Es sind keine großen Worte, die Dr. Ferdinand Piëch 1988 als damaliger Audi-Chef bei der Präsentation des Audi V8 findet. „Er wird Bewegung in die Oberklasse bringen“, stellt er das neue Topmodell von Audi zurückhaltend vor und unterstreicht damit eine der größten Stärken des Audi V8: Die Kunst des Understatement.
Der Audi V8 sollte ein für alle Mal mit dem eingestaubten Rentner-Image der Marke abschließen. Er sollte mit mehr sein als nur Schein, er sollte das etablierte Oberklasse-Feld mit dem sprichwörtlichen Vorsprung durch Technik von hinten aufrollen. Das war genau genommen auch seine einzige Chance, denn optisch konnte die frisch gebackene Oberklasse-Limousine keinen Meilenstein im Automobildesign für sich verbuchen.
Optisch hebt sich der Audi V8 kaum ab
Auf den ersten Blick war der Audi V8 kaum von einem Audi 100 oder Audi 200 zu unterscheiden. Einzig der in die Motorhaube integrierte Kühlergrill, die neuen Spoiler-Stoßstangen und die im Vergleich zum Audi 200 leicht gewachsene Spurbreite (vorn 46 Millimeter, hinten 41 Millimeter) sowie der etwas längere Radstand (15 Millimeter) lassen erahnen, dass es sich um ein neues Modell handeln könnte. Laut Piëch war der Audi V8 aber zu 90 Prozent ein neues Auto.
Die übrigen 10 Prozent stammten aus den Schubladen des Volkswagen-Konzerns. Aber schon allein dieses vermeintlich kleine Recycling-Diktat machte die Arbeit der Audi-Ingenieure anspruchsvoll. In nur vier Jahren sollten die Konstrukteure aus dem Neckarsulmer Werk technisches Neuland betreten. Neben der engen zeitlichen Begrenzung galt es auch räumliche Vorgaben zu erfüllen. Der neue Motor musste samt aller Kühler – und für den Fall der Fälle mit Platz für zwei Turbolader und Ladeluftkühler – im Bug des Audi 200 versenkt werden. Spätestens hier fiel ein V10 aus dem Repertoire, der sich vermutlich stimmiger ins Markenbild der neuen Audi-Generation eingefügt hätte.
Hubraum des V8 war schon im Vorfeld begrenzt
Eine weitere, noch wesentlichere Einschränkung bestand darin, die Vierventil-Zylinderköpfe des Golf GTI in einer Form zu verwenden, die eine Produktion in den Anlagen im Werk Salzgitter ermöglichte. Dadurch war die Konstruktion des neuen V8 bereits im Vorfeld auf einen Hubraum von 3,6 Liter und das Bohrungs-/Hubverhältnis des 1,8-Liter-Konzernmotors von 81 x 86,4 Millimeter festgelegt. Dank Leichtbau und intensiver Detailarbeit brachte es der V8 schlussendlich auf nur 50,8 Zentimeter Länge, 66,5 Zentimeter Breite und 62 Zentimeter Höhe, bei einem Gewicht von gerade einmal 215 Kilogramm. Damals eine Revolution.
Bei einem Blick aufs Datenblatt treten die 90 Prozent Neuwagen-Gene des Audi V8 noch besser zutage, denn so etwas gab es bei den Ingolstädtern bisher noch nie: Zwei oben liegende Nockenwellen, 3,6 Liter Hubraum, vier angetriebene Räder, acht Zylinder, 32 Ventile, Vmax bei 234 km/h, 250 PS, 340 Nm Drehmoment – die Superlative nehmen beinahe kein Ende. Was verpackt in einer Oberklasse-Limousine aber auch schon zum ersten Problem führt. Das Ende dieser großartigen Zahlenkette markiert aber auch ein hoher Preis. Nicht weniger als 96.800 Mark sollte die Basisversion 1988 kosten, mit der man jährlich 14.000 Kunden erreichen wollte. Für bisherige Audi-Kunden entschwandt man damit in ganz neue Preis-Sphären – und auch die Oberklasse-Klientel staunte nicht schlecht. Der V8 sollte gut 10.000 Mark mehr als einen Mercedes 500 SE mit 252 PS und 390 Nm Drehmoment kosten, der dem Audi V8 im Sprintrennen auf 100 km/h sogar 1,8 Sekunden abnimmt. Ein zu lang übersetztes Getriebe, zügelt das Temperament des Audi V8 deutlich.

