Beinahe monatlich brüsten sich die Automobilhersteller damit, mit ihren straßenzugelassenen Serienfahrzeugen bestehende Bestzeiten pulverisiert und neue Rekorde aufgestellt zu haben. Doch warum das ganze Tamtam? Warum lechzen zahlreiche Automobilhersteller nach den Rekorden auf der Nürburgring-Nordschleife?
Die Zeitenjagd taugt für die PR-Schlacht. Nürburgring-Nordschleife – das ist längst ein Gütesiegel, ein Label für Sportlichkeit. Außerdem gehen die Hersteller ohnehin auf den Eifelkurs zum Ausprobieren ihrer neuen Modelle. Zusammen im Industrie-Pool für 18 Wochen im Jahr. Die über 20 Kilometer lange Bahn eignet sich aufgrund ihrer Charakteristik mit einem Mix aus schnellen und langsamen Passagen bestens dazu, einen Prototyp auf Herz und Nieren zu testen. Ganz nebenbei noch eine neue Bestmarke setzen – das ist bestes Marketing und poliert das Firmenimage auf. Und das Ego, versteht sich.
Ford Mustang GTD als schnellstes US-Car
Längst suchen die PR-Abteilungen nach jeder kleinen Lücke im Nordschleifen-Rekordbuch, um eine Bestzeit für sich zu verbuchen. Jüngstes Beispiel ist der Ford Mustang GTD. In den Händen des Rennfahrers Dirk Müller erreichte der Über-Mustang Anfang August 2024 eine Zeit von 6:57.685 Minuten (siehe Video). Problem: Vier andere Modelle waren in der Sportwagen-Kategorie bereits schneller, und das teils deutlich. So erreichte der Spitzenreiter Porsche 991 GT2 RS mit Manthey-Performance-Kit bereits im Juni 2021 eine Rundenzeit von 6:43.300 Minuten. Damit Ford die GTD-Zeit dennoch medial ausschlachten kann, kürte die Nürburgring GmbH den GTD kurzerhand zum schnellsten US-Auto auf der Nordschleife. Das ist keine offizielle Kategorie, macht sich in einer Überschrift aber dennoch gut.
Bis 2018 führten die Hersteller ihre Rekordversuche auf der Nordschleife weitgehend in Eigenregie durch. Gegen Ende dieser Ära tendierten sie dazu, dafür unabhängige Instanzen einzuladen, um die Glaubwürdigkeit zu erhöhen. Notare beglaubigten fortan die Rundenzeiten. Zuvor konnte man diese in den meisten Fällen nur anhand von Youtube-Videos prüfen. Wer wusste da schon, wann ein Hersteller mal ein Schräubchen zu sehr aufgedreht hatte, um dem eigenen Fahrzeug den Extra-Kick zu verleihen? Zudem wurden die Rekordrunden in den meisten Fällen auf der 20,6 Kilometer langen Variante gefahren, die auch vom Industrie-Pool genutzt wird sowie Teil des sport auto Supertests ist. In diesem Fall liegen Start- und Ziellinie im Streckenabschnitt T13 getrennt voneinander.
Seit 2019 gelten nur offizielle Rekorde
Seit Saisonbeginn 2019 wacht die Nürburgring GmbH selbst über die Rekordrunden. Wer mit einer Nordschleifen-Bestzeit an die Öffentlichkeit gehen will, muss dies offiziell vom Betreiber protokollieren, überprüfen und bestätigen lassen. Die Zeitnahme mit geeichter Messtechnik, die notarielle Begleitung und die Fahrzeugabnahme erfolgen seitdem stets unter der Obhut der Nürburgring GmbH. Zudem wurden neue Kategorien eingeführt: Maßgeblich sind inzwischen die Klasseneinteilungen des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA); Kategorien wie "schnellster Siebensitzer", "schnellster Kombi" oder "schnellster Sauger" gibt es seitdem offiziell nicht mehr. Entsprechend wurden die Ergebnislisten zu diesem Zeitpunkt genullt. Was auch deshalb Sinn ergibt, weil seither offizielle Rekorde auf der 20,832 Kilometer langen Streckenvariante erzielt werden, die bei der offiziellen Start- und Ziellinie in T13 beginnt und endet.
Wer sind die aktuellen Rekordhalter auf der Nordschleife (Stand Dezember 2024)?
