- Meinung: Reifenkiller Drehmoment
- Meinung: Reifenkiller Gewicht
- Erste Wahrheit: Neuer Antrieb, neue Reifen
- Zweite Wahrheit: Anderer Antrieb, anderer Reifen
- Dritte Wahrheit: Der Fuß macht den Verschleiß
Was zunächst logisch klingt, hat aber mit dem Elektroauto per se nichts zu tun. Woher stammt die landläufige Meinung, Elektroautos wären Reifenfresser?
Meinung: Reifenkiller Drehmoment
Die Drehmomente bei Elektrofahrzeugen überragen die vergleichbarer Verbrenner in den meisten Fällen haushoch und es ist zu lesen oder hören: Das Drehmoment eines Elektromotors liegt sofort an. Das führt unter Umständen zu dem Irrglauben, die hohen Drehmomente kämen ebenso unmittelbar am Rad selbst an. Das wäre technisch irre und zerstörte in kürzester Zeit alle Komponenten des Antriebs. Hinzu kommt: Durchdrehende Räder beim E-Auto sind eher selten, denn die Systeme sind fein aufeinander abgestimmt und durch die gleichmäßige Entwicklung des Drehmoments gibt es keine Kraftspitzen oder exponentielle Anstiege am Rad. Und dann gibt es da noch die elektronische Traktions-Kontrolle, die einen E-Motor viel schneller regeln kann; bei vielen E-Autos ist sie wenn überhaupt nur bedingt abschaltbar. Grundsätzlich gilt: Nein, das hohe Drehmoment ist kein Faktor für einen vermeintlich höheren Reifenverschleiß von Elektroautos. Jedes Auto mit 800 Nm Drehmoment hat einen höheren Reifenverschleiß als der Basis-Golf.
Wie das Drehmoment erzeugt wird, ist dem Gummi egal.
Meinung: Reifenkiller Gewicht
Zwischen 300 und 500 Kilogramm wiegt ein Batterie-elektrisches Fahrzeug (BEV) mehr als ein Verbrenner des gleichen Segments. Dieses Mehrgewicht hat bei gleicher Bereifung, mit gleichen Dimensionen und – wichtig – gleichen Indizes für Geschwindigkeit wie Traglast einen Einfluss auf den Abrieb des Reifens und somit auf die Laufleistung durch die höhere Masse. Jedoch: Ein Fahrzeug mit einem hohen Gewicht hat entsprechend ausgelegte Reifen. Als Beispiel stehen der Audi E-Tron Sportback (ca. 2.500 Kilo) und ein vergleichbarer Q7 (ca. 2.100 Kilo) je nach Ausstattung auf gleichen Reifen mit einem Traglastindex von 112. Ein Reifen ist also bis 1.120 Kilo zugelassen. Jedoch: OECD-Studien zeigen, dass besonders schwere E-Autos mehr Partikel unter anderem durch Reifenabrieb emittieren als vergleichbare Verbrenner, was den Antrieb ausgenommen, primär am höheren Gewicht liegt.
Die drei bis acht Prozent mehr Abrieb machen das E-Auto allerdings nicht zum Reifenfresser.
Erste Wahrheit: Neuer Antrieb, neue Reifen
Die Kinderschuhe der vor wenigen Jahren noch neuen Elektromobilität waren ebenso neue Reifenkonstruktion. Stichwort Tall&Narrow. Diese Reifen haben auffallend große Durchmesser bei vergleichbar geringer Breite. Die dünnen und hohen Reifen sollen durch ihren großen Rollumfang den Rollwiderstand vergleichsweise verringern und durch den schmalen Bau den Luftwiderstand senken.
Allerdings waren die kleinen Reifenaufstandsflächen deutlich anfälliger für hohe Drehmomente. Der BMW i3 soll hier als extremes Beispiel gelten, wo Tall&Narrow mit einer möglichen Dimension von 195/55 ZR 20 an die Grenzen des Machbaren getrieben wurden.
Jedoch: Reifen für Elektroautos werden seit Jahren wieder breiter.
Zweite Wahrheit: Anderer Antrieb, anderer Reifen
Es ist möglich, dass Reifen auf E-Autos schneller verschleißen, besonders wenn es speziell für dieses Auto entwickelte Reifen mit Markierung sind oder speziell für elektrische Antriebe konstruiert wurden. Beide sind in breiter Masse auf einen niedrigen Rollwiderstand ausgelegt, was Reichweite bringt. Der Hersteller des Reifens hat zwei grundlegende Möglichkeiten. Erstens: Der Reifen hat einen steiferen Aufbau der Karkasse und Flanken. Dadurch verformt der Reifen sich beim Rollen auf der Straße weniger, was Teil der Definition von Rollwiderstand ist. Der zweite wesentliche Faktor für den Rollwiderstand ist die Profiltiefe. Je tiefer die umgangssprachlichen Rillen des Reifens, desto mehr verformen die sich beim Rollen, desto höher der Rollwiderstand.
Mitunter sind OE-Reifen ab Werk, Reifen für E-Autos oder Rollwiderstands-optimierte Reifen mit weniger Profiltiefe versehen. Und mit der mitunter zusätzlich harten Karkasse verzahnt sich der Reifen weniger mit der Straße, was zu mehr Mikroschlupf führt – den es immer benötigt – was mehr Abrieb bedeutet. Einer oder beide Effekte zusammen können das Bild des Reifen fressenden E-Autos prägen. In Wahrheit liegt es am Reifen selbst: Was ein E-Reifen an Reichweite bringt, kann er durch weniger Laufleistung unter Umständen einbüßen. Von fehlendem Nassgrip abgesehen.
Dritte Wahrheit: Der Fuß macht den Verschleiß
Primärer Einfluss auf die Laufleistung und Lebensdauer eines Reifen – man kann es gar nicht oft genug sagen – ist das Verhalten am Gaspedal. Wer das hohe Drehmoment seines E-Motors ständig beim Ampelsprint oder Kurvenausgang in Richtung Reifenaufstandsfläche tritt, der muss verglichen mit einem sanften Fahrer eben öfter seine Reifen wechseln.
Übrigens: Mit diesem strapazierendem Fahrverhalten sinken die Laufleistung der Reifen und die Reichweite des Kraftfahrzeugs je Ladung.
Noch ein Übrigens: Beim starken, schweren Verbrenner ist das exakt der gleiche Zusammenhang, wobei der BEV durch die Rekuperation etwas Reichweite zurückholen kann.
Und: Korrekte Fülldrücke im Reifen schonen das Gummi zusätzlich.