Seine Karosserien schaut man mit einem fast verzauberten Blick an. Beinahe so, als wären sie Skulpturen. Jedenfalls nicht einfach nur irgendwelche Autobleche. Auch die aus Kunststoff gegossenen Negativformen von italienischen, deutschen und englischen Wagen, nach denen er die Karosserieelemente in akribischer Handarbeit formt, sind ein seltener Blickfang.
Oder die selbst gebauten Präzisionswerkzeuge mit all den Graden und Winkeln, Einkerbungen und Wölbungen, sogar die weit über 100 mit speziell geformten Schlagflächen versehenen Kunststoff- und Metallhämmer und ihre passenden Gegenstücke - alles sehr ansehnlich. Keine Übertreibung: Carlo Mainas Arbeitsplatz in der Tiefgarage seines Landhauses im Piemont ist mehr Atelier als nur Karosseriewerkstatt.
Feinblechner aus Berufung
"Maestro" Maina ist ein Mann mit Mission und überschäumender Energie. Das wird schnell klar, wenn man ihn besucht. Der 70-Jährige lebt auf einem 21.000 Quadratmeter großen Grundstück mit einem ganzen Kirschbaumwald drauf, 20 Kilometer von Turin entfernt. Er ist sportlicher und zäher als so mancher, der halb so alt ist. Vor dem Besuch des Reporters hat der Feinblechner noch schnell eine Runde mit dem Rennrad über die sanften Hügel des Piemonts gedreht. Ein schweißtreibender 40-Kilometer-Ritt schon vor dem Frühstück? "Ach, das ist doch gar nichts", sagt Carlo Maina und tupft sich die Stirn trocken. "Ohne Sport würde ich einrosten." Und ohne die Arbeit an den Autoblechen erst recht.
Carlo Maina ist Blechklopfer von Beruf, genauer gesagt Feinblechner. Seit 57 Jahren schon. Über größere Erfahrung verfügt vermutlich niemand in diesem Metier. Besser ist bestimmt keiner. Carlo Maina ist der ungekrönte König der Karosseriebauer. Am Heck eines Mercedes 300 SL Flügeltürers, Baujahr 1954, an dem er jetzt letzte Korrekturen vornimmt, hat er bereits gestern gearbeitet. "Sieht erst gut aus, noch nicht sehr gut", befindet er und streicht mit derben, rissigen Händen übers glänzende Material.
Maina verabscheut das Spachteln
"Das Blech bleibt bei mir immer ungeschliffen. Das ist meine Handschrift. Auch Spachteln verabscheue ich. Nur Pfuscher überlassen den Putzern gerne die Arbeit. Meine Wagen sollen nicht aussehen wie alte Damen mit zentimeterdickem Make-up." Was er meint: Seine Karossen brauchen keinen Putz, wenn sie aus seiner Werkstatt kommen. Nur Lack. Ist das Feinblechnern für ihn noch Handwerk oder schon Kunst? Lächelnd streckt Maina die Hände vor. "Es ist harte Arbeit. Biegen, hämmern, glätten."
Früher, als er anfing, gab es in Turin ein paar tausend Karosseriebauer. Heute vielleicht noch 25, die halbwegs hochwertige Handarbeit abliefern, schätzt er. "Kollege Computer übernimmt das Kommando. Das Blechklopfen ist ein aussterbender Beruf. Doch für mich ist es nicht nur Beruf. Es ist meine Berufung. Ich komme einfach nicht los von ihr", erzählt Maina mit blitzenden Augen.
Seine Frau Rosangela lächelt jetzt auch. Sie habe sich an das Hämmern und Stampfen aus der Tiefgarage längst gewöhnt, sagt sie. Und sie weiß, dass ihr Mann das Arbeiten an Autokarosserien auch im Rentenalter noch braucht. Auch wenn es heute meist nur noch Freundschaftsdienste für alte Kunden und Kumpels sind.
