Das war ein kurzer und ziemlich peinlicher Auftritt für den Lotus Evija X in Goodwood: Bereits wenige Meter, nachdem das 2.011 PS starke Elektro-Hypercar die Hillclimb-Strecke in Angriff genommen hatte, bog es bereits unvermittelt nach rechts in die Strohballen ab – obwohl es an dieser Stelle noch geradeaus geht. Der Unfall sieht spektakulär aus: Sowohl beim Losfahren als auch nach dem Einschlag drehen sich die Hinterräder mit voller Kraft weiter und hüllen den Evija X und seine Umgebung in einen dichten Reifenqualm.
Das führt uns zu der Frage: Hat ein Fahrfehler oder ein technischer Defekt den Unfall ausgelöst? Das bleibt bisher im Verborgenen: Weder der Veranstalter noch Lotus äußern sich bisher zu dem Vorfall. Das sofort einsetzende, extrem starke Durchdrehen der Räder und ein weiterer Ruckler nach dem Einschlag sprechen in der Ferndiagnose für ein technisches Malheur. Unklar ist obendrein, wer am Steuer des Autos saß; in der offiziellen Einschreibungsliste wurde dem E-Renner kein Fahrer zugeordnet. Einen großen Schaden hat er oder sie übrigens nicht verursacht: Niemand wurde verletzt, die Strecke wurde schnell repariert und wieder in Betrieb genommen und der nur im Frontbereich malträtierte Evija X dürfte sich ebenfalls wieder herrichten lassen.
6:24 Minuten auf der Nordschleife
Deutlich besser lief es für den Lotus Evija X auf dem Nürburgring. Zwar scheiterte auch hier der erste Rekordversuch auf der Nordschleife im vergangenen Sommer 2023 spektakulär (siehe Fotoshow). Doch im Frühjahr 2024 unternahm Lotus einen weiteren Versuch. Und tatsächlich hielt der 2.011 PS starke Lotus Evija X dieses Mal durch. Der elektrische Hypersportwagen mit englisch-chinesischen Genen hämmerte sogar eine Bestzeit in das 20,8 Kilometer lange Asphaltband.
Ex-Tourenwagen-, GT- und Langstrecken-Pilot Dirk Müller pilotierte die Flunder mit dem dicken Flügel am Heck in 6:24,047 Minuten um den Kurs. Dabei gilt dies als die schnellste Zeit eines Fahrzeugs mit Serien-Chassis. Der Lotus knackte die bisherige Bestzeit von 6:35 Minuten, die der AMG One als schnellstes Serienauto einfuhr. Schneller als der Lotus waren offiziell nur zwei Fahrzeuge in der Grünen Hölle. Der 680 PS starke elektrische Pikes-Peak-Renner ID.R von Volkswagen (6:05 Minuten) sowie das Hybrid-Monster 919 Evo von Porsche mit Timo Bernhard am Steuer. Dessen Zeit von 5:19,55 Minuten wird wohl noch länger ungeschlagen bleiben.
Lotus geht mit dem Evija X an die Grenzen
Im Sommer 2023 musste das elektrische Hypercar noch auf einem Abschleppwagen die Strecke verlassen – der anvisierte Rekord des VW ID.R mit 6:05,33 Minuten blieb bestehen. Nun werden auch die 6:24 Minuten nicht der letzte Versuch gewesen sein, mit dem Modell die Zeit des Wolfsburgers anzugreifen.
Vonseiten des britischen Autobauers heißt es gegenüber Autocar: "Der Evija X ist ein völlig neues Technologiekonzept von Lotus. Er basiert auf dem Evija-Straßenauto, ist der ultimative Ausdruck des Evija und wurde in den letzten Wochen auf mehreren Rennstrecken in mehreren Ländern getestet. Wir haben große Fortschritte gemacht, haben alle unsere Ziele erreicht und die Herausforderungen der Nürburgring-Nordschleife kennengelernt. Das Lotus-Ingenieur-Team geht weiterhin an die Grenzen dessen, was mit dem Evija und dem leistungsstärksten EV-Antriebsstrang der Welt möglich ist."
Multimatic als Partner von Lotus
Auf der technischen Seite greift Lotus auf das Knowhow der Renntechnikfirma Multimatic zurück. Sie ist unter anderem für die Arbeit am Ford GT und dem Mercedes-AMG One bekannt.
Entsprechend bringt der Prototyp mit ausgeprägter Aerodynamik, Sportfahrwerk und -reifen sowie einem großen Heckspoiler alle Voraussetzungen für ein Track-Tool mit. Hinzu kommen ein riesiger Frontsplitter und Seitenschweller aus Kohlefaser. Außerdem haben die Ingenieure dem Hypercar mehr Leistung als die serienmäßigen 2.000 PS verpasst und das Leergewicht von 1.680 Kilogramm durch weitere Leichtbau-Maßnahmen reduziert.
Evija X als erstes Kleinserienmodell der LAP-Abteilung
Ein Blick auf den Prototyp zeigt: Scheinwerfer, Bremsleuchten und Außenspiegel gibt es nicht mehr. Der Innenraum ist bis auf einen Überrollkäfig entkernt. Den Kontakt zur Straße halten Leichtmetallfelgen mit Pirelli-P-Zero-Slicks. Vermutlich kommt auch eine kleinere Batterie zum Einsatz, die deutlich leichter ist als der 600 Kilogramm schwere Serienakku.
Der Evija X könnte übrigens das erste Fahrzeug der neu gegründeten Abteilung "Lotus Advanced Projects" (LAP) werden. Sie soll künftig extreme Fahrzeuge in Kleinserie entwickeln.