Wayne Griffiths: Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Es begann bereits mit der intrinsischen Motivation des gesamten Teams, als die Idee von Cupra geboren wurde: Für uns gab es nur "sink or swim" – auf Deutsch: hopp oder top. Mit einer anderen Einstellung hätte sich die Marke nicht derart entwickelt. Die gesamte Branche befindet sich mitten in einem nie dagewesenen technologischen Wandel – und der geht rasant vonstatten. Da hätten wir es uns leicht machen und sagen können: Wir machen noch ein paar Jahre weiter wie bisher, irgendjemand wird das nach uns schon regeln. Oder aber wir gehen einen ganz neuen Weg, sind mutig und trauen uns etwas Außergewöhnliches – um zu verhindern, dass unser Unternehmen über kurz oder lang von der Bildfläche verschwindet. Wir hatten mit Cupra also keine Wahl, wir mussten gewinnen. Und ich glaube, ohne dieses "sink or swim"-Mindset wäre uns das nicht gelungen.
WG: Der Zeitpunkt war auf jeden Fall günstig. Wir haben Cupra im Februar 2018 gelauncht. Damals begann die disruptive Phase mit den ersten Neulingen in der Branche. Die Menschen wurden offener für neue Marken, und Cupra war eben eine davon. Wir haben die Gelegenheit genutzt, um uns zu etablieren, was in den alten Zeiten vermutlich nicht möglich gewesen wäre. Aber der technologische Umbruch hat die Branche für neue Marken geöffnet. Und ich glaube, auch der Volkswagen Konzern hat eine neue Marke gebraucht, um gegen die anderen Neuen anzutreten.
WG: Auch der Wertewandel in der Gesellschaft spielt eine große Rolle. Der jungen Generation geht es nicht mehr um Luxus, Prestige, Tradition und Heritage. Es geht vielmehr um Emotionen und Individualität, vielleicht sogar ein bisschen in Richtung Hedonismus, aber ganz wichtig: Es muss dabei auch nachhaltig sein. Hinzu kommt die Tatsache, dass wir mit Cupra zwar ein Newcomer waren, aber wir konnten auf eine bestehende Infrastruktur zurückgreifen – oder anders gesagt: "We hit the ground running", wir mussten also nicht von null anfangen. Die anderen Neulinge mussten erst einmal Plattformen entwickeln und eigene Werke bauen, während wir sehr schnell ein breites Produktportfolio vorzeigen konnten.
WG: Wir haben gleich zum Launch den Cupra Ateca präsentiert, einen Performance-SUV, der damals mit seinem Preis-Leistungs-Verhältnis nahezu konkurrenzlos war. Es folgten sehr schnell der Cupra Leon und der Cupra Leon Sportstourer und dann mit dem Cupra Formentor unser erstes eigenständiges Modell, das sich zur Ikone unserer Challenger-Brand entwickelte. Und heute, nicht einmal sieben Jahre nach dem Launch, haben wir neben dem Cupra Ateca noch den Cupra Born, den Cupra Tavascan, den Cupra Terramar sowie den Cupra Leon und den Cupra Formentor bereits in der umfangreichen Produktaufwertung. Nächstes Jahr folgt der Cupra Raval. Wir verfügen also über eine komplette Produktpalette – vor allem dank des Volkswagen Konzerns. Nicht zuletzt spielte das Händlernetz eine große Rolle bei unserer erfolgreichen Entwicklung: Es hat sich rekrutiert aus einem bestehenden Netzwerk, das war ein enormer Vorteil. Wettbewerber aus den USA oder aus China müssen erst mal Händler suchen, das dauert seine Zeit. Bei uns war die Basis bereits da: Das Seat Händlernetz und viele Händler anderer Volkswagen Marken haben auf Cupra gesetzt; das Vertrauen war da und auch das Vertrauen der Kundinnen und Kunden in die Händler. Das war vor allem in Bezug auf den Bereich Service ein elementarer Baustein.
