Zum Interview treffen wir uns im Volvo-Designcenter in Göteborg. Ein gigantisch großer Raum mit grauem Fußboden, vergleichsweise niedriger Decke und meterlanger Fensterfront. Wir nehmen auf grauen Designerstühlen Platz. Vor uns verweilt der Polestar 1 als einziger Dekorationsgegenstand.
Ich möchte mich nicht zu sehr auf einen Stil festlegen – das wäre mir zu viel Klischee. Für mich ist es nicht die Kleidung, sondern es sind die Inhalte, die einen CEO modern machen. Ob jemand dabei einen Rollkragenpulli, Sneakers oder einen Anzug trägt, spielt für mich keine Rolle. Wobei ich als Designer natürlich auch nichts gegen modisches Auftreten habe.
Als Ingenlath den Polestar 1 in Shanghai präsentierte, trug er einen maßgeschneiderten Anzug in Senfgelb. Er selbst bezeichnet die Farbe als „Swedish Gold“. Heute ist es ein grau meliertes Sakko, das perfekt zum Fußboden passt.
Ja, selbstverständlich. Das ist ein ganz schöner Umschwung für eine Firma, die vom Racetrack kommt. Natürlich könnte man sich fragen, warum wir keine komplett neue Marke dafür gegründet haben. Aber es gibt da schon einen roten Faden, der sich durch die komplette Historie zieht.
Die Emotionen und der Spaß, die geweckt werden, wenn man dieses Auto fährt. Elektromobilität und Leidenschaft, das ist eine neue Kombination. Und der Hintergrund von Polestar passt perfekt dazu. E-Mobilität wird in ein paar Jahren kein Alleinstellungsmerkmal mehr sein. Mit unserer Strategie können wir uns von der Masse abheben.
Es geht zum einen um die offensichtlichen Dinge, die ich fühle, die ich sehe. Wir überlegen, wie unser Produkt aussehen soll, wie wir mit den Kunden in Kontakt treten. Aber es kommt andererseits auch auf das Denken dahinter an: Texte schreiben, Fotos machen, Entscheidungen treffen, wo wir unsere Polestar-Spaces positionieren, wie unsere Angebotsstruktur sein wird. Es sind tausend Bausteine, die diese Marke ausmachen und an denen wir arbeiten.
Wenn er über die vielen Aufgabenbereiche erzählt, die er jetzt bei Polestar verantwortet, nutzt Ingenlath viele Gesten. Manchmal sieht es so aus, als wolle er die Worte zeichnen.
Uns geht es nicht um Rundenzeiten. Natürlich könnten wir die Modelle auch Track-tauglich machen, zum Beispiel in der Fahrwerksabstimmung. Aber wir wollen ein Auto bauen, das vor allem im Alltag Spaß macht.
Sie freuen sich sehr, dass wir die damalige Coupé-Studie von 2013 jetzt wirklich bauen. Die Reaktionen darauf waren phänomenal. Und ich habe das Gefühl, dass die Frage des Antriebs dabei erst mal nicht so im Vordergrund steht. Das Schöne ist ja, dass wir heutzutage nicht mehr so dogmatisch denken wie früher. Wenn ich heute ein Auto präsentiere, das sexy ist, und es zufällig einen Elektroantrieb hat, dann werden die Leute es trotzdem ausprobieren. Und vielleicht verlieben sie sich dann sogar in ein Elektroauto.
Ingenlath spricht ruhig und ausgeglichen. Zwischendurch überlegt er etwas länger, wie er den Satz weiterformt, weil ihm die deutschen Ausdrücke fehlen. Dann verwendet er englische Beschreibungen, die ihm sichtlich leichter von den Lippen gehen.
Sehr sogar. Es ist einfach ein unbeschreibliches Gefühl, total lautlos an einer Ampel zu stehen, ohne Vibrationen oder Ähnliches. Es strahlt eine ganz besondere Ruhe aus. Und dann kommt da plötzlich dieses explosionsartige Drehmoment und dieser unglaubliche Schub – ein tolles Gefühl!
Das kann ich zwar nachvollziehen. Denn natürlich liebe auch ich den Sound eines Sechszylinder-Boxermotors. Aber so schön die Nostalgie und Romantik ist, in der wir schwelgen, wenn wir an diese Motoren denken – für mich gehören sie langsam schon der Vergangenheit an.
Absolut. Und da machen sich die Leute meiner Meinung nach viel zu viele Sorgen. Da wäre zum Beispiel die Angst vor dem autonomen Fahren: Viele glauben, dass sie dann kein Auto mehr fahren dürften – natürlich dürfen wir das! Wir sollten die moderne Technik nicht immer damit verbinden, dass in der Zukunft alles „grausam“ wird. Im Gegenteil: Freuen wir uns lieber über die Gelegenheiten, die uns diese Zukunft bietet. Genau das ist die Mission von Polestar.
Aber an dieser Stelle möchte ich klarstellen, dass wir keinen Tesla-Killer bauen wollen. Dieses Martialische gefällt mir nicht. Es geht nicht darum, jemanden zu schlagen, sondern es geht vielmehr darum, einer Bewegung beizutreten. Wir wollen eine Vielfalt in ein Gebiet bringen, wo es momentan eben einfach noch keine Vielfalt gibt.
Er hält kurz inne und beantwortet die skeptische Nachfrage schon von selbst, ohne dass sie überhaupt ausgesprochen wird.
… Ich will jetzt auch nicht alles blumig reden. Natürlich geht es auch darum, Marktanteile zu gewinnen und uns eine Erfolg versprechende Position auf diesem neuen Markt zu sichern, keine Frage.
Der Begriff „Traumauto“ wäre zu isoliert. In meiner Position als Chefdesigner diene ich einem ganz klaren Zweck: Ich habe das Traumauto von Volvo designt. Aber unter uns: Als ich zum ersten Mal gesehen habe, wie der Polestar auf dem Parkplatz zwischen den anderen Autos stand, da war mir schnell klar, dass der hier in einer ganz anderen Liga spielt als das, was Volvo bisher gemacht hat. Deshalb haben wir uns auch dazu entschieden, ihn als dramatischen Eintritt für die Marke Polestar zu nutzen.
Wir wollen die Technologie nachvollziehbar erklären und dabei gleichzeitig einen ästhetischen Genuss liefern. Selbst wenn wir über Dinge wie eine Batterie reden, möchten wir Begeisterung wecken. Und zwar authentisch, ohne großes Marketing-Gehabe.
Na ja, also wenn James Bond sich künftig für den Polestar 1 entscheiden würde, dann hätte ich natürlich auch nichts dagegen.
Er grinst und sieht dabei den Polestar 1 an. Denn trotz aller Bescheidenheit weiß auch er ganz genau: Ein Bond-Auto, das uncool ist, gibt es nicht.
Vita
Thomas Ingenlath wurde 1964 in Krefeld geboren und studierte Gestaltung in Pforzheim und London. Danach bekleidete er leitende Positionen in den Designabteilungen von Audi, Volkswagen (1995–2000) und Skoda (2000–2006). Bevor er 2012 Chefdesigner von Volvo wurde, leitete er sechs Jahre das Volkswagen Design Center in Potsdam.