Türen, Kotflügel, Stoßstangen, Dächer, Motorhauben und Kofferraumklappen, Schnauzen, Kühlergrille, Fensterrahmen, Außenspiegel und Zierleisten. Maina kann alles hinbiegen. Wenn es gewünscht wird, auch mal ein komplettes Auto. Dafür braucht er dann aber Wochen. Manchmal Monate.
Feinblechner Maina arbeitet ohne Ohrenschützer
Nur selten arbeitet er mit Handschuhen oder Ohrenschützern. Deshalb hört er ziemlich schlecht. Und all die körperlichen Anstrengungen haben ihm bislang zwei Leistenbrüche und Schulteroperationen eingebracht. Einen Arm kann er nur noch auf Brusthöhe heben. Die Daumen sind vom Blechbiegen dick und verformt.
In seiner langen Laufbahn hat er an Kleinst- und Vorserienfahrzeugen sowie an Prototypen mitgearbeitet. Direkt bei Herstellern oder Zulieferern. Auch viele wertvolle Oldtimer würden nicht so makellos aussehen, hätte Maina nicht die Finger im Spiel. "Ich bin in der Lage, jedes Blech original-identisch zu formen", sagt der Italiener, der auch die Karosse des exotischen Sportlers De Tomaso Mangusta mit gebaut hat. Weil er mal sehen wollte, ob er es kann, hat er sogar eine Mercedes 300 SLR Uhlenhaut-Coupé-Karosse aus Aluminium nachgebaut. Einen BMW-Rennwagen und zwei Ferrari hat er auch geklopft. In Kundenauftrag. Jeweils die ganze Karosse. Ganz alleine.
Wo liegt das Geheimnis seines Berufs? Carlo Maina überlegt nicht lange. "Das ist im Karosseriebau genauso wie beim Radrennen im Gebirge. Du strebst nach der perfekten Linie und guckst nur von Kurve zu Kurve. Wenn du dir die ganze Strecke anschaust, also die ganze Karosse, macht dich das Wissen, was alles vor dir liegt, nur nervös."
Fiat, Lancia, Alfa Romeo, Ferrari, BMW: Maina hat sie alle geklopft
Bereits als 14-Jähriger hat er hier in der Nähe in einer kleinen Zuliefererwerkstatt als Feinblechner angefangen, erzählt er beim Abendessen in großer Familienrunde. Der dürre Junge - arme Großfamilie, vier Geschwister, Vater Schreiner - bog Bleche für Fiat, Lancia, Alfa Romeo. Auch für den legendären Ferrari 250 GT Spyder California klopfte er die Karosse. "Es war Sklavenarbeit", erinnert sich Maina und trinkt einen kräftigen Schluck Rotwein, den er gerade aus seinem Weinkeller mit Brunnen in der Mitte hochgeholt hat. "Mein Rekord waren 365 Arbeitsstunden. Im Monat."
Nebenbei begann der junge Maina, in Eigenregie Spezialwerkzeuge zu basteln, die ihm die harte Arbeit erleichterten, die Qualität verbesserten und Lob vom Chef einbrachten. Kleine Hammersätze, Schätze aus Stahl in allen möglichen Radien und Formen.
Durch seine Hände gingen ein paar der schönsten Autos der Welt. Er hat mit viel Kraft, enormem Fingerspitzengefühl und scharfem Auge Karosserieteile für den Maserati Quattroporte, für BMW, Mini, VW und Mercedes geklopft und gehämmert und mit den berühmten Autodesignern Ercole Spada (Spadaconcept) und Giorgetto Giugiaro (Italdesign) zusammengearbeitet. Signore Spada besucht ihn noch heute manchmal auf seinem weitläufigen Anwesen im Osten von Turin. Der seit 47 Jahren verheiratete Maina, Vater zweier "Traumtöchter" (beide Dolmetscherinnen), hat insgesamt 17 Jahre in Deutschland gelebt und gearbeitet. Mehrmals war er als Berater im fernen Japan.
