Schlammcatchen im Tagebergbau: In der Nähe von Leipzig kämpfen 1.500 Starter bei Europas größter Offroad-Veranstaltung mit den Tücken des Geländes und mit der Technik ihrer Autos.
Titus und Julius Dittmann bekamen die ganze Härte der Baja 300 schon sehr bald zu spüren. "Erst hat uns ein anderer Teilnehmer am Vorderrad gerammt. Das ging ja noch. Doch dann blieben wir mit unserem Polaris Side-by-Side an einem verschlammten Hang stecken." Ein Truckfahrer versuchte, sich in dem engen Hohlweg an dem Vater-Sohn-Duo im 90 PS starken Miniatur-Buggy vorbeizupressen.
Dieses derbe Manöver ging gründlich schief. Der Rennlaster und der Dittmannsche Kleinwagen verhakten sich. "Dabei hat es an unserem Polaris die Achse herausgerissen", klagte Dittmann. "Das wars dann." Um aber hinzuzufügen: "Spaß hat es trotzdem gemacht."
Diese Episode ist eine der typischen Geschichten, wie sich bei der Baja 300 dutzendfach geschrieben werden. Dieses Offroad-Rennen über zwei Tagesetappen à 200 Kilometer ist nichts für Weicheier. Oder für Menschen mit schlechten Nerven. Auch Leute, die sich ungern schmutzig machen, werden bei dieser Art der automobilen Freizeitgestaltung keine übermäßige Freude empfinden.
Für alle anderen aber ist Europas größtes Offroad-Festival ein Höhepunkt im persönlichen Jahreskalender. Mit urigen Rennen auf anspruchsvollem Terrain, bei denen bis zum Umfallen gekämpft wird. Hier werden Mensch und Maschine bis zum äußersten Limit strapaziert. Und manchmal auch ein Stückchen darüber hinaus.
Der Schlamm fordert seine Opfer
Dieses Eldorado für Offroad-Rallyefreaks liegt 30 Kilometer südlich von Leipzig, zwischen den Ortschaften Hohenmölsen und Elstertrebnitz. Insgesamt 1.500 Fahrer hatten sich diesmal in dem 300 Hektar großen Tagebergbau versammelt, um den Traum von der Dakar-Rallye zu leben. Das Fahrerlager erreichte Kleinstadt-Format. "Es sind bestimmt 4.000 Leute hier", schätzte Organisationsleiter Uwe Groß vom rührigen 4x4 Club Leipzig.
800 Motorradfahrer, die sich im Sattel von 300 Enduro-Maschinen abwechselten, starteten zu einem 24-Stunden-Rennen. Ganz so lange konnten die 150 Quad-Fahrer ihrem Hobby nicht frönen. Geplant war ein Nachtrennen über zwölf Stunden. In der Abenddämmerung abends um acht machten sich die Quadler auf die Socken – und um Mitternacht war schon wieder Schluss: Zur Geisterstunde lag die Ausfallquote schon bei über 80 Prozent. Der zähe Schlamm hatte seinen Tribut gefordert.
Die Ersten kippten schon nach einer halben Stunde erschöpft von der Sitzbank. Und zwar so verschlammt, dass sie nicht mal mehr von der eigenen Verwandtschaft zweifelsfrei identifiziert wurden konnten. "Papa, bist du das?", fragte einer in der Wechselzone, als eine braun verkrustete Gestalt heranwankte, die weniger an einen stolzen Quad-Piloten erinnerte als vielmehr an eine abgerissene Jammergestalt aus einem Charles-Dickens-Roman.
Genauso wie bei der Dakar-Rallye darf auch bei der Baja 300 Mitteldeutschland in der Vierradklasse beinahe alles rennen, was eben die besagten vier Räder vorweisen kann. Die einzige Voraussetzung: Die Autos müssen eine Straßenzulassung besitzen sowie mit solidem Überrollkäfig und anständigen Vierpunktgurten ausgerüstet sein.
Side-by-Side-Buggys wie der schon erwähnte Polaris von Vater und Sohn Dittmann messen sich hier mit geländegängigem Gerät aller Couleur. Die Palette reicht vom fast serienmäßigen, uralten Lada Niva bis hin zum stark modifizierten 250.000-Euro-Mercedes G-Modell oder den bis zu 840 PS starken 4x4-Renntrucks wie dem mächtigen Iveco des Holländers Jan de Rooy, dem Dakar-Sieger von 2012.
