Fahrbericht Audi RS6 (2020): Die totale Typveränderung

Audi RS6 (2020)
:
Probefahrt nach der totalen Typveränderung

Audi RS6 Modelljahr(2020) © Tobias Sagmeister / Audi 20 Bilder

Audis stärkster Avant hat schon immer Allradantrieb, aber jetzt auch Allradlenkung und ist mit 48 Volt mild hybridisiert. Was bringt das auf der Straße?

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Den Audi RS6 gibt es bereits seit 2002. Die neue Generation, die ab 2020 zu den Kunden rollt, ist bereits die vierte – und die zweite, die ausschließlich als Kombi zu haben ist. Schon beim Vorgänger (2013) wurde die Limousinen-Variante vom RS7 verdrängt.

Die Kombination aus Kraftwagen und Avant-Karosse ist wichtig. Einerseits steht der RS6 damit in der Tradition des ersten RS-Modells, des RS2 Avant von 1994. Und zweitens hat die lange einzigartige (bis Mercedes die E-Klasse-T-Modelle von AMG ebenfalls mit Allradantrieb anbot) Verbindung aus Leistung und Transporttalent noch dazu mit Allradantrieb eine treue Fangemeinde geschaffen, die es schätzt, dass ihr Bolide bei Bedarf viel Gepäck schluckt und Pferde oder Boote ziehen kann.

© Audi

Platz für die Anhängerkupplung ist im RS6 jetzt auch, wenn die Wank/Nickstabilisierung an Bord ist.

Anhängekupplung für alle

Tatsächlich wollten bislang etwa 25 Prozent der RS6-Kunden eine Anhängerkupplung. Auch für die bietet die Audi Sport GmbH jetzt zwei Fahrwerksvarianten an: Mit Luftfederung und Niveau-Ausgleich oder mit Stahlfahrwerk inklusive Wankstabilisierung und Nickausgleich. Ein weiteres Fahrwerksfeature bietet Audi erstmals im RS6 an: die Allradlenkung. Fünf Grad gegensinniger Einschlagwinkel verkürzen den Wendekreis beim Rangieren um bis zu einen Meter, bei Geschwindigkeiten jenseits der 100 km/h lenken die Hinterräder zur Stabilisierung dann gleichsinnig mit.

© Audi

Die Hinterradlenkung schafft bis zu fünf Grad Lenkwinkel.

Das Prinzip ist von anderen Herstellern bekannt, der Effekt beim RS6 verblüffend: Im bergigen Hinterland von Malibu macht der RS6 auch bei engagierter Fahrweise seine rund fünf Meter Außenlänge und die gut 2,93 Meter Radstand vergessen. Sagte man dem Fahrer, er sitze in einem RS4, er würde es glauben. Dazu passt die Progressivlenkung (vorn): Ihre Zahnstange variiert die Übersetzung abhängig vom Lenkwinkel. Mit zunehmendem Einschlag wird die Übersetzung kleiner und die Lenkung direkter. Selbst in Kehren ist Kurbelei Geschichte, was den Eindruck großer Handlichkeit enorm verstärkt.

Lieber die Luft rauslassen

Schon nach wenigen Kilometern ist klar, wie stark sich der 600-PS-Avant beim Generationswechsel diesmal verändert hat. Dem schnellen Reisekombi mit überragender Längsdynamik hat vor allem die Allradlenkung quasi ein zweites Auto für die Spritztour in die Berge hinzugefügt. Wer auf diese neue Qualität des großen Power-Kombi besonderen Wert legt, sollte zum optionalen Stahlfahrwerk (1.250 Euro) mit Dynamic-Ride-Control (DRC) greifen, und muss nicht mehr auf die Anhängerkupplung verzichten. Denn Audi hat die beiden hydraulischen Schaltventile, die den Nick- und Wankausgleich besorgen, umgruppiert und damit den Bauraum für Anhängerkupplung auch beim DRC-Fahrwerk.

Unterwegs mit 600 PS im Allrad-Kombi 9:14 Min.

Mit dem erübrigt sich auf öffentlichen Straßen die Auswahl des härteren Set-ups im Drive Select-Menü, wo sich die Fahrmodi (Auto, Dynamik, Komfort, Effizient) verstellen lassen. „Auto“ bietet nämlich neben ausreichend Straßenlage auch noch ordentlichen Federungskomfort. Andere Parameter, etwa die Strenge des ESP oder Ansprechverhalten des Motors, lassen sich in einem Menü des Infotainmentsystems verstellen, ihre Kombination unter „RS1“ oder „RS2“ speichern und dann via Lenkradtaste aufrufen.

