Assistenzsysteme-Test: Wie sicher sind Abstandsregeltempomaten wirklich?

Asisstenzsysteme im Test
Wie sicher sind Abstandsregeltempomaten wirklich?

In diesem Artikel:
  • Vier Autos, mehrere Systemkonzepte
  • So haben wir getestet
  • Fall 1 – Rechte Spur: Auto im Weg
  • Fall 2 – Blind nach Links gezogen
  • Fall 3 – Typisches Überholen
  • Fall 4 – Linke Spur wird geräumt
  • Fall 5 – Stop and Go

Seit 2025 bewerten wir in unseren Autotests nicht mehr nur das Vorhandensein von Komfortassistenzsystemen, sondern lassen auch verstärkt unsere bei Testfahrten gewonnenen Eindrücke einfließen. In dieser Testreihe zu den "Advanced Driver Assistance Systems" (ADAS) ermitteln wir nun gemeinsam mit der MdynamiX AG das objektive Verhalten dieser Systeme. Zur Prüfung standen auch Parkassistenzsysteme und solche zur aktiven Spurführung. In diesem Test: adaptive Temporegelsysteme, die den Abstand zu vorausfahrenden Fahrzeugen steuern.

Einige Adaptiv-Temporegelsysteme halten unabhängig von der Einstellung weite Abstände. Um das praxistauglichste Systemverhalten und die beste Vergleichbarkeit zu ermitteln, setzen wir jeweils die Einstellung für den kürzesten Folgeabstand. In der Konsequenz wählen die Testautos teils jedoch Abstände, die nicht StVO-konform sind. Meist zwar nur für kurze Zeit, doch wer das vermeiden möchte, kann in allen getesteten Modellen größere Distanzen einstellen.

Assistenzsysteme-Test
Arturo Rivas

Vier Autos, mehrere Systemkonzepte

Unser Testfeld besteht aus den E-Autos Nio ET5 Touring, Tesla Model Y und Volvo EX30 sowie dem Diesel Mercedes E 220 d T. Die Sicherheitspioniere Mercedes und Volvo setzen für die Abstandsmessung zu anderen Fahrzeugen auf Fernbereichs-Radarsysteme plus Multi-Mode-Radar in den Ecken der Stoßfänger. Weniger gewöhnlich: Nio verbaut vorne drei und hinten zwei Millimeterwellen-Radarsensoren und vorne mittig ein LiDAR-System (Light Detection and Ranging), das Laserstrahlen zur Abstandsbestimmung nutzt. Zahlreiche Kameras sind überall Teil der Systeme, Tesla Vision basiert hingegen ausschließlich auf Videobildern. Das System überwacht die Fahrzeugumgebung mit acht Kameras, von denen drei (Weitwinkel, Tele, Hauptfeld) nach vorne gerichtet sind.

So haben wir getestet

Assistenzsysteme-Test
Arturo Rivas

Diesen und weitere Assistenzsystem-Tests haben wir mit der MdynamiX AG durchgeführt, einem mit den Hochschulen München und Kempten verbundenen Unternehmen. Es ist auf die Evaluierung solcher Systeme für Kunden der Fahrzeugindustrie spezialisiert.

Für die Messfahrten rüsten die Ingenieure je zwei Wagen mit identischer Messtechnik aus. Auf den Dächern sind zwei Antennen befestigt: für das WLAN zwischen den Autos und für die satellitengestützte Positionsbestimmung. In den Tests werden Daten wie Tempo, Position, Beschleunigung und Abstände zwischen den Testautos exakt erfasst. Dazu kommen laterale Abstände, die etwa bei Spurwechseln für Reaktionszeitmessungen wichtig sind. Erfasst werden die Fahrzeugbewegungen von der blauen Box unten im Bild, die anschließende Datenanalyse erfolgt über die von MdynamiX entwickelte und vertriebene Software MXeval. Die Prüfdisziplinen, die wir für Mess- und Subjektivfahrten oft wiederholt haben, fanden auf definierten Straßenabschnitten statt.

