Von technisch interessierten Leuten wird dem Fiat-Coupé einiges Misstrauen entgegengebracht, denn es fehlt ihm völlig an technischer Delikatesse. Es ist mit den simplen Mitteln heutiger Automobil-Konfektion konstruiert: Der Stoßstangen-Reihenmotor und das Fahrwerk mit an Längsblattfedern aufgehängter, starrer Hinterachse wurden von der Limousine übernommen. Wäre dies nicht so, dann wäre der günstige Preis wohl kaum möglich. Auf den ersten Blick schien das Fiat Coupé also einer jener Blender zu sein, die mit einer hübschen Karosserie auf das Geltungsbedürfnis der Käufer spekulieren, ohne technisch und fahrerisch höhere Ansprüche erfüllen zu können.
Schneller als Porsche Super 90 und Mercedes 190 SL
Die Leistungswerte, die für die schnelle Version, das Fiat 2300 S Coupé, genannt wurden, sind nicht gering zu schätzen: Annähernd 200 km/h Höchstgeschwindigkeit vermögen weder das Mercedes 220 SE Coupé noch der 190 SL oder der Porsche Super 90 zu erreichen, und das Fahrwerk mit seinen vier Scheibenbremsen (gegenüber der Limousine vergrößert) und den gürtelbereiften 15-Zoll-Rädern (Limousine 14 Zoll) bot durchaus die Voraussetzungen für eine solche Leistung. In der Zusammenarbeit mit Abarth wurde genau studiert, was man mit dem Ventiltrieb des 2300 machen musste, um ihn in höchstem Maße drehzahlfest zu machen, es wurden Spezial-Ventile und Spezial-Lager eingebaut.
Die Karosserie des Fiat 2300 S Coupé ist ein Beispiel dafür, dass Ghia nicht nur verspielte und abwegige, sondern auch völlig unprätentiöse Formen zu schaffen vermag. Solches zeigt sich immer, wenn Ghia für die Serienfertigung arbeitet (siehe Karmann-Ghia), während die Einzel-Schöpfungen der neben Farina bedeutendsten italienischen Karosseriefirma zumeist gewollt-provozierend sind.
Die Linien des Fiat 2300 S Coupé sind von klassischer Ruhe; ihr einziges auffälliges Element, die rückwärts geneigten hinteren Dachpfosten, war vor einigen Jahren kurzzeitig allgemein in Mode und ist darum mehr gewohnt als gewagt. Die übergroße Heckscheibe fand man ebenfalls schon häufig an Sportwagenkarosserien. Front und Heck sind klar gegliedert, die Windschutzscheibe steht nicht überaus schräg, Zier-Attribute sind fast gar nicht vorhanden.
Fast ein echter Viersitzer
Auf der Straße wirkt das Fiat 2300 S Coupé darum eher beruhigend als aufregend. Er ist unauffällig, aber elegant, und er sieht trotz seinen vier Sitzen sportwagenmäßig schnell aus. Klein ist er nicht: Mit 4,62 m Länge übertrifft er den Porsche um 61 cm, selbst das Alfa Romeo Coupé ist um 4 cm kürzer und hat auch einen kürzeren Radstand, denn beim Fiat wurden die 2,65 m der Limousine beibehalten.
Diese Tatsache sorgt für respektable Innenmaße, das Fiat 2300 S Coupé wäre ein reeller Viersitzer, wenn nicht der hintere Kopfraum durch das abfallende Dach eingeschränkt würde, was man bei einem solchen Wagen hinnehmen kann. Die sonstige Sitzbequemlichkeit hinten ist ausgezeichnet, auch der Knieraum reicht aus. Enorm groß ist der Kofferraum, und alles dies stempelt den Fiat zum bequemen Reisefahrzeug.
Leider verwendet Fiat auch im 2300 S Coupé den gleichen Polsterstoff wie immer, es wäre besser, ihn durch Leder zu ersetzen. Die Fahrer-Sitzposition ist hervorragend; selbst unter den Sportwagen gibt es nur wenige, die Gleichwertiges bieten können. Der Verstellbereich des Sitzes dürfte allen Ansprüchen genügen. Das Nardi-Lenkrad ist serienmäßig, an seinen dünnen Kranz muss man sich zunächst gewöhnen. Die stehenden Pedale sind vielleicht noch verbesserungsfähig. An der Schalthebelanordnung ist nichts auszusetzen, die Schaltwege sind nicht zu lang.
