Die Zahlen, die Lilium aus seiner Firmenzentrale Weßling bei München in die Welt posaunt, klingen ziemlich beeindruckend: 300 Kilometer weit soll der Lilium Jet einmal fliegen, und zwar in nur 60 Minuten. Dabei soll das Flugtaxi fünf Personen Platz bieten – und seine Fluggäste zu einem Preis transportieren, der den einer normalen Taxifahrt nicht maßgeblich übersteigt. Schon im Jahr 2025 soll der Lilium Jet im großen Ziel als Lufttaxi in Dienst gehen und seinen Siegeszug in den Metropolen der Welt antreten.

Hoffnungsträger oder Hochstapler?
Soweit die Vision der Lilium-Gründer um CEO Daniel Wiegand. Zwar wusste schon Alt-Kanzler Helmut Schmidt, dass man mit Visionen besser zum Arzt gehen sollte, andererseits zehrt die Mobilitätsbranche ja gerade auch von den Ideen und Konzepten vermeintlicher Spinner, die die ausgetretenen Pfade verlassen und sich in neue Sphären wagen. Den Grenzen der Physik sind allerdings auch diese Menschen unterworfen – und genau hier scheint der große Schwachpunkt in Liliums PR-Konstrukt zu liegen: Im Luftfahrtmagazin aerokurier meldet ein Experte nun massive Zweifel an den technischen Grundlagen des Lilium Jets an. In einer ausführlichen Rechnung kommt der namentlich nicht genannte Fachmann zu dem Schluss, dass die postulierten Leistungsdaten für das Flugtaxi schlicht nicht machbar sind. Statt 300 schafft der Lilium Jet in der Konzeptkritik gerade mal 18 Kilometer Wegstrecke. Die maximal mögliche Schwebeflugdauer – also der Flugzustand bei Start und Landung, der besonders viel Energie frisst – errechnet der Fachmann für das von 36 Mantelpropellern angetriebene Flugtaxi mit lediglich 67,7 Sekunden. Seine Einschätzung: „Das ist beängstigend kurz“. Für bessere Ergebnisse sei die Energiedichte der gegenwärtigen Akkus, bis zu 240 Wattstunden pro Kilogramm, zu gering. Das Fazit des Fachmanns fällt entsprechend negativ aus: „Das Versprechen einer Reichweite von 300 Kilometern und einer Flugdauer von bis zu einer Stunde ist für das voll gewichtige, fünfsitzige Konzeptflugzeug mit aktueller Akkutechnologie nicht realisierbar.“ Und zwar selbst dann nicht, wenn man die Parameter der Berechnung zugunsten von Lilium frisiert: Mehr als 29 Minuten Flugzeit und 145 Kilometer Reichweite sind demnach nicht drin – bei lediglich 60 Sekunden Schwebeflug, ohne Reserven. Müsse der Lilium Jet, etwa aufgrund geltender Vorschriften, auch nur eine Minute länger schweben, bedeute dies bereits 50 Kilometer weniger Reichweite, so der Ingenieur.

Lilium weicht aus
Im Hause Lilium sieht man das naturgemäß ganz anders. Konfrontiert mit den Ergebnissen, reagiert das Unternehmen ausweichend. Den Berechnungen lägen ungenaue Parameter zugrunde, außerdem verweist Lilium auf ein Flugvideo, das den Lilium Jet zwei Minuten lang im Schwebeflug zeige. Darüber hinaus expermientiere man bereits mit neuen Akkus mit einer Energiedichte von 300 Wattstunden pro Kilogramm. Diese seien „leicht verfügbar“, wie Lilium-Pressechef Oliver Walker-Jones dem aerokurier erklärt. Doch folgt man der von dem Magazin veröffentlichten Konzeptkritik, könnten selbst diese Batterien das Grundproblem des Lilium Jets nicht lösen. Hierzu bräuchte es Akkus mit einer Energiedichte von 398 bis 650 Wattstunden pro Kilogramm – und die, so der Autor der Berechnung, könne die Lithium-Ionen-Technologie nicht liefern.
„Scheinwelt“ aus PR-Blasen
Fachkollegen pflichten dem ungenannten Autor bei: Luftfahrttechnik-Professor Erol Özger von der TH Ingolstadt hält die angenommenen Daten der Konzeptkritik sogar für „sicher noch zu optimistisch.“ Mirko Hornung von der TU München warf Lilium vor, „mit seinen Behauptungen und der hochprofessionellen PR nichts anderes als eine Scheinwelt“ zu erzeugen. „Das Fluggerät kann die postulierten Leistungsdaten bei heutigem Stand der Technik nicht erreichen“, ist sich Hornung sicher.

Investor Frank Thelen kontert
Gut möglich, dass sich dieser Umstand auch bei den Investoren des Projekts herumgesprochen hat. Auf die Nachfragen des aerokurier zum Lilium Jet reagiert zumindest einer von ihnen ziemlich dünnhäutig: Frank Thelen, bekannt aus der TV-Show „Die Höhle der Löwen“, finanziert Lilium mit seiner Firma Freigeist Capital – und hält die Kritik aus der Fachwelt für typisch deutsch: „Wir sind das Volk der Bedenkenträger. Anstatt innovative, junge Unternehmen und visionäre Gründer zu unterstützen, ersticken wir ihre innovativen Ideen mit unserer Skepsis im Keim.“ Ob Thelen und die „visionären Gründer“ am Ende trotz aller Kritik die Oberhand behalten, wird sich zeigen. Der Ball liegt bei Lilium. Aber Zweifel sind angebracht.