Bugatti 57 C Vanvooren im Fahrbericht: Bugatti-Unikat mit 12.000 km

Bugatti 57 C Vanvooren im Fahrbericht
Bugatti-Unikat mit 12.000 km

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Monsieur Fernand Chaussivert, einst wohnhaft in der Avenue Niel zu Paris, muss ein bemerkenswerter Mann gewesen sein. Einer, der genau wusste, was er wollte - und was nicht. Im Oktober 1938 bestellte er bei Ettore Bugati einen Typ 57 C, am 6. Dezember des Jahres kam die Rechnung: "Chassis Type 57 C, Nr. 57.784, Moteur à compresseur 3 litres 300, 8 cylindres en ligne, double arbre à cames - Prix spécial 90 000 Franc." Den geschlossenen zweisitzigen Aufbau im Stil des berühmten Atalante sollte die Carosserie Vanvooren im Pariser Vorort Courbevoie übernehmen.

Die erste Kreation gefiel nicht - also: Zweiter Versuch mit Chassis 57.835

Anfang Februar 1939 wurde geliefert, doch Monsieur Chaussivert war alles andere als zufrieden. "Das Auto, das mir von Vanvooren zugestellt wurde, stimmt nicht mit meinen Vorstellungen überein", schrieb er am 6. Februar an Ettore Bugatti, monierte unter anderem mangelnden Komfort, falsche Proportionen sowie eine zu kurze Haube. Es folgte ein längerer Briefwechsel, der damit endete, dass der Patron den Wagen anderweitig verkaufte " er existiert bis heute ", und Monsieur Chaussivert nochmals einen 57 C bestellte.

Damit nicht erneut etwas danebenging, fertigte er extra ein paar Skizzen seines neuen Traumwagens an - ein absoluter Traum war der Bugatti 57 C damals wie heute. Nur wenige vermochten dem eleganten Grand Tourisme das Wasser reichen, und für seinen Gegenwert konnte man damals wie heute höchst komfortabel wohnen. Der im Frühjahr 1934 vorgestellte Typ 57 war vor allem das Werk von Ettore Bugattis Sohn Jean, der mehr und mehr die Geschicke der Firma im elsässischen Molsheim übernahm, sich als begabter Fahrer und versierter Techniker erwies und ein ausgezeichnetes Gespür für Formen und Gestaltung an den Tag legte.

Zwei obenliegende Nockenwellen

Dem klassischen Reihenachtzylinder verordnete der damals 25-jährige Jean Bugatti zwei obenliegende Nockenwellen nach dem Vorbild der amerikanischen Miller-Rennwagen, wobei die zwei Ventile pro halbkugelförmigem Brennraum über Schlepphebel betätigt werden, was unter anderem das Einstellen des Ventilspiels erleichtert. Auch beim Fahrwerk wollte er ganz modern sein und sah vorne Einzelradaufhängung vor, der Vater indes bestand auf der klassischen geschmiedeten Bugatti-Vorderachse.

Dennoch lag der Bugatti Typ 57 ausgezeichnet und ermöglichte mit seinen 140 PS, ab 1936 mit Kompressor 175 PS, sehr hohe Reiseschnitte. Schneller waren nur die 57 SC mit verkürztem Radstand und Trockensumpfschmierung, auf denen im Prinzip die Rennwagen basierten, mit denen Bugatti 1937 und 1939 (mit Langchassis) überlegen in Le Mans gewann. Kein Wunder also, dass diejenigen, die es sich leisten konnten, mit Begeisterung Bugatti fuhren - zumal auf dem Typ 57-Chassis einige der schönsten Karosserien aller Zeiten entstanden, gefertigt von Kunsthandwerkern wie Letourneur & Marchand, Graber, Saoutchik oder eben Vanvooren.

Vorbild Bugatti Atalante

Dazu gab es verschiedene Werks-Karosserien, gezeichnet von Jean Bugatti und gebaut in Molsheim oder von Gangloff in Colmar, und als eine der schönsten galt der Atalante. Dessen fließende Form schwebte auch Fernand Chaussivert vor, allerdings mit einem stärker konturierten Heckabschluss. Im Juli 1939 war sein Bugatti mit der Nummer 57.835 fertig, und diesmal hatte Vanvooren zu seiner vollen Zufriedenheit gearbeitet: Der in einem lichten Pastellgrün lackierte 57 C scheint schon im Stand 180 km/h zu fahren.

Das Einzelstück ist ein rollendes Kunstwerk, das manche in seiner Schlichtheit für noch gelungener erachten als das Vorbild Atalante. Nach 57.835 wurden übrigens nur noch fünf Bugatti Typ 57 gebaut, dann kam der Krieg. Dazu war Jean Bugatti am 19. August 1939 auf einer Testfahrt tödlich verunglückt - ein Schicksalsschlag, von dem sich die Firma nie mehr erholen sollte.