Endgültig zurück in seiner norditalienischen Heimat, machte Maina sich selbstständig, verlegte sich auf Schönheitsoperationen an Oldtimern. Mitte der neunziger Jahre traf er Hans Kleissl aus dem oberbayerischen Klostergut Polling. Der Bayer spezialisierte sich gerade mit seiner Firma HK-Engineering auf die Restaurierung von meist ziemlich maroden Mercedes 300 SL, die er in norddeutschen und venezolanischen Scheunen oder auf US-amerikanischen Schrottplätzen fand. Deren Außerhaut war oft arg mitgenommen, doch immerhin besaßen sie noch genug Substanz, um sie zu retten.
Nur das Beste ist gut genug
Für die nicht mehr zu rettenden oder fehlenden Karosserieteile suchte Kleissl, 60, einen Könner, der sie nachmodellieren konnte. Er suchte lange. Mehrere Jahre. In Deutschland, England, Tschechien und Italien. "Ich bin mit so einigen Karosseriebauern mächtig auf die Schnauze gefallen. Viel Pfusch, windschiefe Karossen mit Beulenpest, unterschiedlich hohe Scheinwerfer, solche Sachen", erinnert sich Hans Kleissl. "Als ich endlich auf Carlo stieß, war das für mich wie eine Erlösung. Er hat die gleiche Arbeitsphilosophie wie ich: Nur das Beste ist gut genug. Jedes Karosserie- teil, das er mir lieferte, war von höchster Qualität."
Der italienische Meister fand Freude daran, an alten Legenden zu modellieren. Hans Kleissl expandierte mit seiner Mercedes 300 SL-Edelmanufaktur - und mit Hilfe von Mainas Fingerfertigkeit - zu einem der weltweit führenden Restaurierer für die Flügeltürer und Roadster. Maina hatte sich auch in der Oldtimerszene schnell Kultstatus erarbeitet. Jaguar XK 120, Porsche 356, Lamborghini Miura – seine Hände machten viele Traumwagen wieder fit.
"Alles paletti. Wenn da dieses eine Problem nicht wäre", sagt der Perfektionist in seiner Werkstatt, wo er am Eckold-Kraftformer gerade wieder mit vollem Körpereinsatz und vor Anstrengung schwitzend einen Kotflügel in Form bringt. "Ich suche schon lange einen Nachfolger. Doch niemand ist so perfekt und besessen, wie ich es von ihm erwarte. Das ist mein ganz persönliches Dilemma. Ach, ich will nicht untertreiben. Es ist mein Drama."
Kein Nachfolger in Sicht
"Auge und Gefühl, darauf kommt es an", doziert der charismatische Norditaliener. "Einige, die zu mir kamen und lernen wollten, waren aus anderen Werkstätten und Berufen schon zu versaut. Nicht akribisch genug. Mit zu wenig zufrieden. Und keine fanatischen Spachtelhasser wie ich."
Jetzt muss Carlo Maina doch schon wieder schmunzeln. Er schnappt sich das Rennrad. Ein bisschen Sauerstoff durch die Lunge jagen. Den Kopf frei bekommen. Und neue Kraft schöpfen.
Im Carport vor dem Haus steht ein mächtig marodes Porsche-Cabrio, vermutlich Baujahr 1956. Ein Bekannter hat ihm das Wrack kürzlich gebracht. Ob Kumpel Carlo eine neue Karosse für den Oldtimer zaubern kann? Klar kann er. Schöne Linie. Aalglatte Arbeit. Wie immer wird kein Schleifen und Spachteln nötig sein, wenn er mit dem Sportwagen fertig ist. Schon bei der ersten Ausfahrt werden sich die Leute nach der neu erblühten Asphaltschönheit umdrehen.
Piemont: Region der Karosserie
Was Baden-Württemberg für Deutschland ist die Region Piemont für Italien: die Heimat großer Karosserieschmieden. Neben Fiat und Lancia haben hier auch Bertone, Italdesign Giugiaro, Pininfarina oder Spadaconcept ihren Sitz. Mainas Werkstatt befindet sich im Turiner Vorort Pino Torinese.