Mit diesen offiziellen Nordschleifen-Videos ist das ja so eine Sache, einfach weil man nie genau weiß, in welchem Zustand das entsprechende Auto war – beziehungsweise wie nah es am Serienzustand war. Es kursieren jedenfalls die wildesten Gerüchte durch die Eifel, welch hergerichtete Kisten da bisweilen zum Einsatz kommen – wobei solche Aussagen wiederum mit Vorsicht zu genießen sind in einer Branche, in der der eine dem anderen nicht mal den Dreck unter den Fingernägeln gönnt.
Alfa Romeo Giulia ein leidenschaftlich vorgetragenes All-in
Diskutiert wird momentan vor allem über Alfa Romeo. Die haben mit ihrer Giulia QV eine 7.32-Minuten-Runde hingelegt, was den Wagen per Ring-Definition zur schnellsten Limousine macht – und speziell in Zuffenhausen für finstere Mienen gesorgt haben dürfte. Erstens feierte man dort gerade den Porsche Panamera für denselben Rekord – bis dato eben; und zweitens gab es dann doch gewisse Unterschiede in der Herangehensweise, die dem Ganzen ein bitteres Gschmäckle gaben: Denn während Porsche nichts, aber auch gar nichts dem Zufall überließ, das Auto mit einem Käfig einrüstete und den Fahrer von Kopf bis Fuß feuerfest verpackte, sieht es bei den Italienern so aus, als hätte sich zwischen zwei Espressi schnell mal jemand hinters Lenkrad gehockt und die Zeit hingeknallt. Kurzärmliges T-Shirt, Jeans – immerhin einen Helm hat sich der Kollege übergestülpt.
Und dann fährt der da, als gäbe es kein Morgen mehr – gelegentlich am Limit, meistens darüber, und zwar derart, dass wir hier schon gewitzelt haben, ob vorher nicht vielleicht Herr Corleone höchstpersönlich bei ihm durchgeklingelt hat, um ihm zu verklickern, was er abzuliefern habe. Oder besser: dass er mit weniger gar nicht erst wiederzukommen brauche.
Oben am Adenauer Forst droht die wilde Fahrt das erste Mal kapital schiefzugehen, und auch danach hängt der Erfolg des Unterfangens mehrfach am seidenen Faden. Aber was schreib ich da lang herum:
Vor allem jedoch versinnbildlicht sie das Auto, das sich damit schmückt. Ganz unabhängig davon, wie die Runde am Ende zustande kam, mit wie viel Dusel, mit wie viel Wahnsinn, mit wie viel Geschick oder weil man bei den Reifen geschummelt hat, ganz egal, sie ist wie die Alfa Romeo Giulia selbst: ein Herzblutbad, ein leidenschaftlich vorgetragenes All-in, das am Ende aufgegangen ist. Haarscharf, aber vollends.
Alfa Romeo Giulia Quadrifoglio mit 2,9-Liter-Biturbo-V6
Über Äußerlichkeiten brauchen wir gar nicht zu reden. Klar sieht die Alfa Romeo Giulia fantastisch aus, aber das tat so ein Brera damals auch, was ihn nicht davon abgehalten hat, ein sehr mittelmäßiges Auto zu sein. Sie hier jedoch hält, was sie verspricht, und das merkst du schon beim Einsteigen. Die Ergonomie ist besser als in jedem Alfa zuvor, ich betone: in jedem, schon weil man richtig tief sitzt in der Alfa Romeo Giulia Quadrifoglio, ein ganzes Stockwerk tiefer als im Mercedes-AMG C 63 S, den wir der hübschen Italienerin mal als Messlatte vorgelegt haben. Das Lenkrad lässt sich fast bis an den Brustkorb heranziehen, die Höhleninstrumente arbeiten analog, und rechter Hand stecken sechs Gänge im Ledersäckchen, die man noch manuell in ihre Gassen stecken darf – in etwas lang geratene leider.
Dennoch: Man merkt einfach, dass da viel Hirnschmalz drinsteckt, dass man genau überlegt hat, wie man Markenidentität bewahrt, was man will und wo man hinwill damit. Und man will vor allem eines: zurück nach oben. Die Giulia ist vielleicht nur der nächste in einer langen Liste designierter Hoffnungsträger, aber sie ist eben der erste, der diese vielen Hoffnungen auch tragen kann. Auch weil alle mit anpacken. Alle, das sind im Allgemeinen der Fiat-Chrysler-Konzern, der Geld lockergemacht hat für die Neuentwicklung der Hinterradantriebs-Architektur. Das sind aber auch die kleinen Mitglieder des Konsortiums, zu denen praktischerweise eben auch Ferrari gehört.
