Vor dem erst jüngst um eine riesige Halle erweiterten Las Vegas Convention Center fällt der Westeingang zum Tunnel des Las Vegas Loop kaum auf: Nur zwei an Bahnhofsdächer erinnernde Konstruktionen scheinen aus einem großen Parkplatz herauszuschauen. Aber die Dächer sind mit Solarpanelen gepflastert und drumherum scheinen permanent zahllose Teslas herumzufahren. Wer genau hinsieht erkennt, dass einige Tesla verschwinden und andere wie aus dem Nichts wieder auftauchen. Also näher ran und nachschauen. Das hier ist der West-Hall-Eingang zum Las Vegas Convention Center Loop (LVCC Loop), den Tesla-Chef Elon Musk mit seiner Boring Company unter Las Vegas durchgebohrt hat. Teslas sollen von hier (künftig auch autonom) zur Central Hall oder zur South Hall fahren – und später einmal durch ganz Las Vegas. Im Rahmen der CES lässt Elon Musk eine Menge Teslas permanent mit Fahrgästen durch den Tunnel fahren – also probieren wir das auch aus.
Weißer Tunnel
Ein weißes Tesla Model 3 hält in der Parkbucht neben mir, der Fahrer bittet mich freundlich herein. Ab auf den Beifahrersitz und los geht’s – mit klassisch entspanntem Ami-Smalltalk: "Woher kommst Du? Aha – da kenne ich jemanden …" Der junge Fahrer zieht zwei Kurven um den überirdischen Bahnhof und dann geht es in den Untergrund. Die Wände wirken bedrohlich dunkel – aber das gilt nur für den Tunnel-Eingangsbereich. Ruckzuck gleiten wir durch eine enge weiße Röhre: "Die kann nicht teuer gewesen sein!" ist mein erster Gedanke. Noch nie bin ich durch einen so engen Tunnel gefahren. Die Röhre hat einen Durchmesser von gut 3,66 Metern – aber, weil sie weiß lackiert ist, wirkt sie etwas geräumiger. Der Fahrer bedauert noch, dass dieses Mal die Lichter nicht eingeschaltet seien – normalerweise sorgt buntes Licht für Stimmung. Uns muss dieses Mal weißes Licht reichen.

Saubere Luft und fehlende Autonomie
Gedacht ist der Tunnel für autonomes Fahren – und dafür hat Musks Boring Company jede Menge Elemente an den Tunnelwänden angebracht. An denen können sich die Sensoren der Tesla-Modelle besonders gut orientieren. Aber die Stadt Las Vegas hat den Tunnel noch nicht für den autonomen Fahrbetrieb freigegeben. Der Fahrer lacht: "Ich fahre – wenn etwas passiert, bin ich schuld." Auf die Frage, ob die Fahrt Spaß mache, betont er, dass es toll sei, ohne Emissionen durch den Tunnel zu fahren. Und in der Tat: Bei geöffnetem Fenster riecht hier natürlich nichts nach Abgasen. Die Luft ist trotz keinerlei sichtbaren Lüftungssystemen gut – weder muffig noch mit Reifenqualm verseucht. Wir gleiten weiter und erreichen zwischendurch maximal 60 km/h.

Stau vorm bunten Musik-Bahnhof
Nach gut zwei Minuten ist die Fahrt zur Central Hall geschafft – aber wir kommen nicht aus dem Tunnel heraus: Stau. Nur langsam rücken wir in den hier unterirdischen Bahnhof ein. Ungeduldig wartet der Fahrer darauf, dass das Auto vor uns seine Parkbucht für uns freimacht. Ich steige aus und sauge die Bahnhofs-Atmosphäre in mich ein: Chillige Musik erfüllt den bunt erleuchteten Saal, wobei sich die Farbstimmung permanent ändert. Gerade läuft der Titelsong von David Lynchs berühmter Serie Twin Peaks aus den frühen 1990er-Jahren. Angelo Badalamenti hat seinerzeit eine mystische Musik komponiert, die ich seit Jahren nicht mehr gehört habe, und die ganz prima zu diesem unterirdischen Ort passt, der so gar nichts von dem üblichen Bahnhofsgefühl mit Hektik, intensiv riechenden Fressbuden und Elend hat.
Erweiterung bis zum Flughafen sehnlichst erwartet
Ich fahre noch eine komplette Runde mit einem weiteren Fahrer – wieder in einem Model Y, wobei hier unten aber auch alle anderen Tesla-Modelle unterwegs sind. Fast: Ein Roadster ist, zumindest gerade jetzt, nicht dabei. Und in den Tunnel dürfen aktuell nur Teslas – Fahrer mit anderen Elektroautos müssen draußen bleiben. An einigen Fahrzeugen ist hinten eine ausklappbare Plattform für Rollstühle und Scooter montiert. Ich frage meinen neuen Fahrer, ob das stundenlange Tunnelfahren nicht anstrengend sei. Er gibt sich entspannt und erklärt, dass das hier riesigen Spaß mache und für ihn auch Pausen eingeplant seien. Dass der Tunnel bis zum Flughafen geht und damit zu einer sinnvollen Verkehrsader wird, kann er kaum erwarten. Aktuell gibt es nur einen weiteren Bahnhof an der South Hall des Convention Centers – auch dieser Bahnhof ist überirdisch. Aber Musks Maschinen bohren sich bereits Richtung Airport.
Update Mai 2023: Streckenerweiterung genehmigt
Inzwischen ist das System 2,2 Meilen (3,5 Kilometer) lang und bedient fünf Haltestellen. Jetzt steht eine Erweiterung um 29 Meilen (40,2 Kilometer) an – dies haben die zuständigen Comissioners des Clark County im Bundesstaat Nevada mit sechs zu eins Stimmen genehmigt. Der ursprüngliche Plan der Boring Company sah ein 29 Meilen (fast 47 Kilometer) langes Tunnelnetz mit 51 Stationen vor. Der jetzigen Erweiterung haben die Kommissare vor allen Dingen zugestimmt, weil The Boring Company die dafür anfallenden Kosten selbst trägt – Steuergelder kommen nicht zum Einsatz. Im vergangenen Jahr haben Musk und seine Tunnelbohr-Firma 675 Millionen Dollar (aktuell umgerechnet zirka 611 Millionen Euro) in den Las Vegas Loop investiert – die Höhe der Kosten für die neue Erweiterung sind noch nicht bekannt.
Die Gegenstimme kam von Kommissarin Marilyn Kirkpatrick, die beim Las Vegas Loop eine zu starke Konzentration auf Touristen sieht – sie wünscht sich eine bessere Nutzbarkeit für die Einwohner von Las Vegas. Immerhin: Die neu geplanten Tunnel sollen auch näher an den Flughafen rücken – wie oben geschrieben, hatten sich das auch manche Einwohner gewünscht.

Für Las Vegas schon selbstverständlich
Wieder angekommen in der Central Station nehme ich die Rolltreppe und fahre wieder hoch ins gleißende Wüstenlicht von Las Vegas. Oben gibt es nur ein kleines Gebäude, das den Rolltreppen- und Fahrstuhleingang zum Bahnhof beherbergt. Ein Bildschirm informiert über die noch einfache Streckenführung. Die Menschen gehen so selbstverständlich an dem Bahnhofseingang vorbei, dass mir klar ist: Für die Einwohner Las Vegas‘ ist der LVCC Loop längst ein selbstverständlicher Bestandteil ihrer Stadt.