WG: Wir vergleichen uns nicht. Ich glaube, wir haben mit Cupra einen Zugewinn für den Konzern geschaffen, weil wir nicht im gleichen Teich fischen wie die anderen Marken und weil wir nicht versuchen, ein zweites Audi zu werden oder eine Alternative dazu. Wir gehen unseren eigenen Weg mit Cupra. Und auf diese Weise stellen wir für den Volkswagen Konzern auch eine Art freche Antwort auf die vielen neuen Marken aus China und den USA dar, die sich derzeit etablieren. Worauf ich am stolzesten bin: Wir haben es in den vergangenen sechs Jahren geschafft, den Nerv der jungen Menschen zu treffen, das war unheimlich wichtig. Natürlich mussten wir dafür auch frech sein, aber: Wir werden auch langsam erwachsen. Wir sind sechs, fast sieben Jahre alt, aber Cupra ist von der Entwicklung her bereits eher ein Teenager. Und die muss man auf dem Weg, erwachsen zu werden, manchmal auch schützen. Das sehe ich als eine meiner Aufgabe an, insofern ist meine Arbeit noch nicht getan. Sonst könnte ich ja langsam in Rente gehen nach 35 Jahren im Konzern.
WG: Ja, seit 1989 bin ich Teil des Volkswagen Konzerns und ich bin noch lange nicht bereit für den Ruhestand, sondern möchte Cupra noch auf dem Weg zum Erwachsenwerden begleiten. Wir wachsen im Volumen und hinsichtlich des Produktportfolios. Der nächste Schritt ist es nun, größere Autos anzubieten – das tun wir mit dem Cupra Tavascan und dem Cupra Terramar. Das sind beides sehr erwachsene Fahrzeuge, wobei mir aber wichtig ist, dass wir auch in Zukunft freche Erwachsene bleiben. Dieser rebellische Geist und der Challenger-Spirit heben uns von der Masse ab, und diese Eigenschaften müssen wir beibehalten. Ich werde darauf achten, dass Cupra seinen Charakter auch in Zukunft nicht verliert. Ich glaube nämlich, dass man frech und herausfordernd sein darf, wenn man dabei auch erfolgreich ist. Wenn du frech bist und nicht lieferst, dann wird deine Frechheit nicht lange dauern, nicht im Volkswagen Konzern und auch sonst nirgendwo.
WG: Unser mittelfristiges Ziel lautet, eine halbe Millionen Autos im Jahr zu verkaufen. Mit unseren aktuellen Produkten und spätestens mit dem Cupra Raval ab dem kommenden Jahr befinden wir uns auf einem guten Weg dahin. Wenn wir dieses Ziel erreichen, sollten wir ungefähr bei einem Marktanteil von drei Prozent in Europa stehen. Damit werden wir relevant und sichtbar. Natürlich sind wir vor allem mit unserem Topseller Cupra Formentor auch jetzt schon sichtbar, aber wir müssen segmentübergreifend wachsen. Und mittelfristig will ich die Begehrlichkeit steigern.
WG: Für eine Marke wie Cupra ist unser aktuelles Produktportfolio fast zu vernünftig. Natürlich ist es in unserer Situation, als junge Marke, für den ersten Schritt nötig: Wir haben vom Kompakten über den Kombi bis zum SUV alles im Angebot, dazu vollelektrische Modelle, Plug-in-Hybride und reine Verbrenner – da ist für jeden etwas dabei, und das ist genau richtig in der aktuellen Transformationsphase. Mir geht es aber auch schon um die Phase danach, wenn es nicht mehr nur ums Volumen geht, sondern wenn ich den Wert einer Marke steigern will – dann brauche ich diese Begehrlichkeit. Wir wollten unbedingt den Cupra DarkRebel. Ich würde so gern einen Sportwagen auf den Markt bringen – auch wenn es nicht vernünftig ist. Ich glaube, die Marke braucht das, um die Begehrlichkeit zu steigern, und ich bin sicher: Der Zeitpunkt wird kommen. Aber in der Gegenwart geht es um etwas anderes: Jetzt kommt zum Beispiel der Cupra Terramar – ein sportlicher SUV mit einem hochmodernen Plug-in-Hybrid. Der bringt uns Volumen und Rentabilität und erlaubt uns, in die Zukunft zu investieren.
