1952 schrieb der Mercedes 300 SL mit Karl Kling am Steuer bei der Panamericana Rennsportgeschichte. Jetzt ist der Flügeltürer noch einmal auf die Strecke gegangen - zusammen mit seinem Nachfahren, dem Mercedes SLS AMG.
Ein paar Kilometer hinter dem Ort Tehuacan passiert es. Der Mercedes SLS AMG donnert um die lang gezogene Rechtskurve, das V8-Gebrüll hallt von den Felswänden wider. Jetzt kommt eine Linkskurve, die Felsen verdecken den Kurvenausgang. Leichtes Abbremsen, mit den Lenkrad-Paddles runter schalten - der rechte Fuß schwebt schon wieder erwartungsvoll über dem Gaspedal - und plötzlich liegt da mitten auf der Fahrbahn ein umgestürzter Lastwagen.
Nach der Schrecksekunde steigt man mit voller Wucht in die Eisen und ist heilfroh, dass der SLS genau so machtvoll verzögert wie er beschleunigt. Ausweichen, anhalten, Warnblinker an. Der Truck liegt wie ein verendetes Tier auf der Fahrbahn, der Auflieger ist aufgeplatzt, er hatte Milchtüten geladen - weiße Rinnsale ergießen sich auf den Asphalt. Vom Fahrer fehlt jede Spur, das Führerhaus ist leer, die Windschutzscheibe wurde offensichtlich mit einem Nothammer von innen eingeschlagen. Ein Streifenwagen kommt vorbei, der mexikanische Beamte steigt aus und schüttelt den Kopf: "Der kannte wohl die Strecke noch nicht."
1952 herrschte auf der Panamericana Nervenkitzel pur
Die Panamericana hält auch im Jahr 2010 noch ihre Tücken bereit, selbst wenn man im klimatisierten SLS über die meist hervorragend asphaltierte Strecke fährt und gefährliche Passagen mit fast schon deutsch anmutender Gründlichkeit mit Warnschildern bepflastert sind. 1952, als Mercedes-Benz mit dem 300 SL seinen legendären Doppelsieg einfuhr, war das freilich noch ganz anders. Die Strecke von der Grenze zu Guatemala bis in den Norden Mexikos war mit Gefahren gepflastert, extreme Höhenunterschiede und Temperaturdifferenzen von fünf bis 40 Grad im Schatten ließen die tollkühnen Piloten in ihren rasenden Kisten mächtig schwitzen. Das gewaltige Straßennetz der Panamericana abzusperren, war unmöglich: "Hinter jeder Kurve musste man mit Hindernissen rechnen", erinnert sich der heute 92-jährige John Fitch, der 1952 im dritten SL, einem Spyder, an den Start ging. In Mexiko City wurde Fitch fast ein Hund zum Verhängnis: "Er raste plötzlich aus der Zuschauermenge, da hieß es schnell reagieren", erinnert sich der Amerikaner. Mit beherzten Lenkmanövern gelang es ihm, sowohl Zuschauer als auch Hund zu verschonen.
Bei Tempo 200 kracht ein Geier in die Windschutzscheibe des Flügeltürers
Karl Kling und Hans Klenk hatten weniger Glück. Bei Tempo 200 durchschlug aus heiterem Himmel ein Geier die Windschutzscheibe ihres 300 SL - vielleicht war es auch ein Bussard, diese Vögel kreisen heute noch über den Straßen der Panamericana. Klenk verlor kurz das Bewusstsein, wurde aber bald wieder wach und hatte nur das Rennen im Kopf: "Karl, fahr weiter!" rief er, und erst nach 70 Kilometern fanden die beiden Haudegen während eines Reifenwechsels Zeit, die Reste der Scheibe und des unglücklichen Vogels aus dem Cockpit zu entfernen. Klenk wurde von einem Rennarzt im Eiltempo durchgecheckt und mit einem herzlichen "Vaya con Dios" wieder auf die Strecke entlassen.
Der Sieg der beiden SL-Piloten nach 3.113 Kilometern - bei einer noch heute beeindruckenden Durchschnittsgeschwindigkeit von 165 km/h - wurde ebenso legendär wir ihre Methode, künftigen Vogelschlag zu vermeiden: Sie schweißten acht senkrechte Stahlstreben als Schutzgitter vor die Scheibe.
Wenn man heute mit dem Mercedes 300 SL unterwegs ist, mag man sich die Strapazen von damals kaum vorstellen. Zusammen mit seinem Nachfahren SLS brettert der silbern glänzende Klassiker über eine kurvenreiche Strecke bei Oaxaca. Ein Sammler aus den USA hat den Wagen für das Treffen der Generationen ausgeliehen - das Originalfahrzeug von Kling und Klenk wurde nur für ein Fotoshooting aus dem Mercedes-Museum nach Mexiko eingeflogen. Der 180 PS starke Sechszylinder des 300 SL bellt bei jedem Gasgeben ungefiltert los, beim Herunterschalten muss per Zwischengas die Drehzahl angepasst werden. Sein Urenkel SLS stimmt mit dem kraftvollen Grollen seines 571 PS starken V8-Motors ein. Die beiden Flügeltürer liefern ein Duett ab, dass die Kakteen erzittern und jeder Geier respektvoll Abstand hält.
Der Mercedes 300 SL fuhr von Sieg zu Sieg
Gerade einmal 870 Kilo wiegt das Fahrzeug, der im März 1952 von Chefentwickler Rudolf Uhlenhaut auf Basis des normalen Mercedes 300 auf die Räder gestellt wurde. "Wir haben den Standardmotor des 300 genommen und einen Rohrrahmen mit Aluminiumkarosserie drumherum gebaut", erinnerte sich Uhlenhaut später an die Geburtsstunde des SL. Der Wagen verdiente sich schnell seine Sporen im Rennzirkus, zum Beispiel 1952 in Le Mans. Die Carrera Panamericana sollte die Siegesserie sozusagen mit einem exotischen Sahnehäubchen fortsetzen.
Hans Herrmann erinnert sich an heiße Ritte im Flügeltürer
So elegant der Wagen auch aussah, seinem Piloten verlangte er einiges ab. "Die Bremskraft war von der Drehzahl abhängig", erzählt der heute 82-jährige Hans Herrmann, der unter anderem Formel 1-Fahrer für Mercedes war, einen 300 SLR bei der Mille Miglia pilotierte und den 300 SL für zahllose Trainingsfahrten benutzte. "Wenn man die Bremse einmal wirklich brauchte, musste man wie ein Ochse hineintreten", sagt Herrmann. Auch die Hitze im Auto sei kaum erträglich gewesen. Nur die winzigen Kippfenster in den Schiebtüren verhinderten, dass Fahrer und Kopilot irgendwann einen Kollaps erlitten. "Nach dem Rennen hat man deutlich weniger gewogen als vorher", erzählt Herrmann.
Aus dem SLS AMG steigt man dagegen selbst nach einem stundenlangen Parforce-Ritt zwischen Puebla und Oaxaca fast entspannt aus. Der Stolz der Schwaben ist trotz seines enormen Leistungspotenzials ein kommoder Sportwagen. Ab 2011 wird aus dem SLS allerdings ein ganz harter Knochen: Die GT3-Version des Mercedes SLS AMG mit ihrem riesigen Heckflügel aus Karbon soll die Beschleunigung des normalen SLS - mit 3,8 Sekunden von 0 auf 100 Km/h schon nicht gerade langsam - noch einmal deutlich unterschreiten.
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