Wo ist das Auto geblieben? Nur wenige Minuten dauert der Stopp an einer kleinen Raststätte außerhalb Shanghais. Wo zuvor gähnende Leere herrschte, umringt plötzlich eine große Menschentraube den Mercedes Strich-Acht. Es wird lautstark diskutiert, und zahlreiche Smartphones fotografieren das Geschehen – als wäre soeben ein Raumschiff gelandet. Die Teilnehmer der Top City Classic Rally China stehen mit ihren Fahrzeugen bei jedem Halt im Rampenlicht.

Zum dritten Mal gehen die automobilen Schätze von Peking und Shanghai aus auf eine spannende Reise in eine faszinierende Welt. Das Teilnehmerfeld setzt sich neben Chinesen auch aus einigen Europäern zusammen, so gehen zwei Teams aus Italien mit einem Lancia und einem Porsche an den Start. Aus Deutschland bereichern die Museen von Mercedes und Porsche das Starterfeld mit jeweils zwei Fahrzeugen. Vor dem berühmten Pearl Tower, einem der Wahrzeichen Shanghais, nehmen die mehr als 30 Oldtimer Aufstellung. Ein erster Blick ins Roadbook gibt einen Vorgeschmack auf die rund 600 Kilometer lange Strecke. Höchste Konzentration ist gefragt: Wer sich abseits der großen Städte verfährt und der Landessprache nicht mächtig ist, hat ein Problem.
China definiert die Rushhour neu
Vor diesem Hintergrund ist es nicht dramatisch, dass für die ersten 25 Kilometer fast zwei Stunden fällig werden. Ganz im Gegenteil, bei der niedrigen Geschwindigkeit hilft sogar das Smartphone beim Navigieren. Jedoch nicht per App, sondern beim Abgleich der Schriftzeichen. Schnell das Verkehrsschild abfotografieren und dann sorgsam mit dem Hinweis im Roadbook abgleichen, während sich der Fahrer mühsam den Weg bahnt zwischen den abenteuerlichsten Fortbewegungsmitteln. Im Vergleich zum Verkehrsinfarkt Shanghais erscheint die Rushhour im Stuttgarter Kessel wie ein Entspannungsritual. Wie hieß es doch gleich noch? Wir sollten uns freuen, dass kurz zuvor die Teilnehmer des G20-Gipfels hier in der Nähe tagten und daher große Teile der Schwerindustrie ihren Betrieb unterbrochen haben. Kilometer für Kilometer kämpfen wir uns aus der Dunstglocke raus, die Städte werden kleiner. Nun ja, kleiner ist relativ, denn es handelt sich immer noch um Orte mit Einwohnerzahlen in Millionenhöhe.

