Immer noch blinkt sie, die große rote Lampe. Mitten im Instrumentenbrett warnt sie unübersehbar vor Defekten. Heute: die Schlusslichter. Morgen: vielleicht das ABS? Die roten Lichter des Alfa-Control-Systems wissen immer etwas zu berichten. Und wie beim Nachrichtensender CNN erscheint beim nächsten Mal bestimmt wieder eine neue Schreckensmeldung.
Schön schräg: der Alfa Romeo 75
Hauptsache anders, lautete wohl das Motto der Alfa-Designküche Centro Stile in den 80ern. Die Fensterheber sind in die Dachkonsole integriert, der Handbremsgriff ist zu einem unergonomischen "U" geformt. Wäre nicht das klassische Mailänder Wappen in der Lenkradmitte, könnte man beinahe vergessen, in einem Alfa zu sitzen.
Der Dreh am Zündschlüssel bringt ein Stück heile Welt zurück. Nach wenigen Motorumdrehungen pocht das Alfaherz in unverkennbarem Sound. Sofort nimmt der Zweilitermotor Gas an und dreht willig hoch - doch nicht zu hoch, der Vierzylinder ist noch kalt. Kalte Alfamotoren weckt man besser sanft wie einen Siebenschläfer und erhitzt den großen Ölvorrat behutsam auf niedriger Stufe. Wer den kernigen Klang bei hohen Drehzahlen noch vor dem Frühstück fordert, dem wird bald das Herz gebrochen: Unausweichlich droht eine teure Rechnung, wenn es glimpflich abgeht nur für den Ersatz der Zylinderkopfdichtung.
Nach wenigen Kilometern aber meldet die Temperaturanzeige volle Betriebsbereitschaft des Schmierstoffs. Vom Beifahrersitz aus gibt auch Fredy Stricker, Erstbesitzer des Wagens seit 1989, seine Zustimmung - der Drehzahlmesser wird zum Alfa-Genuss-Anzeiger. In einer Skala von Leerlauf bis 7.000 schaltet der Hörsinn schon unter 3.000 auf angenehm, ab 4.000 bewegen sich die Mundwinkel zu den Ohren hin. Der Genuss rast weiter über den gelben Bereich bei 5.800 Touren hinaus und stoppt im roten Sektor bei 6.200 Touren.
Der Twin Spark-Motor des Alfa 75 begeistert mit Durchzug und Drehfreude
Doch der langhubige Twin Spark-Motor wirkt wie seine berühmten Bialbero-Vorgänger in Spider, Bertone und Verwandten auch im unteren Drehzahlbereich nicht gerade kraftlos. Verantwortlich für den munteren Motorcharakter ist nicht zuletzt die in der Typenbezeichnung enthaltene Doppelzündung: Anstatt wie gewohnt eine Zündkerze in die Mitte des Brennraums zu pflanzen, spendierten die Mailänder Ingenieure dem Alu-Motor je zwei Zünder pro Zylinder.
Die acht Kerzen thronen in einer Linie auf dem schmalen Zylinderkopf und entflammen das eingespritzte Benzingemisch effizienter und zuverlässiger. Das Prinzip der Doppelzündung war bei Alfa bereits 1913 im Einsatz und erreichte in den 60er Jahren im GTA seinen sportlichen Höhepunkt.
Die zweite treibende Kraft nennt sich Phasenversteller. Was heutzutage weit verbreitet ist, gehörte 1987 in den Hightech-Bereich: Die Einlassnockenwelle wird elektronisch gesteuert um sieben Grad verdreht und sichert dadurch in jedem Drehzahlbereich optimale Zylinderfüllung. Der Aufwand hat sich gelohnt: 148 PS aus zwei Liter Hubraum sind auch heute noch ein respektabler Wert.
Der Twin Spark-Motor wurde eigentlich für das Flaggschiff 164 entwickelt, gelangte aber zu früh zur Serienreife und fand sein erstes Zuhause unter der Haube der letzten Alfa Hecktriebler-Limousine. Das war nicht nur ein Glücksfall für den 75, sondern ein wichtiger Schritt für Alfas Erfolgsgeschichte der folgenden Jahre.
Der Grenzbereich des Transaxle-Alfa scheint unerreichbar fern
1986 wurde der marode Staatskonzern von Fiat geschluckt, und der damalige Fiat-Chef Vittorio Ghidella ordnete eine unverzügliche Modellpflege an. Mit der Aufwertung und Verbesserung des 75 sowie der Lancierung des frontgetriebenen Topmodells 164 waren die Mailänder technisch auf der Höhe der Zeit und schafften den Sprung in die Gewinnzone.