WG: Natürlich steckt viel Wayne Griffiths in Cupra, aber es steckt auch viel Cupra in Wayne Griffiths. Ich umgebe mich bewusst mit Menschen, die keine Jasagerinnen und Jasager sind, und mit jungen Leuten, die etwas wagen wollen. Insofern gibt es nicht das eine, sondern mehrere Masterminds. In der Ursprungsphase von Cupra war Luca de Meo maßgeblich: Er hatte die Idee, eine neue Marke zu gründen. Aber bei der Umsetzung haben viele andere Menschen wichtige Rollen eingenommen, zum Beispiel Antonino Labate – und seither viele andere. Der Cupra Tribe wird immer größer. Aktuell nimmt unser Chefdesigner Jorge Díez eine ganz zentrale Rolle ein, schließlich ist Cupra eine Designmarke.
WG: Jede einzelne Person, die für Cupra arbeitet, macht dies mit Leidenschaft und Hingabe. Das ist hier nicht "Wayne’s World" und erst recht keine One-Man-Show. Mein Job ist es, die Challenger-Attitude vorzuleben, voranzugehen und die Leute zu ermutigen, auch mal neue Wege zu gehen. Natürlich wissen wir, wo wir hinwollen. Aber den Weg will ich für die anderen nicht beschreiben oder vorgeben. Ich will, dass sie ihn selbst finden. Denn wenn ich das vorgebe, wird es wahrscheinlich ein Weg, den ich schon kenne. Das wäre nicht nur langweilig für mich, sondern vermutlich wäre es auch ein bekannter Weg. Ich will aber neue Wege. Deswegen gibt es sehr viele Menschen im Cupra Tribe, die mit Leidenschaft für die Marke arbeiten und den Cupra Spirit wirklich leben. Es sind immer die Menschen, die den Unterschied machen, das gilt bei uns auf besondere Art und Weise.
WG: Design ist für Cupra von zentraler Bedeutung. Nehmen wir den Cupra Formentor: Sein Design war und ist ausschlaggebend für seinen Erfolg. Ich sage immer: Unsere Autos müssen nicht jedem gefallen, aber einige sollen sie lieben. Dieses "Gefallen" wollten wir nie. Wir wollten auffallen und provozieren – aber nicht allein des Provozierens wegen, sondern um bewusst aus der Masse herauszustechen, weil wir für etwas stehen. Wir sind das schwarze Schaf, das auffällt. Aber wir fallen auf, weil wir schöne Autos machen, emotionale Autos für Car-Lover. Wir provozieren mit unserem Design, mit unserer frechen und herausfordernden Art.
WG: Man muss wissen, was Seat bedeutet: Sociedad Española de Automóviles Turismo, also im Prinzip spanischer Automobilhersteller. Seat ist für Spanien, was die Marke Volkswagen für Deutschland ist. Daher ist es meine absolute Priorität, dafür zu sorgen, dass Seat eine Zukunft hat. Klar ist aber auch: Ohne Cupra ist das nicht mehr möglich. Unser Rekordergebnis im ersten Halbjahr mit sieben Milliarden Euro Umsatz und 400 Millionen Euro Gewinn haben wir vor allem Cupra zu verdanken. Und wir müssen den Fokus aktuell weiter auf Cupra legen, weil die Marke unseren ersten Schritt hin zur Elektrifizierung darstellt. Mit elektrischen Autos Geld zu verdienen, ist aktuell noch sehr schwer. Der Zeitpunkt wird kommen, an dem es Sinn ergibt, einen vollelektrischen Seat in Serie zu produzieren. Aber heute wäre ein Elektro Seat für die Zielgruppe der Marke noch zu teuer. Bis es so weit ist, ist Seat noch gut aufgestellt, immerhin verkaufen wir weiterhin mehr Seat als Cupra. Das wird sich irgendwann ändern – vor allem im Hinblick auf die derzeitige Produktoffensive bei Cupra.