Aber auch wenn sich der damalige Klassenprimus und der Emporkömmling Auge in Auge gegenüber stehen, zieht der Audi V8 den Kürzeren. In der Höhe sind es zwar nur knapp 2 Zentimeter und in der Breite gerade einmal 6 Millimeter, in der Länge misst der Audi V8 aber beinahe 16 Zentimeter weniger und beim Radstand sind es sogar mehr als 23 Zentimeter die dem Audi V8 auf den Mercedes fehlen.
Ganz anders verhielt es sich im Motorsport. Als erste Oberklasse-Limousine der DTM sorgte der V8 für Aufsehen. 1990 ging der V8 erstmals an den Start und schaffte auf Anhieb den Sprung aufs Treppchen. Schon im ersten Einsatzjahr holte Hans Joachim Stuck vor Mercedes und BMW den DTM-Titel im Audi V8 Quattro DTM. Im Jahr darauf machte sich zusätzlich Frank Biela auf Punktejagd im V8 und konnte die Meisterschaft mit knappem Vorsprung vor Stuck im zweiten Audi V8 Quattro DTM für sich entscheiden.
Umfangreiche Serienausstattung im Audi V8
Das Zeug zum Punkten hatte der Audi V8 auch dank seiner Ausstattung. Er kam serienmäßig mit einer flinken ZF-Viergang-Automatik samt drei Wahlprogrammen, einem ausgeklügelten Bremssystem mit innenumfassenden Bremsscheiben, einer vollverzinkten Karosserie und dem Procon-Ten Sicherheitssystem, dass bei einem Frontaufprall automatisch die Gurte strafft und das Lenkrad vom Fahrer wegzieht. Freilich bekommt man mit diesen Zutaten heute keine 5 Sterne mehr beim EuroNCAP-Crashtest, Ende der 80er Jahre hatte der Audi damit aber deutlich mehr zu bieten, als so mancher Konkurrent aus Stuttgart oder München.
Zur Serienausstattung des Audi V8 gehörten außerdem auch kleine Features wie elektrische Fensterheber, ABS, beheizte Ledersitze und 215er-Reifen auf 15-Zoll-Alufelgen. Zudem gab es bis dato sonst keinen Allrad-Antrieb in der Oberklasse – auch nicht gegen Aufpreis.
Kunden hatten direkten Draht in die Entwicklung
In der Betreuung der V8-Kunden ging Audi ebenso neue Wege. Die Kunden hatten erstmals die Möglichkeit ihren V8 dort abzuholen, wo er entwickelt und gebaut wurde – im Audi-Werk in Neckarsulm. Jeder Selbstabholer bekam zudem einen Paten aus dem Audi-Führungskreis zur Seite gestellt, der ihn am Abholtag betreute, durchs Werks führte und ihm auch später als persönlicher Ansprechpartner zur Verfügung stand. Ein cleverer Schachzug, wenn man bedenkt, dass Audi bis dahin noch keinerlei Erfahrungen mit den Kundenanforderungen der Oberklasse hatte. Auf diese Weise schaffte man einen direkten Draht zum Kunden, der sein Feedback schnell und ungefiltert in die Entwicklungsabteilungen leiten konnte. Böse Zungen würden von einem groß angelegten Feldversuch sprechen. In Wahrheit hatten die Kunden wohl selten so viel Einflussmöglichkeit auf die Weiterentwicklung eines Fahrzeugs.