Autonomes Fahren: So weit ist die Technik

Autonomes Fahren
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So weit ist die Technik

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Bevor wir wirklich vollautomatisiert von unserem Auto nach Hause chauffiert werden, muss noch viel passieren – technisch, rechtlich und gesellschaftlich. Eine Bestandsaufnahme.

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Las Vegas und Bruchsal – die Schauplätze könnten unterschiedlicher nicht sein. Aber egal ob schillerndes Spielerparadies oder verschlafene Kleinstadt im Badischen, in beiden fährt schon die Zukunft des Autos.

Wie ein A6 komplett selbstständig seinen Weg zum Stellplatz im Parkhaus findet und autonom über den Highway pilotiert, zeigte Audi schon im letzten Jahr auf der Consumer Electronics Show in Las Vegas. Dieses Jahr war BMW dort an der Reihe mit dem autonomen Showeffekt: Driften, ohne die Hände am Steuer zu haben. Das mag auf den ersten Blick wie eine sinnlose Spielerei wirken, doch laut Werner Huber, Leiter der Forschungsgruppe Fahrerassistenz bei BMW, liefert es wichtige Erkenntnisse darüber, wie ein selbstständig fahrendes Auto auch im Grenzbereich stabil bleibt. So kann sich der Fahrer sicher sein, dass sein Auto selbst dann kritische Situationen wie zum Beispiel Aquaplaning meistert.

Selbst im Grenzbereich autonom

Der Versuchsträger mit Hang zu Extremsituationen wuselt wie ein guter Testfahrer durch den Slalom-Parcours, erkennt den aktuellen Reibwert der Straße und macht sich bei Bedarf breit wie ein Oktoberfest-Besucher nach einigen Maß zu viel. Mit dem Unterschied, dass seine eigens entwickelten Regelsysteme dabei volle Kontrolle behalten. Die Differenzierung kommt wie bei allen zukünftigen autonomen Systemen vor allem durch den exakt dosierten Lenkeingriff. Selbstständig Gas gebende und bremsende Autos kennen wir schon von den modernen Abstandsregeltempomaten, die inzwischen eine hohe Reife erreicht haben.

Gas und Bremsen schon im Griff

Jetzt ist das Lenken dran, nicht nur kurzfristig, sondern auch über lange Strecken und in schwierigen Situationen. Lenkeingriffe stabilisieren das Auto zudem im Grenzbereich viel harmonischer als Bremsmanöver.

Doch das autonome Fahren beinhaltet viel mehr als nur die reine Längs- und Querführung. Vor allem die exakte Umfeldbeobachtung mit Radar-, Laser-, Kamera- und Ultraschallsensoren bedeutet für die Hersteller noch eine gewaltige Aufgabe. Zum einen müssen die Daten der Systeme via Sensorfusion zu einem möglichst perfekten 360-Grad-Bild zusammengesetzt werden, zum anderen erfordert die Interpretation noch viel Erfahrung und damit Hunderttausende Testkilometer: Bei der selbstfahrenden S-Klasse von Mercedes fallen pro Stunde gewaltige 300 Gigabyte zu interpretierende Daten an. Viele Sensoren wie Radar oder Stereokamera sind jetzt schon leistungsfähig und bezahlbar, andere wie Laserscanner (liefert 3-D-Bilder) brauchen noch Zeit.

Vier Fälle autonomen Fahrens

Prinzipiell unterscheiden die Hersteller vier Fälle: das assistierte, teil-, hoch- und vollautomatisierte Fahren. Assistiert werden wir jetzt schon durch ESP oder Abstandsregeltempomat. Beim teilautomatisierten Fahren muss der Pilot die Fahraufgabe überwachen, zum Beispiel bei einem Stauassistenten, der in einem begrenzten Geschwindigkeitsbereich Bremsen, Gasgeben und Lenken übernimmt. Der Fahrer ist im „Loop“, wie die Entwickler sagen, und damit ist es rechtlich unbedenklich.

Beim hochautomatisierten Fahren steuert sich das Auto in vielen Situationen selbstständig, und der Pilot kann währenddessen lesen oder E-Mails schreiben, was rechtlich aber verboten ist. Der Fahrer kann jederzeit eingreifen, ist aber keine Notfalloption. Diese Funktion erwarten die Hersteller ab 2020. Beim vollautomatisierten Fahren wird der Fahrer vollends zum Passagier und kann sogar auf der Rückbank sitzen. Das eigene Auto wird zum Taxi ohne menschlichen Eingriff. Im niedrigen Geschwindigkeitsbereich, beim Einfahren in die Garage, ist das laut Huber schon in ein paar Jahren vorstellbar, aber bis wir uns wirklich nach Hause chauffieren lassen können, wird es wohl 2030. Vorher müssen viele Hürden aus dem Weg geräumt werden.

