Audi-Designchef Marc Lichte und sein Exterieur- Designchef Andreas Mindt sind seit über zwei Jahrzehnten ein eingespieltes Team – besonders, seit sie 1995 zusammen den auto motor und sport-Designwettbewerb mit Hochschulen aus aller Welt gewannen. 17 Jahre lang haben sie dann gemeinsam die Linienführung der Marke VW gestaltet, seit Februar 2014 prägen sie gemeinsam mit Interieur-Designchef Enzo Rothfuss den neuen Auftritt bei Audi.
Lichte: Der auto motor und sport-Designwettbewerb war der Anfang von allem. Ich wäre danach eigentlich zu Porsche gegangen, aber dann hat mich direkt nach dem Wettbewerb der damalige Audi-Designchef Hartmut Warkuß engagiert. Danach ging es erst einmal mit ihm zu VW, wo ich mehr als 17 Jahre im Exterieur-Design gearbeitet habe.
Lichte: Als ich angesprochen wurde, befand sich Audi beim Nachfolger des A8 gerade in der Entscheidungsphase. Der Vorstand hat mich dann gebeten, selbst auch noch einen Entwurf zu machen. Mit einem ganz kleinen Team haben wir in einem geheimen Raum bei VW gleich losgelegt.
Lichte: Wir haben uns simpel gefragt: Wofür steht Audi? Was ist das Markenleitbild? Vorsprung durch Technik steht im Zentrum, darunter dann die Hochwertigkeit, Sportlichkeit und Progressivität. Hochwertigkeit halte ich in diesem Segment für selbstverständlich. Bei der Sportlichkeit hat vor allem Mercedes stark aufgeholt, bei Audi ist auf jeden Fall noch Potenzial. Aber das Wichtigste war uns Progressivität. Da heben wir uns auch in Zukunft sehr, sehr deutlich ab. Progressivität war ja auch der Grund, warum Audi in Rekordzeit so erfolgreich geworden ist.
Lichte: Audi hat sich unter der Ägide von Ferdinand Piëch oftmals für einen neuen Weg entschieden. Die Konkurrenz hat Autos aus Stahl gebaut, Audi aus Aluminium. Die Konkurrenz hat Heckantrieb, wir Allradantrieb, was ja auch Auswirkungen auf die Proportionen hat. Und denken Sie nur an die Aerodynamik, die viele Audi-Modelle ausgezeichnet hat.
Lichte: In der Phase der Markenprägung hat man das etwas zurückgenommen. Doch genau an dieser Stelle greifen wir jetzt richtig an. Es gibt in unserer Strategie einige Punkte, die uns wichtig sind: Prestige, Differenzierung, Sportlichkeit, Technologie und Interaktion.
Lichte: Wir machen das radikal anders als der Wettbewerb. Es gibt ein übergreifendes Designthema, aber die Ausprägung ist dann bei jedem Auto anders. Das geht los bei der Grundgestaltung der Seitenwand bis hin zum Tagfahrlicht. Jedes Auto bekommt einen eigenen Charakter.
Mindt: Wir gestalten eine Familie mit unterschiedlichen Familienmitgliedern.
Lichte: Wir werden ein neues Bedienkonzept präsentieren, natürlich touchbasiert. Ich habe Enzo Rothfuss als Interieur-Designchef nur eine Sache dazu gesagt: Ich möchte, dass die Displays quasi unsichtbar integriert sind. Die Schalter, die wir überhaupt noch benötigen, sollten wir so integrieren, dass sie nicht auffallen. Ein rechteckiges Display macht ein Auto schließlich nicht schöner. Rothfuss: Obwohl wir gemeinsame Bedienelemente verwenden, stehen die Grundvolumina der Schalttafel bei jedem Auto in einer eigenen Relation – exakt abgestimmt auf den Charakter des Modells und die Gestaltung des Exterieurs. Beim Audi A8, der sehr viel Weite und Eleganz bietet, genauso wie bei megasportlichen Autos. Wir spielen da auch mit unterschiedlichen Formen der Fahrerorientierung.
Lichte: Wir haben in der Rekordzeit von zwei Monaten vom A8 ein 1 : 1-Tonmodell gebaut, das all diese strategischen Maßgaben umgesetzt hat. Montags ging es offiziell im Audi-Design los, am Dienstag stand dann schon die Präsentation des Autos in Spanien an. Es gab ja noch vier weitere Entwürfe. Da habe ich mir gedacht, wenn ich da als neuer Designchef hinkomme und unser Entwurf fällt durch – das wäre wirklich schwierig gewesen. Ich habe die Nacht vorher schlecht geschlafen. Aber wir hatten Erfolg – es war das einzige Auto, das sich komplett differenziert hat, im Gesicht, in den Seitenwangen, in allem.