Aber auch für Amateure mit begrenztem Budget ist die Baja 300 ein guter Spielplatz. Markus Walcher zum Beispiel kreuzt hier seit Jahren mit seinem schnieken Porsche Cayenne auf. "Mit Stereoanlage und Ambientebeleuchtung", sagt der Schwabe. In seinem Zivilleben diente der Porsche 4x4 Walcher senior lange als Geschäftsauto. "Als der Papa den Cayenne mit 240.000 Kilometern verkaufen wollte, haben wir gesehen, dass man für solche Autos kaum noch Geld bekommt." Also wurde der Luxus-Porsche zum Rallyeauto umgemodelt. "Viele tausend Stunden Arbeit stecken drin, aber nur Material für 10.000 Euro", schätzt Walcher.
VW T3 Bulli mit Mittelmotor
Ein Original der Baja-Szene ist Bernd Jäger. Mit viel fahrerischem Pfeffer pflegt er seinen gelben VW Bus vom Typ T3 durchs Gelände zu feuern. Oder besser gesagt: ein Auto, das von außen so aussieht wie ein T3. Denn unter dem kastigen Karosseriekleid aus GfK verbirgt sich feine Prototypen-Technik mit Gitterrohrrahmen, 260 PS starkem 3,6-Liter-V6 von VW und Allradtechnik aus einem Ford-Truck. "Nur die flache Lenkradposition habe ich beibehalten", sagt Jäger, der in der Szene als "Syncro-Bernd" bekannt ist. "Ich will ja auch beim Rennen das Bus-Feeling haben.
"Als sich die 150 Starter in der kombinierten Auto- und Truckkategorie in Fünfer-Grüppchen ins Rennen werfen, ist es trocken: Aber zuvor hatte es die ganze Nacht über fürchterlich geregnet. Die Wege bestanden aus Schlamm, Schlamm und nochmals Schlamm. Es war zwar nicht ganz so schlimm wie beim Quadrennen in der Nacht zuvor, doch der Schmodder war immer noch so reichlich vorhanden, dass die Metamorphose vom properen, bunten Rallyeboliden zu einem an prähistorische Monster erinnernden "Mad Max"-Vehikel eine Sache von nur wenigen Minuten war. Nach zwei, drei Kilometern waren alle Autos dunkelbraun glasiert. "Immer noch besser als so fürchterlicher Staub wie im letzten Jahr", meinte ein Offroad-Veteran gleichmütig.
Das alte Offroad-Motto "Egal – Schlamm drüber" hatte bei der Baja 2013 nur bedingt Gültigkeit. Denn fast allen Autos mit serienmäßig angeordnetem Wasserkühler bekam die Fangokur nicht. Der Schlamm verstopfte die Radiatoren hinter dem Kühlergrill. Die Folge: überhitzende Motoren, schlapp machende Kopfdichtungen, Abschleppwagen. Für die Gescheiterten war es da nur ein schwacher Trost, dass es besser ist, nahe der Zivilisation auszufallen als bei der Dakar-Rallye mitten in der Ténéré- oder der Atacama-Wüste. In der Umgebung von Hohenmölsen muss niemand den Tod durch Verdursten befürchten.
Ganzkörper-Fango für alle
Voll im Schlamassel steckten vor allem die Fahrer der Side-by-Side-Quads. Zum einen, weil ihre Renner von Polaris und CanAm natürlich ohne Scheiben gefahren werden, was der Besatzung reichlich Ganzkörper-Fangopackungen bescherte. Zum anderen, weil die Mini-Buggys an den glatten Steigungenen öfters mal hängen blieben.
Solche Hindernisse konnten Gérard de Rooy nur ein müdes Lächeln entlocken. Mit seinem türkisfarbenen Neuntonner nahm der Dakar-Sieger von 2012 alle Hindernisse so locker, als seien sie gar nicht da. An beiden Tagen markierte der Holländer die Bestzeit.
Eigentlich keine große Überraschung, denn bei der Dakar-Rallye fahren die 840 PS starken und bis zu 160 km/h schnellen Lkw-Prototypen Zeiten, die locker auch in der Autoklasse für eine Top-Ten-Platzierung genügen.
Während de Rooy seinen Sieg eher still genoss, schien ein anderer Niederländer mit den Nerven am Ende zu sein. "Te koop – € 25 K", malte Herman Schaeks mit dem Finger auf die verdreckte Flanke seines Toyota. Manche deuteten dies als Verkaufsofferte, für 25.000 Euro. "Nein", sagte der Holländer. "Gemeint sind 25 Euro pro Kilo." Dann lachte Schaeks. "Alles nur ein Scherz. Ich fahre natürlich weiter Offroad-Rennen. Bloß mit einem neuen Auto."
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