Vollständiges Instrumentenbrett
Die Instrumente des Fiat 2300 S Coupé sind ohne unnötige Verzierungen sehr übersichtlich angeordnet, und es fehlt nichts: vor dem Fahrer Tachometer und Drehzahlmesser, darüber eine elektrische Uhr, links Ölthermometer und Benzinuhr, rechts Öldruckmesser und Kühlwasserthermometer. Die Schalter für Licht, Instrumentenbeleuchtung, Heizgebläse und Scheibenwischer sind als Kippschalter nebeneinander angebracht, wodurch sie leicht verwechselt werden können.
Besonders der Wischerschalter liegt ungünstig und sollte an einer anderen Stelle angebracht werden. Beinahe sensationell ist es, dass man selbstbei höchsten Geschwindigkeiten ein Seitenfenster öffnen kann, ohne dass es im Fiat 2300 S Coupé zieht. Im Ganzen: ein Interieur mit ungewöhnlich vollständiger, beinahe luxuriöser Ausstattung.
Fiat 2300 S Coupé ist ein echter Sportwagen
Eine hübsche Karosserie und eine gute Ausstattung des Fiat 2300 S Coupé verlieren an Wert, wenn man beim Fahren enttäuscht wird – etwa durch lautes Geräusch, harte Federung oder unbefriedigende Fahreigenschaften. Derartige Enttäuschungen bleiben beim Fiat Coupé völlig aus – im Gegenteil, die äußeren Eindrücke verblassen hinter den Fahrqualitäten. Das ist besonders erstaunlich angesichts der erwähnten konstruktiven Anspruchslosigkeit des Wagens. Diese zeigt sich nur in einigenwenigen, verhältnismäßig unbedeutenden Punkten. Das Gesamtbild ist abgerundet und überzeugend. Eine konstruktionsbedingte Eigenschaft des Wagens, mit der man sich abfinden muss, ist das auffällige Ventilgeräusch.
Der Ventiltrieb des S-Motors ist, wie wir schon sagten, auf hohe Drehzahlfestigkeit ausgelegt; die dazu nötigen Änderungen haben es offenbar mit sich gebracht, dass der Ventilmechanismus hörbarer ist als normal. Besonders stark hört man das Ventilklappern im Leerlauf, bei höheren Drehzahlen tritt es gegenüber den sonstigen Geräuschen mehr und mehr zurück. Von diesem Geräusch, das mehr ungewohnt als laut ist, abgesehen, kann es der Stoßstangenmotor des Fiat 2300 S Coupé mit jedem OHC-Motor aufnehmen.
Erstaunlich für einen Motor dieser Leistungsklasse (59 PS/Liter!) ist sein kräftiges Temperament im unteren Drehzahlbereich: Er läuft bis zu 1.000/min hinunter rund und liefert selbst im IV. Gang schon ab 2.000/min fühlbare Beschleunigung. Wie jeder hochbelastete Motor darf er erst bei voller Betriebstemperatur ausgedreht werden, wir hatten uns angewöhnt, 4.000/min erst zu überschreiten, wenn mindestens 50 Grad Öltemperatur erreicht waren.
Gleichmäßige Leistungsentfaltung
Auch im Bereich unter 4.000/min lässt sich der Fiat 2300 S Coupé nämlich schon recht zügig fahren. Der Motor steigert seine Leistung mit der Drehzahl gleichmäßig, setzt also nicht erst bei einer bestimmten Drehzahlgrenze stärker ein. Das ermöglicht ein sehr flüssiges Fahren ohne ständiges Ausnutzen der Drehzahl.
Es reichen deshalb auch trotz der großen Geschwindigkeitsspanne vier Vorwärtsgänge völlig aus, um im Fiat 2300 S Coupé stets ein überlegenes Beschleunigungsvermögen verfügbar zu haben. Sauber wie ein ohc-Motor lässt sich der Stoßstangensechszylinder bis an die 6.500/min ausdrehen; das entspricht Fahrbereichen im I. Gang bis zu etwa 65 km/h, im II. bis zu etwa 110 und im III. bis zu etwa 150 km/h.
Sparsamkeit hat keine Priorität
Zwei Weber-Doppelvergaser sorgen für die kultivierten Eigenschaften des Motors. Sparsamkeit hat dabei keine Priorität. Wichtig ist in erster Linie eine gute Füllung in allen Drehzahlbereichen.
Zu den ausgesprochen sparsamen Autos kann man den Fiat 2300 S Coupé nicht zählen, aber seine Ansprüche bleiben, wenn man die überlegene Leistung mit in Ansatz bringt, durchaus normal. Auf langer Strecke blieben wir auch bei schnellem Fahren unter 16 Liter/100 km, nur bei forciertem Kurzstreckenverkehr wurde diese Grenze überschritten. Der Ölverbrauch blieb auch bei hoher Belastung gering und bewegte sich bei 1,5 Liter auf 1.000 km.