Prototypen/Vorserienmodelle
Der absolute Nordschleifen-Rekord stammt noch aus der Ära vor 2019. Ende Juni 2018 schickte Werksfahrer Timo Bernhard den Le-Mans-Helden Porsche 919 Hybrid Evo mit einer Traumrunde in die Rennrente. Ob die Fabelzeit von 5:19.546 Minuten je gebrochen wird, erscheint aktuell höchst fraglich. Porsche behielt damit den Nürburgring-Rekord, der zuvor bereits mehrere Jahrzehnte fest in schwäbischer Hand war: Der im Mai 1983 vom unvergessenen Stefan Bellof im Le-Mans-Rennwagen Porsche 956K aufgestellte Rekord (6:11.13) hielt immerhin 35 Jahre. Erst im Juni 2019 war mit dem von Romain Dumas gefahrenen Elektro-Rekordrenner VW ID.R (6:05.336 Minuten) ein Nicht-Porsche schneller als damals Bellof im 956er.
Supersportwagen, Sportwagen und modifizierte Fahrzeuge
Kommen wir zum schnellsten straßenzugelassenen Auto auf der Nordschleife. Hier kann es nur einen geben: den Mercedes-AMG One. Bereits Ende Oktober 2022 brannte Rennfahrer Maro Engel mit dem Hybrid-Hypercar eine Zeit von 6:35.183 Minuten in den Eifelasphalt. Knapp zwei Jahre später war er nochmals deutlich schneller und erreichte eine 6:29.090. Wie viel schneller als ein Standard-Sportwagen das ist, zeigt nicht nur die bereits erwähnte Zeit des Porsche 991 GT2 RS mit Manthey-Kit, sondern auch jene des zweitplatzierten Sportwagens Mercedes-AMG GT Black Series, den ebenfalls Engel satte 19 Sekunden langsamer durch die Grüne Hölle scheuchte. Quantitativ ist Porsche in den Sportwagen-Kategorien überrepräsentiert (siehe Tabelle weiter unten im Artikel), zumal zwei von Manthey getunte Exemplare in der Klasse der modifizierten Fahrzeuge am schnellsten waren.
Elektroautos
Offizieller Rekordhalter bei den straßenzugelassenen Nicht-Verbrennern ist seit August 2023 der Rimac Nevera. Testfahrer Martin Kodrić ließ das Elektro-Hypercar in 7:05.298 Minuten über die Eifel-Achterbahn fliegen. Damit war das kroatische Duo schneller als einen Monat später Lars Kern im Porsche Taycan Turbo GT mit Weissach-Paket, der lediglich eine Zeit von 7:07,55 Minuten schaffte. Immerhin gilt das als die Bestmarke innerhalb der Elektro-Oberklasse, die eigentlich gerne Elon Musk sein Eigen nennen würde. Doch die im Juni 2023 von Tom Schwister im Tesla Model S Plaid mit Track Package gefahrene Zeit (7:25.231 Minuten) hielt sich nur zwei Monate an der Spitze; dann kam Mate Rimac mit seiner Truppe.
Übrigens: Das chinesisch-amerikanische Start-up Nio beansprucht ebenfalls den Rekord für das schnellste Elektroauto auf der Nordschleife für sich. Dessen Modell EP9 hatte die Nordschleife in nur 6.45,8 Minuten bezwungen. Das einen Megawatt starke Elektroauto, das vier je 250 Kilowatt starke E-Maschinen antreibt, beschleunigt laut Hersteller in 7,1 Sekunden auf 200 km/h und erreicht in der Spitze 313 km/h. Allerdings fuhr Nio diese Zeit bereits im Mai 2017. Zudem ist unklar, ob der Hersteller tatsächlich jemals die versprochene Kleinserie von zehn Fahrzeugen gebaut hat. Insofern taucht der EP9 inzwischen in keiner offiziellen Nürburgring-Bestenliste mehr auf.
