Die technischen Daten sind vielversprechend: 12,8 Liter Hubraum und 400 PS lassen in dem Zweisitzer die Hoffnung auf ein spannendes Fahrerlebnis keimen. Zunächst. Dann allerdings die Ernüchterung: Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 23 km/h. Ich habe schon schnellere Modelle bewegt.
Aber die Faszination des Pisten Bully 600 liegt nicht in der Geschwindigkeit, eher vielleicht in seinen Dimensionen: Vorn ein riesiges Schild, hinten eine Fräse, und dazwischen liegen elf Meter. In der Mitte das kleine Cockpit für zwei Personen und der Sechszylinder-Turbodiesel von Mercedes. Riesig ist nicht nur der Hubraum, sondern auch der Ölinhalt des Motors von 42 Litern. Getankt wird Winterdiesel, der bis minus 40 Grad funktioniert.
Pro Stunde konsumiert der Hubraumgigant zwischen 35 und 40 Liter.
Zwischen der vorderen Schaufel und der hinteren Fräse gibt es zwei Kunststoffbänder mit senkrecht stehenden Aluminiumleisten, die an ihren Enden Stege aus Edelstahl tragen. Sie garantieren dem 6,8 Tonnen schweren Koloss Vortrieb an nahezu jeder Steigung. Natürlich hat auch der Kässbohrer Pisten-Bully seine Grenzen. Aber dafür gibt es im unwegsamen Gelände fest fixierte Stangen, an denen er eingehängt werden kann, um sein Tagwerk zu erledigen.
Übrigens: Bei Tag sieht man die Klettermaxe eher selten. Sie gehören zur scheuen Gattung. Ihre Arbeit beginnt, wenn der Skizirkus feiert, also frühestens um 16 Uhr. Schichtende? So gegen ein oder zwei Uhr morgens. Wenn es nachts schneit, werden die Motoren bereits um vier Uhr in der Früh wieder angeworfen.
Im Cockpit des Pisten-Bully grüßt Captain Future
Und wie lässt sich so ein Monster bewegen? Im Cockpit grüßt Captain Future. Das Lenkrad ist gerade mal ein Halbkranz – wie in der Formel 1. Es gibt drei Fußpedale: Kupplung, Bremse, Gas? Weit gefehlt. Mit dem linken Pedal kann man nur die Lenksäule nach oben oder unten verstellen. Und mit dem rechten lässt sie sich zum Fahrer hin verschieben. Statt des Kupplungspedals gibt es eine Fliehkraftkupplung. Und das Gaspedal? Nach unten getreten bewegt sich der Bully nach vorn. Zuckt der Gasfuß zurück, verzögert die Raupe. Ein Bremspedal braucht es nicht. Dafür gibt es einen roten Feststellbrems-Hebel rechts neben dem Piloten. Die ideale Drehzahl liegt zwischen 1400 und 1500 Umdrehungen. „Mehr bringt nichts“, erklärt Georg Kasper, der den Bully normalerweise bewegt. Es ist der erste Skitag auf der Silvretta Nova im Montafon. Und Kasper ist bereits den dritten Tag am Berg.
Das Schild wird mit der Armlehne gesteuert
Rechts neben dem Fahrer gibt es eine Armlehne, die es in sich hat. Das vordere Schild, also die Schaufel, wird nur mit rechts gesteuert. Armlehne hoch – Schild hoch. Armlehne nach rechts – Schild nach rechts gedreht. Und umgekehrt. Auf einer kleinen Konsole lässt sich auch die hintere Fräse steuern. Dies kann aber auch per Touchscreen erledigt werden. Neben dem rechten Arm gibt es eine ganze Knopfbatterie: Beleuchtung, Spiegelverstellung, Scheibenheizung und Scheibenwischer werden hier gesteuert. Dazu kommen Kontrollanzeigen für die Schild- und Fräsen-Pumpen. Und Schalter für die hintere Fräse.
