei 6000 U/min |
Höchstgeschwindigkeit | 314 km/h |
0-100 km/h | 4,1 s |
Verbrauch | 10,3 l/100 km |