Maranello bringt sich vor allem beim Motor ein. Der V6-Biturbomotor, der mit dem Großteil seines Eigengewichts hinter der Vorderachse sitzt, ist ein ganz enger Verwandter des V8-Aggregats aus dem 488 GTB, manche sagen sogar, er sei im Prinzip eine eingekürzte Adaption davon. 510 PS holt der 2,9-Liter aus sich heraus. Das ist exakt so viel wie beim 1.091 Kubik üppigeren Mercedes-AMG C 63 S und neben dem Hinterradantrieb die einzig echte Gemeinsamkeit der zwei.
Der Mercedes ist ein V8 mit allem, was dazugehört: voluminös und muskelschmalzig. Zwei Lader generieren 700 Nm, die mit unfassbarer Wucht Richtung Hinterachse treten. Anfangs hat der C 63 auch ganz schön einzustecken, dann jedoch verbündet er sich mit der Kavallerie und fightet vorwärts. Die rabiaten Gangwechsel des Siebengangautomaten heizen die Stimmung an, das derbe Trommeln der Abgasanlage dramatisiert sie, sodass einem so ein vierblättriges Kleeblatt im ersten Moment wie eine Mimose vorkommt.

Mercedes-AMG C 63 S gummiqualmt an der Hinterachse
Mit anderen Worten: Die Alfa Romeo Giulia Quadrifoglio ist weitaus zierlicher, ihres Namens wegen, im Gewicht, aber auch in ihrer Art, sich darzustellen. Die Karosserie mit Kohlefaserkomponenten ist ein Mix aus Cocktaildress und Muskelshirt, der Schub intensiv, aber lang nicht so aufgewühlt wie im Mercedes-AMG C 63 S und das Fahrgefühl entsprechend gesitteter, was mit dem Motor an sich zu tun hat, aber vor allem auch mit dem Getriebe. Genauer gesagt: mit der Getriebeübersetzung, die die 600 Nm eher ausdehnt als bündelt.
An Traktion hapert's demzufolge nicht, anderswo dafür umso mehr. Erklären wir es so: Kraft ist wie Wasser. Sie fließt den Weg des geringsten Widerstands, und bei diesen beiden ist der Kanal zwischen Quelle und Mündung anscheinend nicht ganz dicht. Beim Mercedes zum Beispiel befindet sich das Leck zwischen Reifen und Asphalt. Ist der Druck zu hoch, verpufft der Überschuss im Test in Form von Gummiqualm. Die Hinterräder der Giulia indes wollen partout nicht lockerlassen, was großartig wäre, gäbe es nicht im Bereich der Hinterachse ein schwaches Glied.
Deren Anbindung ist offenbar zu weich, um dem Drehmomentangriff standzuhalten. Folge: Sobald der Schub ein kritisches Maß erreicht oder ein Gangwechsel rabiat ausfällt, gerät das gesamte Konstrukt brutal ins Schlackern und rüttelt im Heck herum. Erst wenn sich die Kinematik wieder eingerenkt hat, stretcht sich die Signorina standesgemäß voran. Straff im Gasansatz, fulminant in der Drehzahlmitte und erst ganz oben mit leichten Ausleierungserscheinungen.
Intoniert wird das Spektakel vom mechanischen Knurren des Sechszylinders, dem dezenten Schnauben der Lader und dem Röhren der Abgasanlage, das Alfa leider jedoch in die stark standardisierte Fahrprogrammsystematik verstrickt. Im Gegensatz zum C 63, bei dem man sich alle Dynamikkomponenten vollflexibel zusammenpuzzeln kann, koppelt die Giulia Auspuffsound, Ansprechverhalten und das ESP an die Hauptprogramme. Sprich: Im Normalmodus bleiben Klang und Reaktionsvermögen fromm, „Dynamic“ schärft nach, „Race“ entfaltet ihre volle Pracht – allerdings ist man dort stets ohne Stabilitätselektronik unterwegs.
Untersteuern? Nicht mit der Alfa Romeo Giulia Quadrifoglio
Unabhängig einstellen lässt sich nur die Dämpfung, halbwegs unabhängig wenigstens. Pro Modus stehen zwei der drei Härtegrade zur Wahl. In „Normal“ lässt sich also nachhärten, in „Race“ weicher machen. Und vor allem Letzteres ist essenziell, da die extremste Fahrwerksstufe Karosseriebewegungen ebenso killt wie den letzten Rest Komfort.
Für den Alltagssport genügt jedenfalls bereits die Ausgangsposition. Sie lässt zwar ein wenig Spiel in der Kinematik, die aggressive Gesamtabstimmung kommt dennoch bereits voll zur Geltung. Was mich gewundert hat: Egal was man über die Giulia gelesen hat in letzter Zeit, alles drehte sich immer nur um ihr Hinterachsdifferenzial, das die Kraft über zwei Kupplungen an die Räder verteilt – also praktisch so wie beim Focus RS. Die eigentliche Sensation liegt meines Erachtens jedoch gegenüber – in der Vorderachse. Sie reagiert seziermesserscharf auf minimalste Korrekturen, keilt den Vorbau, wenn's sein muss, aber auch wie mit dem Beil ins Eck. Untersteuern? Ein Ding der Unmöglichkeit – vorausgesetzt, die Reifen sind warm.