Aus dem Augenwinkel entdecke ich auf dem Standstreifen einen chinesischen Teilnehmer, der über der geöffneten Motorhaube seines Rolls-Royce gebeugt steht. Ein Bild, das sich in wechselnder Konstellation noch einige Male wiederholen wird. Da derzeit in China Oldtimer nur in Ausnahmefällen wie diesen Straßenzulassungen erhalten, stehen viele Exponate häufiger, als sie bewegt werden. Doch die Besitzer beweisen viel Improvisationstalent und handwerkliches Geschick. In den meisten Fällen sind abends im Ziel wieder alle Fahrzeuge vereint.
Tradition und Moderne
Lohn für die Mühen ist nach der ersten Etappe Wuzhen. Ein Ort, an dem das traditionelle China erlebbar wird und Hotels sowie Restaurants quasi in einer Art Freilichtmuseum vereint sind. Schnell verblasst die Erinnerung an das rummelige und futuristische Shanghai, während im historischen Ambiente die kulinarische Vielfalt Chinas aufgetischt wird.
Diente der erste Tag quasi als Transferetappe aus der Metropolregion hinaus, wird es am zweiten Tag landschaftlich reizvoll. Das mittlerweile gewachsene Vertrauen ins Roadbook und die eigenen Navigationskünste erlauben gerade auf längeren Teilstücken Fahrer und Beifahrer, die fremde Umgehung förmlich aufzusaugen. Volle Konzentration ist wenige Kurven später gefragt, als ein gelbes Schild die erste Wertungsprüfung ankündigt. Letzte Abstimmungen zwischen Fahrer und Beifahrer, Funktionscheck der Uhren, dann rollt der Strich-Acht durch die erste Lichtschranke. 630 Meter weiter passiert der schwarze Oldtimer am Ziel die zweite Lichtschranke. Passt.
Große Oldtimer-Begeisterung bei den Chinesen
Für eine längere Etappe führt das Roadbook noch einmal ein Stück über die Autobahn. Bei der Anfahrt auf eine Mautstelle stehen plötzlich zahlreiche Teilnehmer am Fahrbahnrand und gestikulieren wild mit der lokalen Polizei. Also doch keine Durchfahrtskontrolle mit Stempel oder eine geheime Wertungsprüfung. Auch wir werden unmissverständlich an den Rand komplimentiert, Führerscheine und Zulassungen zur Überprüfung eingesammelt. Wenn man bedenkt, dass die temporären Nummernschilder teils als Papierausdruck auf dem Armaturenbrett liegen, kann man den Behörden eine gewisse Skepsis nicht verübeln. Nach kurzer Diskussion und einigen obligatorischen Selfies mit Oldtimern und Europäern zieht die Karawane weiter.

Der unfreiwillige Stopp führt in der Mittagspause an einer Schule zu angeregten Diskussionen. Jedes Team erhält einen Paten aus der Schar der Schüler, die die Teilnehmer stolz in ihre Mensa begleiten. Während wir uns stärken, zeichnen einige Schüler wirklich kunstvolle Bleistiftskizzen von den Autos und überreichen sie anschließend als Andenken – im Austausch für ein Autogramm auf dem Ärmel ihrer einheitlichen Trainingsjacken. Volksnähe, die in Erinnerung bleibt.
Getreu dem Motto „Das Beste kommt zum Schluss“ haben die Organisatoren für den Endspurt eine wunderschöne Strecke entlang einer großzügigen Seenlandschaft gewählt. Von Metropolen über staubige Pisten durch kleine urtümliche Dörfer bis hin zu fahrdynamisch anspruchsvollen Serpentinen zeigt sich das Land auch bei der Streckenführung vielfältig. Langsam nähert sich auch die zweite Etappe dem Ende, und noch einmal zeigt sich, wie groß die Begeisterung der Leute für das alte Blech ist. Beim Tankstopp kurz vor dem Ziel herrscht wieder Volksfeststimmung, als der Strich-Acht auf die Tankstelle rollt. Die Menschen überschlagen sich vor Hilfsbereitschaft beim Tanken, und alle Smartphones sind gezückt. Nach dem Bezahlen fast ein Déjà-vu. Stand hier nicht gerade noch der schwarze Strich-Acht? In der Traube der Menschen kann man ihn fast übersehen.
Unsere China-Rallyes 2017
Neben den drei bewährten Motor Klassik-Rallyes (Paul Pietsch Classic, Silvretta Classic und Sachsen Classic) finden dieses Jahr auch wieder unsere beiden China-Rallyes statt: die Beijing Rally (14. bis 17. September) sowie die Shanghai Rally (21. bis 24. September). Der logistische Aufwand für den Transport des Autos nach China und die damit verbundenen Kosten sind allerdings hoch. Sie sind dennoch an einer Reise in das Reich der Mitte und der Teilnahme an einer oder beiden Rallyes interessiert? Dann helfen wir Ihnen gerne mit einem Rundum-sorglos-Paket, das den Visumantrag, die chinesische Fahrerlaubnis, eine Kfz-Zulassung sowie einen zuverlässigen Logistikpartner beinhaltet. Die Startgebühr sowie die anfallenden Kosten stehen derzeit noch nicht fest. Weitere Infos unter: ams.to/rallye2017