Der Rückspiegel: Womöglich bald ein Relikt aus vergangen Zeiten?

Bald ein Relikt aus vergangenen Zeiten?
Eine kleine Geschichte des Rückspiegels

Weil Ray Harroun 1911 eine geniale Idee hatte, wurden viele Beifahrer arbeitslos. Der amerikanische Rennfahrer gewann 1911, also vor 105 Jahren, das spektakuläre „500 Meilen“-Rennen in Indianapolis, weil sein Rennwagen besonders leicht war.

Außenspiegel ersetzte den Co-Piloten

Denn eigentlich mussten zwei Piloten im Fahrzeug sitzen, einer fährt und guckt nach vorne, der andere schaut nach hinten. Harroun konstruierte mit Marmon einen einsitzigen Rennwagen, der natürlich weniger wog als die Konkurrenz-Zweisitzer. Zunächst wollte die Rennleitung ihn nicht starten lassen, weil ja niemand außer er selbst nach hinten blicken konnte.

Aber Ray Harroun war schlau: Er bediente sich als erster Mensch überhaupt eines Hilfsmittels, das heute nicht mehr aus unseren Autos wegzudenken ist: Er setzte einen Rückspiegel auf seinen postgelben Marmon Wasp, um das Feld hinter ihm im Blick zu haben. So gesehen war der im Wasp auf langen Stelzen angebrachte Rückspiegel nicht nur rennentscheidend – Harroun gewann in Indianapolis souverän -, sondern schon damals ein Sicherheits-Feature. Aber der Racer war bescheiden. Er sagte, er habe dieses Rückspiegel-Konzept schon einmal bei einem Pferdegespann gesehen.

Marmon Wasp, 1911 Indianapolis 500, Rückspiegel, 01/2016
Indianapolis Motor Speedway

Ursprünglich nur für Frauen gedacht

In der Geschichte fand der Spiegel als Objekt zum Beobachten des rückwärtigen Verkehrs aber schon früher, nämlich 1906, Erwähnung. Aber nur für Frauen. Sie sollten einen kleinen Handspiegel mitführen und an einer geeigneten Stelle nutzen, um hinter sich zu blicken. Klingt sexistisch? Womöglich.

Der Tipp stammt allerdings aus einem Buch von Dorothy Levitt, das den Namen „The Woman and the Car“ trägt und Frauen Ratschläge zum sicheren Führen eines Fahrzeugs gibt.

1914 wurde erstmals eine Rückspiegel-Konstruktion für Autos als Patent angemeldet. Oft wird Elmer Berger in Verbindung mit dem ersten Rückspiegel bei einem Serienauto genannt, er patentierte seinen „Cop-Spotter“ erst 1921. An welchen Fahrzeugen seine Erfindung verbaut wurde, bleibt jedoch unklar. Der Spiegel war eines der ersten „Aftermarket“-Teile und könnte theoretisch an einem Ford Model T angebracht worden sein.

Toyota 2000 GT
Toyota

Wird der physische Rückspiegel bald überflüssig?

Im Lauf der Zeit wanderte der Außenspiegel an den Kotflügel, im Englischen bezeichnet man ihn häufig heute noch danach: „Wing Mirror“. Oft war nur ein einzelner Spiegel am linken Radhaus montiert. Oder am rechten, je nachdem, ob Rechts- oder Linksverkehr bestand. Einen zweiter Außenspiegel gab’s nur gegen Aufpreis – fragwürdig im Sinne der Sicherheit. Dennoch sind gerade die einspiegeligen Autos ein echter Blickfang.

Ferraris Testarossa war noch in den 1980er-Jahren mit einem merkwürdig montierten Fensterrahmen-Außenspiegel unterwegs. VW beschloss, bei allen Golf-4-Baureihen, also auch beim Bora, den rechten Außenspiegel kleiner ausfallen zu lassen. Mercedes tat das bei ihrer W124-Baureihe. Das haben Sie nicht gewusst? Achten Sie mal darauf.

Frontansicht VW Golf
VW

Und was bringt die Zukunft? Nun, wir müssen gar nicht in die Zukunft blicken, um festzustellen, dass es heute schon Autos gibt, die ganz ohne Rückspiegel auskommen. Zum Beispiel den VW XL1, der als Kleinserie natürlich gesondert gehandhabt wird. Er nutzt Kameras, die den nachfolgenden Verkehrs auf Bildschirme im Innenraum projizieren.

Doch bereits im kommenden Jahr 2017 könnte es eine Gesetzesänderung in den USA geben, die eine physische Präsenz des Spiegelglases vollkommen überflüssig macht. Damit wäre der Weg frei für Studien wie den BMW i8 „Mirrorless“ oder den Cadillac CT6.

Für unsere Bildergalerie haben wir Autos zusammengesucht, die mit ganz besonderen Rückspiegeln auffallen.