Zurück hinter das Steuer. Unterwegs in den Schweizer Voralpen windet sich die Passstraße in immer engeren Kehren. Bei schneller Kurvenfahrt neigt sich die Karosserie recht weit zur Seite. Die hintere De-Dion-Achse sorgt aber für eine exakte Führung der Hinterräder und lässt den 75 unbeirrt seine Bahn ziehen. Schnelle, lang gezogene Bögen machen dem Sportler Appetit auf mehr, der Grenzbereich scheint unerreichbar fern. Wie bei der Alfetta liegt das Getriebe hinten und ist mit der Hinterachse verblockt. Die Folge sind einerseits eine hakelige Gangschaltung, andererseits eine neutrale Gewichtsbalance.
Mit der präzisen Servolenkung lässt sich die kompakte Limousine auch um enge Ecken leichtfüßig steuern, wobei der kantige Italiener zunächst brav auf Kurs bleibt, um dann behäbig über die Vorderachse zu schieben. Ein kräftiger Gasstoß bringt das Heck zum Übersteuern und den Alfa zurück auf Kurs; vorsichtige Naturen gehen in solchen Situationen einfach vom Gas.
Die V6-Versionen des Alfa Romeo 75 kommen auf knapp 200 PS
Für steilere Driftwinkel jedoch presst der 2.0 Twin Spark zu wenig Dampf ins Fünfganggetriebe. Spektakuläre Querfahrten gehören ins Revier des 1986 vorgestellten Turbo. Als Homologationsfahrzeug für die Tourenwagen-Europameisterschaft setzten die Mailänder den altbekannten 1,8-Liter-Bialbero unter Druck. Bosch-Einspritzung, Garrett-Turbolader und Sportgetriebe - schon sind es 155, später 165 PS, und das Fachblatt sport auto notierte: "Ein herzhafter Gasstoß lässt das Heck leicht und jederzeit gut kontrollierbar zum Kurvenaußenrand schwenken."
Wenden wir uns wieder dem Twin Spark zu, der Turbo ist ohnehin Mangelware. Gleiches gilt für die Dreiliter-V6-Topversionen des Alfa 75. Mit 186 bis 192 PS und Vollausstattung eignen sie sich hervorragend zum schnellen Brausen, und die wenigen original erhaltenen Exemplare sind schon jetzt bei Sammlern beliebt. Die Twin Spark aber werden im Schatten ihrer Brüder oft verstoßen und ausgeschlachtet oder enden wegen der verlockenden Preisschilder bei Käufern mit Hang zu aerodynamischen Hilfsmitteln.
Dabei hat das Geburtstagskind Alfa 75 - seine Bezeichnung erinnert an das 75-jährige Jubiläum von Alfa Romeo im Jahr 1985 - seine Rente in Ehren verdient. Der abgebildete Typ etwa - mit 115.000 sanften Kilometern und ohne einen Kratzer - begeistert nach wie vor mit seinem Motor und seiner Straßenlage. Keine Poltergeräusche von der Aufhängung, kein verblasster Lack.
Die praktischen Seiten der Sportlimousine Alfa Romeo 75
Der Kofferraum beispielsweise fasst 500 Liter, sodass sein Eigner den Twin Spark beinahe täglich nutzt. Ob der 75 aber von den Alfisti jemals als Klassiker anerkannt wird? Keine Frage: Die Fakten Heckantrieb, Alfa-Motor und Straßenlage sprechen für sich. Der 75 bleibt vorerst die letzte Alfa-Limousine mit Heckantrieb. Die Tetra-Pak-Optik ist zwar Geschmacksache, hat aber auch ihre gefälligen Seiten, die Zeit ist vielleicht nur noch nicht reif dafür.
In einem Punkt aber tritt der Alfa 75 nicht nahtlos das Klassiker-Erbe seiner Vorfahren an: Er trägt ein Kleid aus verzinkten Blechen und trotzt Alfa-untypisch dem braunen Zerfall.
Alfa Romeo 75 Twin Spark 2.0 | |
Grundpreis | 16.310 € |
Außenmaße | 4330 x 1660 x 1400 mm |
Kofferraumvolumen | 500 l |
Hubraum / Motor | 1962 cm³ / 4-Zylinder |
Leistung | 109 kW / 148 PS bei 5800 U/min |