Assistenzsysteme-Test
Arturo Rivas

Fall 1 – Rechte Spur: Auto im Weg

Fall 1
auto motor sport

Wir fahren auf der rechten Spur, das Tempo ist auf 130 km/h eingestellt, die Abstandsregelung auf die kürzeste Folgedistanz, der Fahrmodus auf Komfort. Nun nähern wir uns einem Fahrzeug, das konstant 80 km/h fährt. Wir bleiben auf der rechten Spur, bis sich die Geschwindigkeiten gleichen, um die unterschiedlichen Bremsstrategien zu erfassen. Der ET5 verzögert bereits bei einem Abstand von 175 Metern. Arg früh also, noch dazu lässt er bis zu einem Folgeabstand von 80 Metern bereits rund 30 km/h verpuffen. Letzteres gilt für den EX30 ebenso, der räumt einem jedoch etwas mehr Zeit ein, um ohne Tempoverlust zu überholen, da er zumindest 36 Meter später bremst.

Praxistauglicher agieren E-Klasse und Model Y. Der Mercedes bremst bei 117 Metern Folgeabstand und mit kontinuierlich steigendem Druck. Das Model Y verzögert etwas früher, in der Spitze am stärksten, fährt aber dennoch bei allen Folgeabständen schneller als alle anderen. Dabei fühlen wir uns auch im Tesla insgesamt sicher, jedoch rückt er im Verlauf des Manövers ziemlich nah ans Führungsfahrzeug heran. So auch der Mercedes, der bei seinem Minimalabstand noch deutlich stärker verzögert als die anderen. Und die Bremsrucke? Die sind nirgends ausgeprägt, für das Sicherheitsgefühl in diesem Fall aber auch nicht nötig.

Fall 1
auto motor sport

Fall 2 – Blind nach Links gezogen

Fall 2
auto motor sport

Wir fahren mit 130 km/h auf der linken Spur; bei einem Abstand von 80 Metern zieht plötzlich das 80 km/h schnelle Führungsfahrzeug auf unsere Spur, ohne zu blinken. Diesmal verzögert das gesamte Testfeld viel stärker, in der Spitze nämlich mit durchschnittlich 2,5 statt 1,1 m/s². Alle bleiben jedoch unterhalb der Grenze von 3,5 m/s², die in der ISO-Norm zu "Full Speed Range Adaptive Cruise Control Systems" gefordert wird. Den kräftigsten Bremsruck spürt man im Nio, aber auch in den anderen Fahrzeugen ist er stark genug, um eine eindeutige Systemreaktion zu erkennen.

Der ET5 hält auch bei dieser Prüfung mit 23,3 Metern den höchsten Minimalabstand, der in den anderen Autos zumindest kurzzeitig etwas knapp wird. Das Sicherheitsgefühl passt trotzdem überall, was sich unter anderem mit den Verzögerungskurven erklären lässt. Zwar fährt der Mercedes auf 15,6 Meter an das Führungsfahrzeug heran, allerdings bei gleichzeitig recht kräftigem Bremsdruck und wachsendem Abstand, weshalb keine Sorge aufkommt. Top: Der Tesla Y bremst, bevor der Spurwechsler in seinen Fahrschlauch dringt, daher der Negativwert bei "Reaktionszeit ab t_0". Diese Reaktionsstärke liegt möglicherweise am Konzept, das System nur mit Videokamerabildern zu betreiben. Nachteile: keine technologieübergreifende Redundanz und keine Validierungsmöglichkeit.

Fall 2
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Fall 3 – Typisches Überholen

Fall 3
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Wir folgen auf der rechten Spur einem Fahrzeug mit konstant 80 km/h, die Temporegelung steht auf 130 km/h: blinken, rausziehen, die Elektronik beschleunigen lassen. Nur der Mercedes erledigt diese Aufgabe halbwegs so, wie es ein Mensch würde, da er als Einziger schon während des Spurwechsels beschleunigt, und das immerhin mit 1,23 m/s² (ISO-Norm: maximal 2 m/s²). Zusätzlich erreicht er 120 km/h deutlich am schnellsten, trotzdem erscheint er uns im getesteten Komfortmodus der Distronic noch etwas zu zögerlich. Praxistauglicher als die anderen beschleunigt er jedoch, denn die bauen so träge Tempo auf, dass das Sicherheitsgefühl leidet – schließlich ziehen wir auf die Überholspur mit rückwärtigem Verkehr.

