Mit seinem 520 Liter fassenden Kofferraum war der Volkswagen Jetta das ideale Familienauto - günstig und robust, groß und praktisch. Doch das Image litt - und leideet immer noch - unter dem Stigma der Spießigkeit. Wir gehen mit einem marsroten Jetta LS von 1980 auf Zeitreise.
Als Klaus Westrup vor fast 20 Jahren seine legendäre Betrachtung über den Reiz reizloser Autos für auto motor und sport niederschrieb, wählte er dafür ein besonderes Auto: einen VW Jetta II mit Turbodiesel-Motor. Das hat mich damals sehr berührt.
Fast jeder VW Jetta wurde "aufgewertet"
Nicht, weil ich schon in jungen Jahren dem Reiz der Reizlosen erlegen wäre. Nein, ich fuhr selbst Jetta. Okay, nicht ich, sondern meine damalige Freundin. Sie machte gerade Abitur, und der Vater hatte den Jetta gekauft. Damit das Kind was zum Fahren hat. Mit Automatik, weil das Kind gerade erst die Fahrprüfung bestanden hatte. Der Jetta war inarisilber, Baujahr 1980 und bereits vom Vorbesitzer mit sechs Zoll breiten Exip-Rädern, 205er-Reifen und einem Glasdach aufgewertet worden.
Mein Beitrag beschränkte sich auf den Einbau eines Dreispeichenlenkrads aus einem Scirocco vom Schrottplatz und eines Cassettenradios aus dem Metro-Großmarkt der Marke Waltham. Damit spielten wir Cassetten von James Taylor und Joan Armatrading ab, während wir nach Stockholm oder Budapest fuhren. Der Jetta war ein dankbares Reiseauto. Er verbrauchte kaum mehr als zehn Liter Normalbenzin, und in den riesigen Kofferraum passte das Campinggepäck für zwei Wochen. Inklusive der größeren Teile eines Pouch-Faltbootes und einer Ibanez-Gitarre mit Friedenstauben-Aufkleber. Der Rest musste auf die Rückbank. Eine Durchladeluke für Skier - oder Faltbootgestänge - gab es erst beim Jetta II. Mein Fuhrpark bestand damals aus einem verrosteten Manta A, der 1.200 Mark gekostet hatte und einer Yamaha XT500, die womöglich noch billiger war. Beides keine Alternativen für Urlaubsfahrten. Jetta also.
Unschlagbar: Der monumantale Kofferraum
Der auto motor und sport-Artikel öffnete die Augen für die subtile Erotik des Jetta-Fahrens. Denn Exip-Räder, Glasdach und Sportlenkrad hatten am Wesen des grünen Automatik-Jetta nicht wirklich etwas geändert. Er war, wie von Westrup beschrieben, ein reizloses Auto, das sich "von den vielen aufregenden Träumen auf unseren Straßen durch hervorragendes Funktionieren und totale Unauffälligkeit auszeichnet". Was ihn damals vom VW Golf unterschied, würde man heute vielleicht ein Statement nennen. Denn wer bewusst den Jetta mit dem spießigen Stufenheck einem modernen, nüchternen Golf vorzog, sagte damit so ungefähr: "Ich pfeife auf Zeitgeist und Modernität. Ich brauche viel Kofferraum, und mir ist egal, wie das aussieht." Dabei war alles anders geplant. Der Jetta war nicht als Alternative für diejenige Käuferschicht gedacht, der Modellwechsel vom Ascona B zum C zu radikal erschien.
Viel mehr sollte er, so das VW-Marketing, die Lücke zwischen Golf und Passat schließen und dabei "das Konzept des kompakten, sportlichen Wagens mit großem Angebot an Transportraum, Fahrkomfort und Leistung" verkörpern, wie die Pressemappe zur Markteinführung 1979 vermeldete. Das tat er natürlich nicht. Obwohl in der gewählten Bezeichnung Jetta "der über dem Atlantik wehende Jetstream und der Komfort und die Leistungsfähigkeit des modernen Reisejets" anklingen sollten, wurde der Stufenheck-Golf eher zum Inbegriff automobilen Spießertums. Jetta fuhren nicht junge, dynamische Leute, denen vielleicht der Kofferraum des BMW 3er der Baureihe E21 zu klein war, sondern meist ältere Ehepaare, gern im Staatsdienst beschäftigt, denen ein Golf zu modern, ein Opel C-Kadett zu proletarisch und ein Mercedes W123 zu teuer war. Sie beklebten den Heckdeckel mit "Ein Herz für Kinder"-Sticker und verstopften während der Schulferien vorzugsweise die Deutsche Märchenstraße.