Ein unwilliger Erbe

Fernand Chaussivert aber war glücklich mit seinem Bugatti und fuhr den 57 C bis in die fünfziger Jahre, als es mit ihm gesundheitlich bergab ging. Ohne direkte Nachkommen suchte er einen Erben für das Auto, entschied sich für einen Neffen - und ließ ihn beschatten, um zu sehen, ob dessen Lebenswandel untadelig genug für einen Bugatti wäre.

Anschließend bat er den jungen Mann zu sich in die Avenue Montaigne und eröffnete ihm: "Ich bin ihr Onkel, ich habe sie in den vergangenen zwei Jahren beschatten lassen, und ich möchte ihnen drei Dinge vermachen: Ein Haus in Südfrankreich, einen Weinkeller mit 3.000 Flaschen, davon 1.000 Flaschen Portwein, und einen Bugatti mit Kompressor und einzigartiger Vanvooren-Karosserie."

Raymond Del Monte, so der Name des Neffen, antwortete knapp: "Ihr Privatdetektiv taugt nichts: Ich habe Paris in meinem ganzen Leben noch nie verlassen, ich trinke keinen Alkohol - und ich fahre kein Auto!"

Erst eingemauert, dann in die USA verschifft

Er nahm das Erbe dennoch an, als Chaussivert im Oktober 1955 starb. Doch bewegte er den Bugatti nur selten und verfrachtete ihn schließlich nach Südfrankreich, wo er den Wagen aus Angst vor Dieben kurzerhand einmauerte - jedoch stets gut in Schuss hielt.

1991 ging der Bugatti in den Besitz von Jean Paul Courtial über, 18 Jahre später vermittelte der holländische Sammler und Händler Jaap Braam Ruben das Auto an den Amerikaner Peter Mullin, der das Einzelstück mit nur 12.497 Kilometern auf dem Zählwerk seiner berühmten Kollektion einverleibte.

"Wir haben lediglich eine kleine Inspektion gemacht, Tank und Vergaser gereinigt und die Bremsen überholt", erzählt Jaap Braam Ruben, der Nummer 57.835 kürzlich von Peter Mullin im Tausch unter anderem gegen einen Typ 55 zurück nach Europa geholt hat. "Er ist ein Traum, und er fährt traumhaft", schwärmt der 62-jährige: "Ein restauriertes Auto ist niemals so harmonisch wie ein originales."

Bugatti 57 C Vanvooren ist eine Skulptur

Tatsächlich begeistert der 74 Jahre alte Achtzylinder mit seidenweichem Lauf, spontaner Gasannahme und kraftvollem Antritt. Die Kupplung des Bugatti 57 C Vanvooren lässt sich weich bedienen, das Vierganggetriebe problemlos schalten. Die Lenkpräzision ist vergleichsweise hoch, und die Öldruckbremsen des 1939er Modells sind ein großer Fortschritt gegenüber den früheren Bugatti-typischen Seilzugbremsen. Würden wir jetzt durchs Rhone-Tal Richtung Süden fahren, wären wir zum Abendessen frisch und ausgeruht in Nizza.

Doch mehr noch als die fortschrittliche Technik betört die schiere Präsenz dieses Bugatti 57 C mit der Vanvooren -Karosserie: der ein wenig verblasste Lack, die leichte Patina des Ledergestühls, der Geruch, der originale Wagenheber links im Maschinenraum neben dem skulpturartig aufragenden Achtzylinder. Und dann diese Form - man möchte den ganzen Tag auf der Treppe des Château St. Jean in Molsheim sitzen und den 57 aus leicht erhöhter Perspektive betrachten.

Auch Julius Kruta, langjähriger Leiter der Bugatti-Traditionsabteilung, ist ganz ergriffen: "Was für eine Geschichte. Heute zum Fototermin ist das Auto zum ersten Mal seit Juli 1939 wieder in Molsheim." Und wie geht die Geschichte von 57.835 weiter?" Er bleibt bei mir", lächelt Jaap Braam Ruben, der seit 1974 Bugatti fährt: "Noch einmal gebe ich ihn nicht her – er ist einzigartig."

Fazit von Motor Klassik-Chefredakteur Hans-Jörg Götzl

Auch mit 24 Jahren Motor Klassik-Erfahrung gibt es Momente, in denen man weiche Knie bekommt, und die Begegnung mit diesem Bugatti 57 C ist ein solcher Moment: Chassis-Nummer 57.835 ist ein rollendes Kunstwerk und ein technisches Faszinosum, vor allem aber ein authentischer Zeitzeuge, wie es heute nur noch wenige gibt. Als wir uns trennten, zeigte sein Tacho 12.528 Kilometer an, und nur wenige hundert Meter davon bin ich gefahren . doch die werde ich wohl nie vergessen.