Die strahlende Mittagsonne in dem kleinen Ort nahe Mailand erinnert noch an den Sommer, aber die einzigartige Wärmekraftmaschine unter der grauen Motorhaube lässt viel eher schon an den Advent denken: Ein Kerzlein brennt, erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier ... doch dann steht noch lange nicht das Christkind vor der Tür. Erst müssen die weiteren acht Zündkerzen jenen V12 zum Leben erwecken, in dem sie stecken.
Der V12 des Alfa Romeo 6C 2500 besitzt ein unvergleichliches Timbre
Fauchend springt der Dreiliter an und läuft rasch rund, mit einem Ansauggeräusch, dessen Timbre irgendwo zwischen Eros Ramazotti und Gianna Nannini liegt. Von allzu viel Schwungmasse scheint der Alfa-V12 nicht gebremst zu werden; das Antippen des Gaspedals quittiert er mit spontanem Hochdrehen.
Die Bedienkräfte der Kupplung überschreiten nicht das übliche Maß, der erste Gang im H-Schema lässt sich problemlos einlegen, und dann rauscht das anthrazitfarbene Coupé bei vielleicht 1.800 Umdrehungen pro Minute mitten hinein in den Mailänder Mittagsverkehr.
Das Alfa Romeo 6C 2500 Castagna Coupé ist seiner Zeit weit voraus
Weiches Beschleunigen, der erst handwarme V12 dreht mit summendem Nachdruck bis 3.500/min, dann die zweite Fahrstufe. Und das soll ein Vorkriegsauto sein? Der Alfa schnürt geschmeidig über die Tangentiale, mit souveräner Gelassenheit - ohne das geringste Problem, mit den Turbodieseln unserer Tage mitzuhalten. 200 PS bei knapp unter 5.000/min, dazu nur etwa 1.625 Kilogramm Gewicht, eine für das Baujahr überraschend präzise Lenkung, dazu vier gleichmäßig ansprechende Trommelbremsen: Dieser 6C mit dem Experimental-Motor macht seinen Konstrukteuren Gioacchino Colombo und Bruno Trevisan alle Ehre.
Das Konzept des 60-Grad-V12 entstand bereits 1937, als Colombo die Nachfolge des legendären Alfa-Konstrukteurs Vittorio Jano angetreten hatte, der dann zu Lancia wechselte. Die Vorgabe waren rund vier Liter Hubraum - und Maßverhältnisse, die es erlaubten, den Zwölfender ohne drastische Rahmenveränderungen in das Fahrgestell des Straßensportwagens 6C 2900 zu integrieren.
Der neue V12 passte denn auch nach Länge, Breite und Höhe in das 6C-Chassis und wog dank seiner Leichtmetall-Bauweise kaum mehr als der Kompressor-geladene Sechszylinder. Je eine obenliegende und von einer Kette angetriebene Nockenwelle pro Zylinderbank steuert die beiden Ventile pro Brennraum, und bei einem Bohrung-Hub-Verhältnis von 68 zu 82 Millimetern resultiert ein Hubraum von 3.560 Kubikzentimetern.
Der Dreiliter-V12 entstand, um bei der Mille Miglia zu siegen. Dazu sollte es nicht mehr kommen.