NSU Prinz TT im Test – Klassiker mit Charakter

NSU Prinz TT im Test
So mitreißend können 65 PS sein

Es geht nicht darum, nie Angst zu haben, sondern immer wieder Mut zu finden. Nicht darum, alles zu ergründen, sondern sich die Neugier zu bewahren. Nicht darum, nie zu scheitern, sondern nicht aufzugeben. Vor allem geht es nicht darum, sich alle Träume zu erfüllen, sondern sie nie zu verlieren. Auch dann gelingt es nicht jedem Tag, dich zu verzaubern. Doch wird manch Morgen statt des Beginns eines weiteren Alltags ein Versprechen auf Er-leben sein. Wie nun, da erste Schimmer an Helle die Schemen der Berge aus dem Dunkel der Nacht heben.

Als ihre Finsternis dicht noch über dem Land liegt, geht es los – dieses Mal statt in der Tiefgarage mit dem Aufflammen des Neonlichts auf einem windigen Parkplatz. Von da aus fahren Otto und ich gemeinsam nach Boxberg – Hockenheim ist just unpässlich –, um den Prinz TT zu treffen und zu testen. Um den kleinen NSU ranken sich die größten Legenden der an großen Legenden reichen Geschichte von auto motor und sport. Meine Herren, das heißt: Unsere alten Herren, die ams-Granden Schruf, Hack, Westrup, die schauten sich nur verschwörerisch an, kam das Gespräch auf den NSU. Das war in den frühen Tagen dieses Jahrtausends, bis heute rankt im Ungewissen, was genau die gern zu verwegener Tatkraft aufgelegten Herren einst mit dem TT veranstalteten. Er sei ein Wagen, mehr ließen sie nicht heraus, den man der Jugend von heute besser nicht in die Hände gebe. Nun haben Otto und ich die letzten zwei Jahrzehnte – nicht ausschließlich, aber auch – dazu genutzt, um auch die Reste unserer Jugendlichkeit hinter uns zu lassen. Womöglich weit genug, um das Geheimnis des NSU Prinz TT zu ergründen.

Nichts für Prinz und Kunz

Über das stülpen die Techniker seinerzeit die durch Doppelscheinwerfer und Zierflaggen aufgetakelte Karosserie des Prinz 1.000. Den baut NSU ab 1964 auf Basis des Prinz 4, der ist der Nachfolger des Prinz 3, der ... Ach, setzen Sie das selbstständig fort.

Im Stil gleicht der 1.000 dem 4, den Claus Luthe im zeitgeistigen Design des Chevrolet Corvair zeichnet. Wo wir beim Prinz 4 sind: Als NSU den gegen eine Betonwand crashtestet, platzt der Tank unter der Fronthaube – der Prinz steht direkt in Flammen. Was sich wohl nicht bis Italien und Ägypten herumspricht. 72,5 Prozent aller Prinz 4 verkauft NSU nach Italien. Und die Egyptain Light Transport Manufactoring Company lizenzfertigt ihn unverdrossen als Ramses II – nach dem gleichnamigen Pharao. (Der stirbt 1213 vor Christus nach 66 Jahren Herrschaft im Alter von 91. Seine Mumie wird aus dem Grabmal KV7 im Tal der Könige geraubt, erst am 5. Juli 1881 wiederentdeckt. Oh, bietet sich solch Wissen nicht an, um beim Weihnachtsessen bei der Schwiegermutter diskret anzudeuten, was herrschsüchtigen Persönchen alles so passieren kann?)

Den 1.000 toupieren die Techniker 1965 mit dem 1.100er-Motor aus dem NSU 110 auf. Mit höherer Verdichtung kommt er im NSU Prinz TT auf hitzige 55 PS, die ein Ölkühler an der Heckflanke zu kühlen versucht. Dazu strafft NSU das Fahrwerk, möbliert das Interieur mit cordbezogenen Einzel- liegesitzen, Lochspeichen-Sportlenkrad, Transistor-Drehzahlmesser und – man ahnte es – Bouclé-Teppich. 1967 bekommt der TT den 1,2-Liter mit 65 PS ins Heck – in Serie nur übertroffen vom TTS, der seinen Einliter-Vierzylinder mit zwei Solex-Doppelvergasern auf 70 PS treibt und mit hochgestellter Motorklappe öffentlichkeitswirksam kühlt. Bis 1972 baut NSU 49.372 der 1.200er-Prinzen. Sie hinterlassen Spuren in den Erinnerungen ihrer Fahrer – und wegen des hecktändeligen Fahrverhaltens auch in so manch Wald und Flur.

