Mit batterie-elektrischen Autos braucht man sich einerseits nicht vor Fahrverboten fürchten. Andererseits haben potenzielle E-Autofahrer Angst, mit einem leeren Akku liegenzubleiben oder ihren Einsatzradius beschränken zu müssen. Denn Ladezeiten sind immer noch erheblich länger als klassische Tankpausen. Der Reichweite eines Elektroautos kommt daher eine besondere Bedeutung zu.
Unklare Datenlage
Die Angaben in den technischen Daten sind allerdings ziemlich volatil. Abgesehen davon, dass es je nach Modell verschieden große Akkus gibt, hängt die Reichweite von vielen Faktoren wie der gewählten Ausstattung oder den Rädern ab. Nehmen wir als Beispiel den Mercedes EQS. Der Hersteller wirbt mit bis zu 742 Kilometern Reichweite. Ein Wert, der tatsächlich im Zyklus eines bestimmten Modells auf dem Prüfstand gemessen wurde. Tatsächlich geben die Hersteller "von-bis"-Werte an, die ein realistisches Reichweitenfenster abbilden sollen. Im Test von auto motor und sport ist der gemessene maximale Einsatzradius allerdings deutlich geringer.
Geht man nur nach der WLTP-Reichweite, präsentiert sich auf dem Papier der Lucid Air mit 725 bis 883 Kilometern als aktueller Reichweiten-König. Auf den zweiten Platz folgt der Mercedes EQS 450+ mit 573 bis 742 Kilometern. Dass beide Modelle jenseits von 100.000 Euro kosten, soll in dieser Auflistung nur am Rande erwähnt werden. Übrigens schafft es auch Tesla mit dem keinesfalls günstigeren Modell S und 695 bis 723 Kilometer aufs Langstrecken-Treppchen. Alle drei Modelle wurden – wie übrigens auch die meisten anderen aktuellen Elektroautos – von auto motor und sport genau unter die Lupe genommen.
Vor allem teure Modelle in der Top 10
In der Top 10 der Reichweiten-Könige finden sich vor allem teure Premium-Modelle mit sechsstelligen Kaufpreisen – darunter auch BMW i7 und iX, das neue Mercedes EQS SUV. Doch es gibt auch einige Ausnahmen. Der Polestar 2 schafft nach WLTP bis zu 654 Kilometer, das Tesla Model 3 634 Kilometer und der Fisker Ocean 630 Kilometer.
Wer sein Preislimit eher bei 40.000 Euro sieht, sollte einen Blick auf den VW ID.3 werfen. Die technischen Geschwister Cupra Born und Skoda Enyaq sind ähnlich langstreckentauglich. Wirklich günstig wird Elektromobilität erst mit dem Dacia Spring, der zu Preisen ab 22.750 Euro bis zu 230 Kilometer Reichweite weit kommt.
Was ist überhaupt ein realistischer Verbrauchswert?
Die große Frage, die sich nicht nur E-Auto-Interessenten, sondern seit es genormte Testzyklen und Verbrauchsangaben gibt, alle Autofahrer stellen, ist die nach dem Realverbrauch (und damit nach einer realistischen Reichweite). Gab seit 1992 der elf Kilometer lange NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) allenfalls eine grobe Richtung an, soll der seit dem 1. September 2017 schrittweise eingeführte und 23,25 Kilometer lange WLTP-Zyklus (Worldwide Harmonized Light(-Duty) Vehicles Test Procedure) realistischer sein. Aber: Die tatsächliche Reichweite kann auch hier je nach Verkehrssituation, Fahrstil und Wetterlage abweichen.
Um Elektroautos genauer unter die Lupe zu nehmen, hat unsere Testabteilung einen Reichweitentest entwickelt. Jeder elektrische Testwagen, der zum Vergleichs- oder Einzeltest antritt, wird komplett aufgeladen (SOC: 100 Prozent) und auf der immer gleichen Strecke nach den gleichen Parametern, Klimaeinstellung und identischen Geschwindigkeiten leergefahren (bis SOC: 0 Prozent). Stark anhängig ist das Ergebnis natürlich von der Außentemperatur, die wir der Vollständigkeit hier mit angeben. Die gefahrene Strecke zeigt dann eine realistische Reichweite, die oft deutlich von den WLTP-Werten abweicht. Wie stark, das zeigt unsere Tabelle der Top 10. Im Test der auto motor und sport kam hier der Mercedes EQS am weitesten.
Batteriekapazität im Vergleich
Entscheidend für die Reichweite eines Elektroautos sind – wie beim Verbrenner auch – die mitgeführte Energiemenge und der Verbrauch. Allerdings gibt es bei beiden Größen erhebliche Unterschiede zu Benzin- oder Dieselmodellen. Zunächst mal können Elektroautos nur vergleichsweise wenig "Treibstoff" mitführen, weil die Energiedichte selbst moderner Lithium-Ionen-Akkus überschaubar ist. Der Energieinhalt eines 105-kWh-Akkus in einem BMW i7 beispielsweise entspricht nur einem Wassereimer voll Superbenzin. Der Akku selbst wiegt aber etwa 700 Kilogramm.
Dafür fährt das E-Auto mit erheblich besserem Wirkungsgrad. Er kann beim E-Auto 90 Prozent betragen, beim Benziner nur 25 Prozent. Das in Rechnung gestellt, fährt der BMWi7 also mit einem 36-Liter-Tank – für eine PS starke Limousine eher knapp. Daher die Reichweiten-Angst vieler Autofahrer, die mit Verbrennungsmotoren und Tanks von 40 bis 100 Liter sozialisiert wurden.
Verbräuche im Vergleich
Zweiter Unterschied ist der Verbrauch: Wie oben geschildert ist er erheblich niedriger als beim Verbrenner. Er wird aber auch anders gemessen: Alle Angaben beziehen sich darauf, was in die Batterie an Kilowattstunden geladen wurde, weil dafür bezahlt werden muss. Beim Laden entstehen aber teils erhebliche Verluste, weil die Batterie dabei gekühlt oder beheizt werden muss oder das Ladesystem auch Energie verbraucht. Das heißt, anders als beim Verbrenner kann beim E-Auto die Reichweite nicht einfach dadurch errechnet werden, dass die Batteriekapazität ("Tankvolumen") durch den Durchschnittsverbrauchswert geteilt wird. Erst auf dem Bordcomputer im E-Auto sieht man, wie viel Strom der Batterie beim Fahren entnommen wird. Auf einen Verbrenner umgemünzt würde dies bedeuten, dass der Fahrer beim Tanken mit einem porösen Schlauch den einen oder anderen Liter mehr bezahlen müsste. Denn die sind zwar aus der Zapfsäule gesaugt worden, aber nicht im Tank gelandet.