Die serienmäßige Luftfederung hält den RS6 ebenfalls sehr gut auf der Straße und unterstützt ihn dabei, die Transportaufgaben eines Kombis „abzufedern“: Viel Gepäck oder ein schweres Motorboot am Heck – die Niveauregulierung hält den starken Avant waagrecht. Die Verbindung zum Asphalt wirkt aber weniger innig, nicht so auffällig direkt und knackig. Der fehlende Wank- und Nickausgleich der hydraulisch verbundenen Dämpfer ist ebenfalls spürbar und mag zum etwas pomadigeren Eindruck gegenüber dem DRC-Fahrwerk beitragen. Die Handlichkeit leidet kaum, wenn die Allradlenkung und das ebenfalls optionale Sportdifferenzial an der Hinterachse zur Ausstattung gehören. Letzteres kann das kurvenäußere Hinterrad überschleunigen und sorgt so für eine leichte Übersteuerungstendenz, die die Kurvenwilligkeit fördert.

Was die Fahrdynamik à la carte kostet

Der RS6 lässt sich fahrdynamisch in drei Stufen aufpeppen Das Stahlfahrwerk mit DRC kostet wie erwähnt 1.250 Euro. Für 4.000 Euro gibt es das RS-Dynamikpaket. Dafür bekommt der RS6-Käufer die Anhebung der Höchstgeschwindigkeit auf 280 km/h, die Dynamik-Allradlenkung und Sportdifferenzial für 4.000 Euro. Beides zusammen wirkt nach den ersten Fahreindrücken sehr empfehlenswert. Die Kirsche auf dem Sahnehäubchen ist das RS-Dynamikpaket plus. Der RS6 verzögert dann beruhigenderweise mit der Keramikbremsanlage und darf damit beunruhigende 305 km/h schnell fahren.

© Gerd Stegmaier

Die Schokoladenseite des RS6 Avant: Kombiheck mit viel Platz und dicken Backen.

Vom Motor eines gut zwei Tonnen schweren Lasters mit Acht-Gang-Automatik erwartet man in erster Linie ausreichend Leistung und Drehmoment. Beides liefert der 4,0-Liter-V8. Das ganz spitze Ansprechverhalten eines Saugers bietet der Biturbo, der dank Otto-Partikelfilter und entsprechendem Mapping die aktuell strengste Abgasnorm (Euro 6d) erfüllt, nicht. Auch wenn das Drehmoment gegen die Drehzahl aufgetragen ein sich früh erhebendes Plateau ausweist: Zwischen Gasgeben und Losstürmen legt der V8 gefühlt ein kurzes Luftholen ein. Jammern auf hohem Niveau, sicherlich. Aber ausgerechnet leistungsstarke Elektroautos können hier punkten, haben vielleicht sogar den Anspruch erhöht. Beim Sound bleibt der RS6 allerdings vorn. Eine Knallbüchse ist er aber beileibe nicht.

Launchcontrol zum selber Messen

Wer aber die neueste Spielerei des RS6 nutzt – Launchcontrol aktivieren und dabei die Sprintzeit von 0 bis 100 km/h mitstoppen – dürfte kaum mehr an der Leistungsfähigkeit dieses Verbrennungsmotors zweifeln. Seine CO2-Bilanz hat Audi mit einer verfeinerten Zylinderabschaltung und mit einem 48-Volt-Riemenstarter-Hybridsystem „abgemildert“. Von der Zylinderabschaltung kriegen weder Fahrer noch Passagiere was mit, aber sie spart Sprit. Bis zu 0,8 Liter Minderverbrauch soll die Mild-Hybridisierung, dank Rekuperation und einer Segelfunktion mit Motorabschaltung bringen. Die kann im Zusammenhang mit der Start-Stoppfunktion zum Beispiel beim Ausrollen vor einer roten Ampel schon ab 22 km/h erfolgen – der Fahrer spürt auch das kaum. Wenn er es drauf anlegt kann er den Normverbrauch (11,7 Liter zurückgerechnet auf NEFZ) streckenweise sogar unterbieten. Verdoppeln geht freilich ebenfalls. Aber das dürfte auch beim neuen RS6 niemanden überraschen, genauso wenig wie die Geräumigkeit der Kombikarosse und die gute Verarbeitung.

Dass Audi den schnellen Avant jetzt sogar im Limousinenland USA anbietet schon eher. Aber die Resonanz dort ist gut. Der erste Eindruck nach dem Fahren auf kurvigen Bergstraßen in den USA mit erstaunlich kleinen Radien auch.

Fazit

Der Audi RS6 war schon immer ein besonders schneller A6 Avant mit Allradantrieb. Das ist der neue auch, aber er ist jetzt außerdem sehr agil, handlich und liegt so gut, dass man selbst einen Ausflug auf die Rennstrecke in Erwägung ziehen kann.

Dazu passend haut er jetzt optisch mit seiner acht Zentimeter breiteren Karosse ordentlich auf die Pauke. Das fällt besonders am Heck mit den extrem ausgestellten Radhäusern auf, unter denen sich die Allradlenkung verbirgt, die wohl am meisten zur neuen Agilität beiträgt. Wer die genießen will, kauft den Neuen am besten mit Stahlfederwerk, und muss nicht mal drauf verzichten, wenn er noch mehr Pferde (im Hänger oder in einem Motorboot) mitziehen will. Der Preis dafür ist mindestens 118.750 Euro (mit DRC) hoch, aber immer noch günstiger als bei der Konkurrenz.

Tabelle (techn. Daten)

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