WG: Wir müssen immer nach Synergien innerhalb des Volkswagen Konzerns suchen. Aber es kommt auf die Mischung an. Mit dem Cupra Formentor VZ5 und seinem Fünfzylinder-Motor von Audi haben wir zum Beispiel etwas ganz Eigenständiges gemacht und sind einen neuen Weg gegangen. Ja, wir haben auf bestehende Komponenten aus dem Konzern zurückgegriffen, aber das Ergebnis war außergewöhnlich. Wir brauchen diesen Blick für das Besondere – auch im elektrischen Zeitalter. Grundsätzlich geht es mir dabei gar nicht unbedingt darum, über die fortschrittlichste Technologie zu verfügen, sondern um die emotionalste Kombination. Das ist uns beim VZ5 sehr gut gelungen und solche Überraschungen benötigen wir auch in Zukunft.
WG: Ich bin einfach so, wie ich bin. Das ist kein Selbstmarketing und ich habe auch keinen Berater. Nein, ich bin einfach so und ich muss jeden Tag in den Spiegel gucken können. Ich arbeite jetzt seit 35 Jahren für den Volkswagen Konzern und bin mir immer treu geblieben. Es ist eigentlich ein Wunder, dass ich so weit gekommen bin. Da ist nichts geplant gewesen, sonst wäre es sicherlich nicht so gekommen. Ich glaube an Schicksal. Nicht, dass du dein Schicksal suchst, dein Schicksal wird dich finden. Als Sohn eines Autohändlers habe ich als kleiner Junge Autos gewaschen. Bei mir zu Hause steht ein Jaguar E-Type, denn ich liebe leidenschaftliche Autos und ich habe mein ganzes Leben in der Automobilwelt verbracht – für mich gibt es keinen besseren Job.
WG: Ich bin 58 Jahre alt. Dass ich zum Ende meiner Karriere die Möglichkeit erhalten habe, eine neue Marke wie Cupra mit aufzubauen, dafür bin ich sehr dankbar. Ich habe den geilsten Job in der Autoindustrie und jeden Tag einen Riesenspaß mit meinen Kolleginnen und Kollegen. Solange Kraft und Energie vorhanden sind, werde ich das Projekt Cupra vorantreiben, denn ich habe keinerlei andere Ambitionen. Ich will Cupra weiter nach vorn bringen – wo auch immer das hinführen mag. Und das werde ich bis zum Ende meines Arbeitslebens machen. Ich bin also "all in"! Alle Alternativen, die es sicher geben würde, interessieren mich nicht. Ich will mein Baby, das nun ein Teenager ist, weiter begleiten auf dem Weg zum Erwachsenendasein. Und wenn ich irgendwann nicht mehr arbeite, möchte ich stolz sein und zuschauen, wie Cupra Vollgas gibt in Amerika oder mit einem coolen Elektro-Sportwagen oder was auch immer – und dann sagen können: "Schau, wie schön mein Baby geworden ist."
Vita
Wayne Griffiths, Jahrgang 1966, begann seine Karriere im familieneigenen Autohaus, bevor er in Leeds Internationales Management und Deutsch studierte. Er startete 1989 bei der Audi AG in Ingolstadt und kehrte nach einem Abstecher zu Seat zwischen 1991 und 1993 zu Audi in den neu gegründeten Bereich Marketing und Vertrieb zurück. Er bekleidete verschiedene Führungspositionen im Vertriebsbereich der Audi AG bis hin zum Leiter Vertrieb in Deutschland. 2016 wechselte er in den Seat-Vorstand, seit 2020 ist er CEO von Seat und Cupra.