Und damit wären wir bei einem heiklen Thema. Denn die Giulia Quadrifoglio wird ausschließlich mit Sportreifen ausgeliefert, mit relativ großzügig profilierten zwar, aber mit Sportreifen. Und Sportreifen brauchen Temperatur. Haben sie die, ist die Giulia wie auf die Straße laminiert, haben sie sie nicht, muss man ganz schön Obacht geben.

Viele Kompromisse, wenig Ertrag
Gleiches gilt natürlich auch für den Mercedes, mit dem feinen Unterschied, dass AMG einem die Wahl lässt, statt einen dazu zu verdonnern. Aus gutem Grund! Denn im Gegensatz zu den Corsa-Pirellis des Alfa, die sich auch im Spätherbst nach zwei, drei Kilometern einigermaßen warm gerieben haben, bekommt der Mercedes-AMG C 63 S seinen Michelin Cup 2 nicht ans Arbeiten. Permanentes Rubbeln über die Vorderräder, Akkordarbeit für die Traktionselektronik – wie auf rohen Eiern.
Doch all das wäre verschmerzbar, würde das Handling davon profitieren. Bloß, das tut es nicht. In Hockenheim steigen durch das erhöhte Gripniveau zwar die Kurvengeschwindigkeiten, und natürlich sinkt so am Ende auch die Rundenzeit, die Beziehung zwischen Mensch und Maschine jedoch bleibt angespannt. Dabei hat der C 63 S im Test eigentlich die richtigen Anlagen. Das spürt man auf der Landstraße oder wenn man ihn so mit 95 Prozent seines theoretischen Potenzials um den Kurs treibt. Dann lenkt er hochexakt ein, klammert am Kurvenverlauf und stemmt sich stabil aus Radien jeder Art. Sobald du aber das letzte Quäntchen abrufen willst, wird er irgendwie schusselig.
Hauptproblem ist die Sperre. Wie im Alfa handelt es sich auch hier um ein elektronisch gesteuertes System. Heißt: Es gibt die Mechanik und eine Kommandozentrale, die dieser Mechanik sagt, was sie zu tun hat. Und irgendwo in dieser Kommunikationskette läuft was verkehrt. Unsere Vermutung: Der Befehl zum Zumachen kommt zu früh. Dafür spricht der labile Traktionsaufbau im Grenzbereich ebenso wie die Tatsache, dass der C 63 sogar in der leichten Links nach der Ameisenkurve in Quersteher schnappt – als erstes und einziges Testauto bislang.
Die Alfa Romeo Giulia Quadrifoglio wirkt im Test jedenfalls nicht halb so ungestüm – um nicht zu sagen: Sie wirkt zahm, um Welten zahmer, als es auf der Landstraße noch den Anschein hatte. Beim Anbremsen und Einlenken ist noch alles schick. Erst staucht ihr die optionale Keramikanlage die 1.686 Kilo souverän zusammen, dann schlenzt sie mithilfe der aktiven Drehmomentverteilung wunderbar agil ins Eck. Allerdings – und das ist die Krux – kann sie diesen leichten Effet nicht den gesamten Kurvenverlauf aufrechterhalten, so wie das so ein M3 beherrscht. Stattdessen hängt sie auf einmal ziemlich in den Seilen, ehe ihr die Antriebskraft beim Herausbeschleunigen wieder die Hinterachse durchnoddelt – die weiche Anbindung, Sie erinnern sich. Ganz ehrlich? Die mordsmäßige Gaudi ist das auf der Strecke nicht, und objektiv gesehen fehlt zur Mercedes-Zeit auch ein gutes Stück.
Allerdings ändert das eben nichts an der Tatsache, dass die Giulia am Ende die bestbewertete Power-Limo der sport auto-Geschichte ist – womit die Alfisti gleich den nächsten Rekord zu feiern hätten und die grantigen Zuffenhausener fortan wenigstens Leidensgenossen in Affalterbach, Garching und Neckarsulm haben.
Alfa Romeo Giulia 2.9 V6 Quadrifoglio | Mercedes AMG C 63 S Mercedes-AMG S | |
Grundpreis | 72.800 € | 84.669 € |
Außenmaße | 4639 x 1873 x 1426 mm | 4686 x 1810 x 1442 mm |
Kofferraumvolumen | 480 l | 480 l |
Hubraum / Motor | 2891 cm³ / 6-Zylinder | 3982 cm³ / 8-Zylinder |
Leistung | 375 kW / 510 PS bei 6500 U/min | 375 kW / 510 PS bei 5500 U/min |
Höchstgeschwindigkeit | 307 km/h | 250 km/h |
0-100 km/h | 4,3 s | 4,2 s |
Verbrauch | 8,5 l/100 km | 8,2 l/100 km |