Noch viele Hürden zu meistern

So ist die derzeit verwendete digitale Straßenkarte unserer Navigationssysteme nicht genau genug. Alle Hersteller verwenden hier auf den Versuchsstrecken eigene, viel exaktere Karten. Um in Zukunft eine metergenaue Positionierung zu erreichen, müssen völlig neue Karten erstellt werden. BMW denkt dabei laut Huber an Karten, die sich selbst erstellen. Dabei werden ähnlich wie bei den heutigen Live-Staudiensten die von jedem Autofahrer absolvierten Strecken statistisch gemittelt und zu einem hochgenauen Straßenbild zusammengefügt. Auch die kommende, exaktere Satelliten-Navigation Galileo kann hier zu einer präziseren Navigation führen. Ebenso ist die Ampelerkennung laut Mercedes noch sehr schwierig, da in größerer Entfernung nur noch wenige Pixel auf der Kamera ankommen. Hier könnte die baldige Einführung von Kommunikationssystemen helfen, mit denen Autos via WLAN nicht nur untereinander Verkehrsinfos austauschen, sondern auch mit der Infrastruktur (Ampeln, Krankenwagen). Der Schwierigkeitsgrad autonomen Fahrens wächst dabei von der eher einfachen Autobahn bis hin zum hochkomplexen Stadtverkehr.

Doch die allergrößte Hürde wartet auf die Hersteller noch im rechtlichen Bereich und in der gesellschaftlichen Akzeptanz. Wer haftet in Zukunft bei einem Unfall? Wie muss ein Auto reagieren, wenn es sich zwischen mehreren Unfallvarianten entscheiden muss? Und akzeptieren wir die Roboterautos?

Autonomes Fahren: Neulich bei Google

Auf dem Google-Firmengelände autonom Fahrrad fahren: kein Problem. Das Google-Auto fahren? Sorry, das geht leider nicht.

Wir haben wirklich alles versucht, unsere Kontakte in Deutschland und den USA glühen lassen – aber Google will uns nicht. Also uns als Journalisten, die wir über das autonom fahrende Google-Auto berichten möchten. Persönliche Ansprechpartner gibt es sicherheitshalber erst gar nicht, eine offizielle Mailanfrage weist man nüchtern ab: keine Möglichkeit für ein Interview in Palo Alto. Doch da wir gerade in der Gegend sind, schauen wir einfach mal auf dem Google-Campus in Mountain View vorbei. Okay, auf den allgegenwärtigen, bunten Damenrädern können wir unbehelligt herumcruisen, unsere Bitte um ein Interview oder zumindest Informationen zum revolutionären Auto auf Basis des Toyota Prius bleibt dennoch erfolglos. Schöne neue Welt eben.

auto motor und sport-Kongress

Am 10. April ist es wieder so weit: Dann veranstaltet auto motor und sport seinen alljährlichen Umweltkongress mit hochkarätigen spannenden Podiumsdiskussionen und vielen Informationen zur weltweiten Entwicklung von Mobilitätstrends. Zu den Rednern zählen Winfried Hermann, Minister für Verkehr und Infrastruktur in Baden-Württemberg, Audi-Chef Rupert Stadler und Smart-Chefin Annette Winkler, die sich mit der Frage beschäftigt, ob Carsharing der Schlüssel zur Mobilität von morgen sein könnte. In den zwei Panels geht es um die Zukunft des autonomen Fahrens und die Frage, welche Folgen die dramatische Verschärfung der Emissionsgrenzwerte haben wird.

Die Chefredakteure der internationalen auto motor und sport-Partnerzeitschriften geben zudem Einblick in die Mobilitätsprobleme von Metropolen wie Peking, São Paulo, Stockholm und Istanbul. Die TU München stellt darüber hinaus ein Projekt vor, das sich mit der Frage beschäftigt, wie Mobilitätskonzepte für Afrika entwickelt werden können. Teil des Kongresses ist auch die i-Mobility-Messe mit E-Bikes, Elektroautos und Hybridfahrzeugen, die auf einem Parcours von den Besuchern selbst gefahren werden können. Anmeldungen unter www.ams-kongress.de

Fazit

Alexander Bloch über das automatisierte Fahren

Ich liebe es, Auto zu fahren. Das Gefühl, eine derartige Maschine präzise selbst unter Kontrolle zu halten und die Fahrphysik bei der Beschleunigung zu spüren, ist unbezahlbar. Egal ob ich jetzt auf einer kurvigen Bergstraße oder einer freien Autobahn bin. Doch dieses ideale Bild des Autofahrens erleben wir nur allzu selten. Die meiste Zeit suchen wir Parkplätze in der Stadt, quälen uns in Pendlerströmen, zuckeln durch mitteldichten Verkehr oder stehen gar im Stau. Das macht niemandem Spaß. Wenn mir das automatisierte Auto hier lästige Aufgaben abnehmen kann, bin ich sehr dankbar. Im Unterschied zu den öffentlichen Verkehrsmitteln bleibt es weiter mein individuelles Gefährt, das mich ohne fixe Abfahrtszeiten bis zu meiner Haustür fährt. Doch eines dürfen die Hersteller nicht vergessen: einen großen Knopf zum Abschalten. Wenn ich selbst fahren möchte, darf mir das keine Elektronik der Welt verbieten.

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