Mindt: Unser Vorteil war, dass wir uns vorher abstrakt mit der Marke auseinandergesetzt hatten. Und dann stand ein Auto da, das mehr Audi war als alle anderen – weil wir die Aufgabe einfach unverbraucht und ohne Vorbehalte angehen konnten.
Lichte: Gleich am ersten Arbeitstag haben wir dem Vorstand die Strategie vorgestellt. Und danach war es einfach – bei den nachfolgenden Autos war das Thema bereits akzeptiert.
Lichte: Das Package des A8 war bekannt. A6 und A7 werden viel flacher, bekommen größere Räder und kürzere Überhänge, um die Sportlichkeit zu verstärken. SUV haben immer große Räder und eine breite Spur. Das war nicht die Herausforderung. Die lag eher in der Differenzierung.
Mindt: Die Differenzierung im Gesicht war wichtig, wir wollen uns stärker von der Limousine absetzen.
Lichte: Früher hatte Audi kein richtiges Gesicht. 1998 kam der erste wichtige Schritt. Da entstanden die Grundzüge des Singleframe-Gesichts. 2004 mit dem A8 V12 und dem A6 kam der richtige Singleframe. Das war ein sehr wichtiger Schritt. Von diesem Tag an hatte Audi ein Gesicht. Es war von null auf hundert da, trotz kontroverser Diskussionen. Wir haben jetzt mit den Proportionen gespielt, den Grill breiter gemacht, ohne die Höhe beim A8 zu verändern. Dadurch wirkt er flacher – und schon hat man ein anderes Gesicht. Und dann haben wir festgelegt, dass der Singleframe bei den A-Modellen ein Sechseck bildet, bei den Q-Modellen ein Achteck. Dort werden die Lamellen wie beim Q8 vertikal angeordnet.
Lichte: Nein. A8, A7 und A6 haben trotz des Sechsecks alle eine andere Singleframe-Form. In den Proportionen sind das andere Ausprägungen. Der A8 ist sehr statusorientiert und aufrecht, der A7 ist sportlich und flach, der A6 bewegt sich dazwischen. In vergleichbarer Art und Weise differenzieren wir auch zwischen den Q-Modellen.
Lichte: Für uns war klar, dass der Singleframe auch hier bleibt. Die ganzen neuen Start-ups sind zwar sehr kreativ, aber sie haben alle kein Gesicht. Insofern wäre es falsch, hier einen neuen Weg zu gehen. Wir behalten die achteckige Grundform bei, aber wir invertieren die Farbgebung (kehren sie um, Anm. der Red.). Heute ist der Kühler schwarz, weil Luft hineinmuss. Diese Funktion brauchen die E-Modelle nicht, deshalb drehen wir die Farbe ins Helle um. Dadurch erkennt man aus der Ferne sofort, dass ein Audi kommt – aber ein elektrisch betriebener.
Mindt: Wir machen da einen klaren Unterschied. Mercedes und BMW haben den Standardantrieb. Die richten die Proportion deshalb stärker zur Hinterachse aus. Bei uns sitzt die Kabine zentral auf allen vier Rädern – das ist der Quattro-Gedanke. Wir empfinden das als die beste Proportion. Das Auto ist an den Türen sehr schlank, zu den Rädern hin wird es kräftiger. Da helfen uns die Linien. Und wir nutzen sie als Ausdruck von Präzision. Wir können mithilfe unserer Produktion Eckradien von 2,5 Millimetern machen, unsere Konkurrenz kann lediglich acht Millimeter. Das ist ein großer Unterschied.
Lichte: Das sind insgesamt zwei Autos: Der Ur- Quattro mit seiner markanten trapezförmigen Säule hat uns sehr stark beeinflusst, und der TT der ersten Generation mit dem extrem flachen Dach. Da gehen wir radikal wieder hin. In Zukunft gibt es bei uns zwei Dachaufbauten: Limousinen und Coupés bekommen die TT-inspirierte, sehr schnelle Fenstergrafik mit einer sehr schnellen Säule – selbst der A8. Dadurch wird er das sportlichste Auto in seinem Segment, obwohl die Kopffreiheit gleichzeitig üppiger ist. Alle Q-Modelle und die Hatchbacks mit kurzem Heckabschluss bekommen die trapezförmige Säule in Anlehnung an den Ur-Quattro. Es gibt in Zukunft nur noch diese zwei Aufbauten bei Audi. Das sind für mich 100 Prozent Audi-Gene.