Da geht’s munter ums Heck

Ein TT, der die wildesten Jahre ohne solch Kümmernis überstand, rollt nun vom Laster: ein 1.200er von 71, außen rot, innen schwarz und – hach, wie fesch – mit bandumwickeltem Lenkrad. Derweil wir den TT bewundern, rumort sich der Vierzylinder warm. Sodann zur Waage, die dem NSU das Gewicht von 708 Kilo und dessen Unausgewogenheit von 41,5 : 58,5 bescheinigt. Wobei die weiter ins Heckwärtige kippt, leert sich der 37-Liter-Tank im Frontladeraum.

Letzterer ist mit Benzin- und Wischwasserreservoir, Ersatzrad und kleinem Reparaturbesteck schon gut besetzt. So wie nun auch der Innenraum mit uns und der Messgerätschaft. Doch hinaus aufs Oval. Da messen wir erst die Tachoabweichung, dann die Innengeräusche und dürfen feststellen, dass es der TT in beiden Kriterien keineswegs an Eifer mangeln lässt.

Wo sich die Strecke aus der Steilkurve zur Gerade ebnet, nehmen wir Aufstellung für die Beschleunigung. Zwischen dem ersten und dem zweiten Tapser aufs Gaspedal kneift Otto die Augen zusammen. Noch zwei Sekunden, eine ... Doch halt! Ich muss ihn warnen: "Otto! Im Prospekt des Prinz TT steht: ‚Geben Sie vorsichtig Gas. Dieser Wagen ist schnell!‘" "‚Es sind‘", antwortet Otto, "‚in der Regel gute Fahrer und fixe Burschen, die den TT steuern, und sie fahren diesen Wagen, wiewohl sie eine schnelle Kurvengangart sehr schätzen, wesentlich sicherer als manche Schlafmütze mit Hosenträgern.‘ Steht in der Pressemappe. Können wir dann?"

Und wie wir können. Und wie der TT kann! Drehzahl auf 4.000, Kupplung schnappt, tief drückt sich das Heck, hoch reckt sich der Bug, dann stemmt sich der NSU voran, rasantet durch die knapp gestuften Gänge den 100 km/h entgegen. 13,9 Sekunden dauert das wilde, aufbrausende Spektakel. Die Sekunden waren früher gewiss nicht kürzer, aber kurzweiliger. Dreizehnneun im TT fühlen sich mitreißender an als vierzwei heute im 517-PS-820-Nm-Audi-SQ6-e-tron.

Und nun: Trommelwirbel

Die Verzögerung geht die Bremse zögerlich, mit Wärme in den Trommeln hinten ein bisschen bissiger an. Endlich gilt es, sich den Ausschweifungen des Handlings zu stellen. Anlauf, im zweiten Gang um die Pylonen. Trotz des leichten Bugs fordert die kurbelige Zahnstangenlenkung festes Anpacken. Dann kurvt der TT flink, wirft das Heck nicht fies, lässt es locker herumscharwenzeln, um beschwingter, geschwinder um die Pylonen zu schlenzen. Und das Wanken? Das Schwanken? Trotz des harten Fahrwerks mit straffen Schrauben- und Gummizusatzfedern an der Hinterachse? Gehört dazu wie das Seitenwindtändeln und die Enge des Innenraums, den wir vermaßen.

Als wir den NSU Prinz TT zu Audis Sammlung in Neckarsulm fahren, wissen wir: Er zählt zu den Träumen, die du nie aufgeben, doch nicht zu früh erfüllen solltest. Dafür ist das Leben zu lang, sind die Träume der Jugend in ihrer Bescheidenheit zu wertvoll. Verschleudere sie nicht in frühen Zeiten. Hab Geduld mit deinen Träumen.

Technische Daten
NSU Prinz 4
Außenmaße3440 x 1490 x 1360 mm
Hubraum / Motor598 cm³ / 2-Zylinder
Leistung22 kW / 30 PS bei 5600 U/min
Höchstgeschwindigkeit116 km/h
0-100 km/h13,9 s
Testverbrauch8,4 l/100 km