Leichtgängige Lenkung und hervorragende Bremsen
Das Fiat 2300 S Coupé ist nicht nur auf leeren Autobahnen, sondern auch im dichteren Verkehr ein äußerst erfreuliches Fahrzeug. Man kann mit ihm auch langsam fahren, sehr leise und komfortabel sogar; und man hat jederzeit, wenn sich die Möglichkeit oder die Notwendigkeit ergibt, die überlegene Beschleunigung zur Verfügung.
Man kann mit der leichtgängigen und exakten Lenkung des Fiat 2300 S Coupé mühelos manövrieren, man kann mit den hervorragenden Bremsen auch aus höheren Geschwindigkeiten heraus jederzeit sicher abbremsen – sicherer und exakter, als es mit den meisten Normalautomobilen möglich ist.
Über Lenkung und Bremsen ist sonst nicht viel zu sagen: Beide erfüllen alle Ansprüche, die bei einem Wagen dieser Art zu stellen sind, beide verlangen nur wenig Betätigungskraft.
Unkompliziert und fahrerisch reizvoll
Beim starken Bremsen auf schlechter Straße wurde manchmal die Hinterachse des Fiat 2300 S Coupé etwas unruhig – eine Erscheinung, die mit den Bremsen vermutlich weniger zu tun hat als mit der Hinterachsaufhängung, deren konstruktiv bedingte Grenzen unter anderen Fahrbedingungen erstaunlich wenig sichtbar werden. Vielleicht mutet das Bremsmoment den für Radführung und Radfederung gleichzeitig verwendeten Blattfedern unter ungünstigen Bedingungen etwas zu viel zu.
Man hat es bei Fiat schon immer verstanden, unkomplizierte und fahrerisch reizvolle Autos zu bauen. Das 2300 S Coupé ist nun wieder einmal ein Beweis dafür, dass man dies nicht nur bei Klein- und Mittelklassewagen versteht, sondern auch bei schnellen sportlichen Autos.
Alles an diesem Wagen zeugt von Können – auch seine konstruktive Einfachheit. Man muss aber dem S-Coupé bescheinigen, dass es trotz seiner hervorragenden Leistungen keinen überzüchteten Eindruck macht, sondern sportlichen Charakter und Kultiviertheit in ungewöhnlicher Weise vereint. Es ist ein Reisefahrzeug für Leute, die nicht immer in der Masse mitschwimmen wollen. Manche von diesen Leuten haben den Kaufvertrag unterschrieben, ohne das Fiat 2300 S Coupé je gesehen zu haben. Sie werden nicht enttäuscht sein.
Das Fiat 2300 S Coupé heute
Gemessen an seinen hervorragenden Fahreigenschaften ist das elegante Fiat 2300 S Coupé immer noch deutlich unterbewertet. Auch der Preisboom bei den Klassikern zeigt bei diesem feinen Gran Turismo eine eher milde Wirkung. Das Angebot ist klein und die Nachfrage gering. Eine Mitgliedschaft bei der Coupé-IG ist wegen der schwierigen Ersatzteillage dringend geboten.
Nur rund 3.500 Exemplare wurden von 1961 bis 1968 gebaut. Modelle ohne S mit 105-PS-Motor sind absolute Raritäten. Sicherlich hat der Fiat 2300 S ein Imageproblem, seine eigenwillige Heckpartie polarisiert, und das Interieur könnte edler wirken. Doch dank erprobter Großserientechnik schont dieser famose Geheimtipp für Kenner das Budget für Wartung und Reparaturen.
Preise 2013 (Classic-Car-Tax)
Fiat 2300 S Coupé, Baujahr 1965, Zustand 2/4 23.000 / 5.700 Euro
Clubs und Spezialisten
- Fiat 2300 S Coupé Interessen-Gemeinschaft, Rainer Schön, Rahmweg 5, 47906 Kempen, www.fiat2300.de
- Koch Klassik Automobil-GmbH, Horst Koch, Schloßstraße 2, 74078 Heilbronn, Tel. 0 70 66/9 41 10-0, www.klassik-koch.de
- Holtmann & Niedergerke GmbH, Fiat-Ersatzteile, Am oberen Feld 4, 32758 Detmold, Telefon 0 52 31/6 17 90, www.holtmann-niedergerke.de
Fiat 2300 S 2.3 | |
Außenmaße | 4620 x 1630 x 1365 mm |
Hubraum / Motor | 2279 cm³ / 6-Zylinder |
Höchstgeschwindigkeit | 195 km/h |