Mittelklasse
An der im Juli 2019 aufgestellten Bestzeit von Vincent Radermecker Jaguar XE SV Project 8 (7:23.164 Minuten) biss sich Jörg Weidinger danach bereits in mehreren BMW-Modellen die Zähne aus. Er brauchte schon den Leichtbau-Sportwagen BMW M4 CSL in seinen Händen, um die Nordschleife schneller zu umrunden als die britische Limousine in belgischer Rennfahrerhand. Im April 2022 war es dann so weit: 7:20.207 Minuten für das oberbayerisch-fränkische Gespann, das sich damit allerdings nicht zufriedengab. Im inzwischen modellgepflegten BMW M4 CSL war Weidinger, Ex-Rennfahrer und inzwischen Fahrwerks-Ingenieur beim Münchner Autohersteller, ein Jahr später noch einmal über zwei Sekunden schneller.
Kompaktklasse
Die Nordschleifen-Rekordjagd in dieser Kategorie wird seit drei Jahren von einem Duell Audi vs. BMW geprägt. Im Juni 2021 erreichte Audi-Werksfahrer Frank Stippler in der Audi RS3 Limousine eine Zeit von 7:40.748 Minuten. Knapp zwei Jahre später machte BMW dem Rivalen den Titel streitig: Jörg Weidinger war im M2 Coupé gut zwei Sekunden schneller. Das konnte Audi offenbar nicht auf sich sitzen lassen und schlug im Sommer 2024 zurück: Erneut stellten Stippler und der Audi RS3 eine Bestzeit auf, dieses Mal mit einer überragenden 7:33.123-Minuten-Runde.
Oberklasse sowie SUVs, Geländewagen, Vans und Pick-ups
Über Sinn und Unsinn lässt sich sicherlich streiten, aber die dicken Brummer wollen ebenfalls etwas Nordschleifen-Ruhm abbekommen. In der Oberklasse ist seit Juli 2024 unangefochten der Porsche Panamera Turbo S E-Hybrid an der Spitze. Mit einer Zeit von 7:24,172 Minuten verweist er den Mercedes-AMG GT 63 S 4-Matic+ und den Baureihen-Bruder Panamera Turbo S auf die Plätze. Schnellster SUV auf der Nordschleife ist seit Juni 2024 der Audi RS Q8 Performance. Frank Stippler war mit einer 7:36:698 zwei Minuten schneller als drei Jahre zuvor Lars Kern im Porsche Cayenne Turbo GT.
Die Nordschleifen-Ära vor 2019
Schnelle Nordschleifen-Runden gab es freilich schon vor der offiziellen Erfassung seit 2019. Nur wurden diese in Eigenregie ermittelt und hatten damit – wenn überhaupt – oft nur halboffiziellen Charakter. Kurz vor der neuen Ära entspann sich ein schwäbisch-italienisches Duell. Bis September war der Huracán Performante der schnellste Straßensportwagen auf dem Nürburgring. Doch dann kam Porsche mit dem 700 PS starken GT2 RS und unterbot den Lamborghini um fünf Sekunden. Die Italiener ließen das nicht auf sich sitzen, rüsteten den Aventador zum SVJ auf und knallten eine Rundenzeit von 6.44,97 Minuten hin.
Lamborghini freute sich jedoch nur ein paar Monate. Dann kreuzte Porsche mit Verstärkung von Manthey Racing auf der Nürburgring-Nordschleife auf. Und der GT2 RS holte sich den Rekord für den schnellsten straßenzugelassenen Sportwagen zurück. Porsche-Testfahrer Lars Kern lenkte den Biturbo-Supersportwagen in 6.40,3 Minuten um die Strecke, womit das Auto auch heute noch der zweitschnellste Straßensportler nach dem Mercedes-AMG One wäre – wenn seine Zeit noch zählen würde. Einziges Teil, das nicht straßenzugelassen war, war übrigens der Rennsitz, den man zur Sicherheit des Fahrers verbaut hatte.
Es gibt so ein paar Streitfälle, einer davon ist der McLaren P1 LM (LM für Lanzante Motorsport). Die britische Firma baute den ausschließlich für die Rennstrecke tauglichen P1 GTR zu einem Supersportwagen um, der sogar auf öffentlichen Straßen fahren darf. Größere Flügel verhalfen dem englischen Hybrid in der finalen Testphase als Prototyp XP1LM zu einer Rundenzeit von 6.43,2 Minuten. Ein Auto für die Rennstrecke, das aber durch Umbauten eine Straßenzulassung hat: zählen oder nicht zählen? Das ist eine Definitionssache. So oder so zählt der P1 von Lanzante Motorsport, von dem es fünf Stück gibt, bis heute zu den schnellsten Autos auf der Nordschleife.