In den USA wurde der Jetta immer geliebt - und überstand drei Modellwechsel
So gesehen war der Name Jetta ein totaler Overkill. Diese Klientel hätte es vermutlich nicht gestört, wenn der Arbeitsname aus der Entwicklungsphase auf der Kofferraumklappe gelandet wäre: Hummel. Womöglich wäre ihm dann aber die internationale Karriere versagt geblieben. Denn jenseits des Atlantiks wurde der Jetta besser verstanden. Hier überstand er drei Modellwechsel und war als Jetta noch erfolgreich, als die Rucksack-Gölfe hier zu Lande längst Vento und Bora hießen. Als ob das gegen das Hut-und-Hosenträger-Image geholfen hätte. Konsequenterweise heißt die fünfte Generation wieder Jetta, auch hier. Damals mochten wir den Jetta vielleicht nicht nur, weil er praktisch, zuverlässig und geschenkt war. Er war auch anders.
Gerade im Bekenntnis zu einem reizlosen, rein funktionalen Automobil steckt ja eine Botschaft. Jetta fahren muss man sich leisten können. Zumindest galt das vor rund zwanzig Jahren.Heute ist alles anders. Der Jetta der ersten Generation ist in Würde gealtert. Und anders als so manch anderes Auto, dass einem nach so langer Zeit wieder begegnet, hat er sich kaum verändert. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Erinnerung an den Jetta nicht so verklärt ist wie die an den gelben Manta A oder den dunkelblauen Alfasud TI von Alfa Romeo , den ich kurze Zeit später fuhr. Der Tassenstößel-Motor aus der großen 827-Familie ist immer noch ein brummiger Geselle, dessen Fahrleistungen, vor allem im Verbund mit der Dreigang-Automatik, in keiner Weise für die mäßige Laufkultur entschädigen.
Das einstige Spießerauto sorgt heute für Aufsehen
Heute muss sich der 70 PS starke Jetta richtig quälen, um einigermaßen im Verkehr mitschwimmen zu können. Rund 15 Sekunden braucht der Automatik-Typ für den Spurt von null auf Tempo hundert. 15 echte und mindestens 25 gefühlte Sekunden. Genau wie früher. Geändert hat sich dafür etwas ganz anderes: Mit einem Jetta I von 1980 ist man keineswegs unauffällig unterwegs. In Wolfsburg jedenfalls sorgte der makellose Zweitürer aus dem Bestand der Stiftung Automuseum Volkswagen für erstaunte Blicke, nach oben gereckte Daumen und neugierige Fragen. Und man gewöhnt sich immer noch sehr schnell an den Wagen. Schon nach wenigen Kilometern ist alles so vertraut, als sei man ein Leben lang nur VW gefahren.
Der Blinkerschalter mit der Hühnerknochen-Haptik, das humorlose Layout der Anzeige-Instrumente, die fragilen Fensterkurbeln und der tapfere Kampf des Motors mit dem Drehmomentwandler - das alles wischt in fünf Minuten 20 Jahre weg. Vielleicht gilt das auch für den neuen Jetta, der wie sein erster Vorgänger in die Lücke zwischen Golf und Passat platziert wurde. Zumindest von einer Jetta-Version hätte ich vor 20 Jahren nicht zu träumen gewagt: In der US-Variante des neuen Jetta sitzt ein Fünfzylinder, der im Prinzip nichts anderes ist als ein halbierter Gallardo-Treibsatz. Ein Jetta mit Lamborghini-Motor, das wär's gewesen.
VW Jetta-Historie
1979: Im Herbst startet die Jetta-Produktion mit drei Motorisierungsvarianten.
1981: Erstes Facelift und neue Motoren, einschließlich Diesel.
1984: Gleichzeitig mit dem Golf II kommt auch der Jetta II.
1992: Der Jetta-Nachfolger auf Basis des Golf III heißt Vento
1998: Die Stufenheckversion des Golf IV heißt in Deutschland Bora, in Nordamerika und Südafrika bleict es beim namen Jetta
2005: Die fünfte Generation des Golf bekommt wieder ein Stufenheckmodell zur Seite gestellt. Ab jetzt heißt es auch in Deutschland wieder Jetta.
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