Mieses Design im Automobilbereich? Heute fast undenkbar. Klar – Look ist Geschmackssache, und ein paar Diskussionen gibt's immer. Aber so richtig greift in puncto Optik kaum ein Hersteller mehr ins Klo – italienische sowieso nicht. Dass der eine oder andere Sportwagen etwas zu übertrieben gerät, ist da meist schon das höchste der Gefühle.
Trotzdem: Manchmal hat man den Eindruck, da fehlt was. Das gewisse Etwas eben. Nichts hingegen fehlt der 3D-Design-Vision, die ein paar findige Köpfe auf Behance (Online-Plattform für die Präsentation kreativer Arbeiten) präsentierten. Vielleicht auch, weil sie als Vorbild eine Sportwagen-Legende aus jener Zeit wählten, als Besonderes noch richtig besonders war: Der moderne Entwurf ist eine Hommage an den 1967er Alfa Romeo Tipo 33 Stradale.

"Grande sfida", also große Herausforderug, würden Italiener zu diesem Wagnis sagen, denn der Tipo 33 Stradale ist nicht irgendein Auto. Für viele Alfisti gilt der V8-Mittelmotor-Straßenrenner bis heute als schönster Alfa aller Zeiten.
Design-Projekt aus Leidenschaft
Die Begeisterung für den Klassiker nahm das fünfköpfige Team zum Anlass für den 3D-Entwurf eines neuen Hypercars – in Anlehnung an den Mythos. Warum? Einfach so. Zu Ehren des Autos und dessen Ära. Aus Leidenschaft. Nicht etwa um zu beweisen, dass sie es besser können als Franco Scaglione, der den Sportwagen seinerzeit zeichnete.
Also simples Restyling dessen, was bereits gut ist? Fehlanzeige. Überhaupt mussten sich die Designer eigenen Angaben zufolge erstmal selbst klar darüber werden, was dieses Auto so speziell machte. Laut dem Team sei es in der schnelllebigen Welt heute schwierig, sich auf die Schönheit im Einfachen zu besinnen. Genau das sei bezüglich der Designs aus jener Zeit aber ein wichtiger Faktor und trage außerdem zum besseren Verständnis automobiler Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bei.
Das Design-Team
Andrea Castiglione (Stuttgart), Christian Schütz (Stuttgart), Marco Zafferana (Stuttgart), Sergio La Gattuta (Enna, Italien) und Steffen Hess (Stuttgart) – so heißen die fünf Designer des "Stradale 33 / Visione", deren Wege sich job- und studienbedingt vor ein paar Jahren kreuzten. Die ursprüngliche Idee für das Projekt hatte Castiglione. Er fertigte Skizzen an, legte sie den anderen vor und alle waren sofort dabei. Hess fuchste den ersten 3D-Entwurf aus, Schütz übernahm Proportions-Studien und modellierte die Außenflächen. Um die Gestaltung des Interieurs kümmerte sich ebenfalls Castiglione, dessen 3D-Umsetzung nahm sich Zafferana an. La Gattuta sorgte für die komplette User Experience, und Hess formte schließlich alles zum Gesamtbild.

Ein beeindruckendes Resultat
Da lassen wir die Objektivität doch glatt mal sausen und sagen: Bravissimi ragazzi! Rispetto. Veramente. Einerseits aufgrund der Passion, andererseits wegen der geopferten Freizeit, gab das Team doch über ein Jahr lang immer wieder Feierabende dran, um die Ideen zu visualisieren.

Vor allem aber ziehen wir den Hut aufgrund des Resultats: Die Entwürfe zeigen einen spektakulären Sportwagen – stilistisch übertragen aus der Vergangenheit, adaptiert an die Gegenwart und modern genug für die Zukunft. Zu philosophisch? Okay, dann so: Diese Hypercar-Design-Ode erinnert tatsächlich an den Tipo 33 Stradale, sieht dabei total scharf und alles andere als altbacken aus. Und ginge es nach uns, dürfte Alfa von diesem blutroten Geschoss gerne eine Kleinserie starten. Ähnlich sehen das natürlich seine Zeichner: "Wenn Alfa Romeo darauf aufmerksam werden würde, wäre das natürlich großartig", sagt Ideengeber Castiglione im Gespräch mit auto motor und sport schmunzelnd.
Rendering mit ehrwürdiger Silhouette
Elegant geschwungene Radverkleidungen – leicht verbreitert, versteht sich – dazu schmale Lufteinlässe vorn mit Alfa-Herz in der Mitte und Scheinwerfer in abgerundeter Trapezform – das Konzept des Stradale 33 / Visione-Teams macht seinem Vorbild aus den späten Sechzigern alle Ehre. Und wer ihm ins Gesicht schaut, der läuft Gefahr, sich in seinem schleierhaften Blick mit weit geschlossenen Lidern zu verlieren – fast wie beim Original, dessen große, klare Scheinwerfer dich allerdings regelrecht anglupschten. Ob klassische Sportwagen- oder moderne Hypercar-Front, in beide verliebt man sich schnell.

Auch das schwunghaft gerundete Seitenprofil zollt dem Original sichtlich Tribut – natürlich mit quadrifolglio, sprich vierblättrigem Kleeblatt, am vorderen Kotflügel.

Ähnlich futuristisch wie die Front mutet auch das Heck an. Zwar protzt der Ur-33-Stradale ebenfalls mit vier respekteinflößenden Endrohren, das 3D-Konzept bekommt allerdings einen sportlichen Diffusor dazu. Außerdem gönnt das Designer-Team seiner Vision Rücklichter im rahmenartigen Space-Look.

Ebenfalls typisch für den 33 Stradale: Schmetterlingstüren und Glasdach. Den letzten Hypercar-Schliff bescheren dezente Karbonschweller rundum. Und ganz wichtig: Aus der Vogelperspektive betrachtet giert das V8-Aggregat im Glashaus mit extrovertierter Pose nach Blicken – genau wie bei der italienischen Schönheit von damals.
Mut zur Legende
Warum wir den 3D-Entwurf so feiern? Weil schon das Vorbild ein solcher Mythos war, dass jedes Projekt begrüßenswert ist, das sich mit dem Original beschäftigt. Gerade mal etwa 18 Stück des hüfthohen Renners – der Tipo 33 Stradale misst nur 99 Zentimeter Höhe – rollten ab 1967 vom Band. Die exakte Produktionszahl? Ungewiss. Fest steht dagegen: Der Alfa Romeo ist nicht nur beachtlich schön, sondern war für damalige Zeiten auch töricht schnell. Wenn der 230 PS starke Zweiliter-V8-Mittelmotor über das Sechsgang-Getriebe die Hinterachse befeuerte, beschleunigte er das 870-Kilo-Geschoss in unter sechs Sekunden auf 100 und maximal bis 252 km/h.
Alfa Romeo bot den 33 Stradale für umgerechnet 36.000 Euro an. Der heutige Schätzpreis liegt bei astronomischen Summen um die zehn Millionen Euro (Quelle: Classic Trader).
Schon berühmte Designer wie Giorgetto Giugiaro haben sich an aufregenden Studien auf Basis des Tipo 33 Stradale versucht. An seinen Gänsehautfaktor kamen auch sie nicht ran. Und egal ob als Star-Designer oder Bleistift-Künstler – liegt man mit dem Neu-Entwurf einer derartigen Legende daneben, fällen Klassik-Freaks schnell ein gefürchtetes Urteil: Majestätsbeleidigung! Mit der gelungenen Hommage an den 33 Stradale braucht sich das Design-Team dahingehend wohl keine Sorgen machen.