Grundsätzlich sind manche Autos bei diesem Manöver zügiger unterwegs, nur wird eine starke Beschleunigung, die man nicht selbst beeinflusst, auch schnell unangenehm. Es spricht also auch einiges für das Verhalten unserer Prüflinge. Denn die Beschleunigung kann man auch bei aktiver Regelung per Fahrpedal überschreiben, danach nimmt man den Fuß im Bereich des Wunschtempos wieder vom Pedal.

Fall 3
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Fall 4 – Linke Spur wird geräumt

Fall 4
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Wieder sind 130 km/h als Zielgeschwindigkeit eingestellt, nur schleicht auf unserer linken Spur ein Wagen mit 80 km/h. Irgendwann zieht er nach rechts. Das gesamte Testfeld reagiert auf dieses Szenario wie Schlafmützen. Zunächst warten alle Systeme ab, bis die Spur komplett frei ist. Der Volvo beschleunigt, erst 2,41 Sekunden nachdem der Linksspurblockierer vollständig aus seinem Fahrschlauch verschwunden ist.

Der Nio zögert am kürzesten, irritiert andere Verkehrsteilnehmer aber ebenso, da er trotz 34 Metern Folgeabstand mit gerade mal 0,861 m/s² beschleunigt – also viel zu träge. Der Tesla fährt erneut ziemlich nah auf, kommt dann aber nicht vom Fleck und lässt auf 120 km/h 24,9 Sekunden vergehen (in weiteren Testläufen kaum anders). Und der Benz? Der erreicht Tempo 120 am schnellsten, wartet bei bereits freier Bahn aber auch 1,79 Sekunden, bevor er Geschwindigkeit aufbaut. Fazit: Wer hier die Beschleunigung alleine der Elektronik überlässt, muss mit eingeschränktem Sicherheitsgefühl leben. Also kurz selbst Stoff geben, dann passt’s.

Fall 4
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Fall 5 – Stop and Go

Fall 5
auto motor sport

Anfahren, kurz beschleunigen, anhalten. Anfahren, kurz schleichen, anhalten. Anfahren, schleichen, anhalten – und immer so weiter. Klar, diese Aufgabe würden viele Fahrer sicher bereitwillig an eine Software delegieren. Prinzipiell ist das auch möglich, mit unseren Testfahrzeugen aber nicht mal ansatzweise zufriedenstellend. Das zeigt schon allein das unten stehende Liniendiagramm: Mercedes und Volvo lassen die Abstände auf über 10 Meter anwachsen – bei Tempos von maximal 12 km/h. Die Konsequenz? Genau, die Spurnachbarn fahren in die riesige Lücke, und man wird immer weiter nach hinten durchgereicht.

Mit etwa acht Metern halten Nio und Tesla die Abstände kaum praxistauglicher. Woran das liegt? Los geht’s mit einer Wagenlänge Abstand im Stillstand. Und wenn der Vordermann losfährt, warten die Prüflinge ganz lässig rund zwei Sekunden ab, bevor sie anfahren. Im Mercedes gibt es noch weitere Kritikpunkte. Selbst wenn er das Hinterherfahren in diesem Szenario besser draufhätte, würde man immer noch lieber selbst fahren. Schauen Sie mal in die Tabellenzeile zum Bremsruck: 18,49 m/s³ sind ein extrem hoher Wert, und tatsächlich hält der Mercedes so grobmotorisch an, als hätte er noch nie zuvor eine Bremsanlage bedient. Verwenden kann man die getesteten Stop-and-Go-Systeme also bestenfalls im Stau bei einspurigem Verkehr. Ansonsten sind sie für den Fahrer eher eine Belastung als eine Entlastung.

Fall 5
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