Themen, die den Novizen im Bully- Cockpit zunächst wenig tangieren. Ich bin erst einmal mit dem Gaspedal und der Lenkung beschäftigt, die ausgesprochen direkt und zickig reagiert. Man muss sich erst daran gewöhnen, sonst zappt der Bully nervös von links nach rechts.
Die Steigfähigkeit ist beeindruckend.
Um die Arbeit im steilen Terrain aber noch weiter zu optimieren, gibt es im Skigebiet fixe Haltepunkte. Hier werden die Bullys mit Ketten und Seilen befestigt, um ein optimales Arbeiten im Steilhang zu erleichtern. Wir bewegen uns auf einer noch nicht freigegebenen Piste, die plötzlich in einem steilen Abgrund endet. Die Strecke ist so schmal wie die Spur des Pisten-Bully. Links der Steilhang, rechts der Abgrund.
Der Pisten-Bully braucht praktisch keinen Wendekreis
Aber Kasper bleibt cool: „Der braucht praktisch keinen Wendekreis.“ Trotzdem empfiehlt er, beim Drehen zu rangieren. „Sonst ist die Belastung auf den Laufbändern zu groß.“ Also drehen, vom Gas gehen – der Abgrund ist nah. Auf der Lenksäule die Fahrtrichtung rückwärts wählen und wieder aufs Gas.
Logisch: Es hat auch schon Unfälle mit den Pisten-Bullys gegeben. Einmal ist einer abgestürzt. Der Fahrer hat sich verletzt, als er im Nebel auf eine Schneewächte fuhr, die unter dem Gewicht der Raupe nachgab. Bei einem Leergewicht von 6,8 Tonnen eigentlich kein Wunder.
Was ist jetzt los? Steil bergauf droht der Bully trotz 2000 Touren immer langsamer zu werden. Ich werfe einen fragenden Blick in Richtung Experte. „Die Piste ist erst gestern gespurt worden. Die ist noch zu weich.“ Es liegt also nicht an mir, Glück gehabt.
Die Bergabfahrt kann furchterregend sein
Ist die Fahrt in Richtung Gipfel beeindruckend, so kann sie bergab furchterregend werden. Man muss sich daran gewöhnen. Wenn man von der Faszination Pisten-Bully sprechen kann, dann jetzt. Aber die Fräse am Heck, aktiviert durch einen Knopf auf der Lenkradkonsole, und die Alustege auf den Kunststoffbändern sind eine gute Versicherung, auch wenn man den Körper im Cockpit gegen den Fall nach unten abstützen muss.
Längst gibt es Geschicklichkeits-Wettbewerbe im Umgang mit den Pisten-Bullys, einen hat ein Kollege von Kasper aus dem Montafon bereits in Südfrankreich gewonnen. Die wahre Kunst ist aber nicht das Handling des Bully, sondern die perfekte Präparation der Piste. Mit möglichst wenig Schnee soll die Strecke bis zum Abend perfekt halten. „30 Zentimeter Schneehöhe reichen dafür aus“, verrät der Experte.
Und wie lange braucht man, um einen Pisten-Bully perfekt dirigieren zu können? Kasper: „Das ist reine Gefühlssache. In einem einzigen Winter sollte man es lernen. Ansonsten lernt man es nie.“ Spricht – und fährt noch einmal auf meiner Spur zurück. Die tiefen Furchen, die ich hinterlassen habe, sind einem Perfektionisten wie ihm ein Gräuel.
Info: Der Weg zum Bully-Lenker
Der Pisten-Bully-Führerschein wird im Montafon im österreichischen Vorarlberg bereits im zweiten Winter vergeben. Preis: 155 Euro (Mitfahrer 55 Euro). Treffpunkt ab 15.15 Uhr, Valisera-Bahn Gaschurn. Buchung: am Vortag bis 16.30 Uhr unter www.silvretta-montafon.at und an allen Kassen im Silvretta-Skigebiet. Teilnehmerzahl: ein Erwachsener und ein Kind (mindestens zwölf Jahre) oder zwei Erwachsene.