Ferrari gegen McLaren – das ist längst nicht mehr nur in der Formel 1 ein Traditionsduell auf Augenhöhe. Mit ihren Straßensportwagen fischen die Italiener und die Briten seit mehreren Jahrzehnten im selben Teich, in dem eine besonders leistungsaffine und kaufkräftige Klientel schwimmt. Was in den 1990er-Jahren mit dem Fight zwischen dem F50 und dem F1 begann, setzte sich knapp 20 Jahre später mit dem LaFerrari und dem P1 fort.
Nun haben Ferrari und McLaren fast zeitgleich ihre neuen Hypercars vorgestellt: McLaren war mit dem W1 Anfang Oktober dran, Ferrari konterte mit dem F80 knapp zwei Wochen später. Bis sich beide Halo-Sportwagen leibhaftig auf der Straße und der Rennstrecke gegenüberstehen, wird es allerdings noch eine Weile dauern. Wir überbrücken die Zeit mit einem detaillierten Datenvergleich, der extrem knapp verläuft – und auch in der Realität ein sehr enges Rennen vermuten lässt.
Antrieb und Fahrleistungen
Sowohl der Ferrari F80 als auch der McLaren W1 setzen auf unerhört leistungsstarke Hybridantriebe. Der Weg zum Ziel ist allerdings recht unterschiedlich. Die Briten vertrauen stärker auf die Macht des Verbrenners und integrieren einen doppelt turbogeladenen Vierliter-V8 zentral ins W1-Chassis. Die Italiener begnügen sich dagegen mit einem Dreiliter-V6-Triebwerk, was angeblich einen Brückenschlag zur Formel 1 schaffen soll. In der Königsklasse werden schließlich ebenfalls V6-Turbos gefahren, wenn auch nur mit 1,6 Liter Hubraum. Dafür pumpt Ferrari den Antriebsstrang gleich mit drei E-Motoren samt elektrischer Unterstützung in den beiden Turboladern auf. Der McLaren begnügt sich dagegen mit einem Elektromodul.
Auf dem Papier hat der W1 sein spitzes Näschen vorn – zumindest bei den technischen Daten (siehe Tabelle unten im Artikel). Seine 1.275 System-PS schlagen die 1.200 cavallino des F80, und auch an sein Gesamt-Drehmoment-Maximum von 1.340 Newtonmeter kommt der Ferrari nicht heran. Unschlagbar ist dagegen die spezifische Leistung des Maranello-Verbrenners von 300 PS pro Liter Hubraum (233 beim McLaren). Vielleicht kommt der schwerere Norditaliener (1.525 statt 1.399 Kilogramm Trockengewicht) auch deshalb besser aus den Startblöcken: Null auf Hundert in 2,15 statt 2,7 Sekunden, null auf 200 km/h in 5,75 statt 5,8 Sekunden. Entscheidender dürften jedoch die beiden Elektromotoren an der Vorderachse sein, die den F80 bei voller Leistungsabfrage in einen Allradler verwandeln. Beim Topspeed herrscht dann übrigens wieder Gleichstand; hier wie da sind 350 km/h drin.
Elektrokomponenten
In dieser Kategorie wird es ein wenig paradox. Aus Gewichtsgründen tragen beide Hypercars Batterien mit sehr geringer Kapazität in sich: Beim McLaren W1 sind es 1,4 Kilowattstunden, beim Ferrari F80 knapp 2,3. Das erscheint logisch, schließlich muss der Akku im Maranello-Sportwagen mehr E-Motoren mit Energie versorgen. Rein elektrisch kann der Italiener allerdings nicht fahren. Im Gegensatz zum Briten, wenn auch dessen E-Reichweite von maximal zwei Kilometern kaum der Rede wert ist. Rückwärts fährt der W1 dagegen stets im Elektromodus.
Aerodynamik
Wer sich in die extrem ausgeklügelte Aerodynamik beider Kontrahenten einarbeitet, bekommt das Gefühl, dass ihre Hersteller in diesem Bereich noch stärker ihre Kernkompetenz sehen als bei den Antrieben. Beispiel Ferrari: Vorn präsentiert der F80 speziell entwickelte Luftleitbleche samt Dreideckerflügel und S-Duct-Ansaugkanal, mittig einen flachen Unterboden, der früh in den Diffusor übergeht, und am Heck selbstverständlich einen aktiven Heckflügel. Der passt sich nicht nur kontinuierlich in der Höhe an, sondern steuert auch den Anstellwinkel dynamisch, um Abtrieb und Luftwiderstand präzise modulieren zu können. Die Folge sind eine High-Downforce-Konfiguration (HD) beim Bremsen, Einlenken und Kurvenfahren sowie eine Low-Drag-Position (LD) bei hohen Geschwindigkeiten. Selbst die Kühlsysteme erfüllen aerodynamische Aufgaben. Sie wurden so konzipiert, dass sie die aufwendig kanalisierte Luft nicht beeinträchtigen.
Noch etwas aktiver leitet der McLaren die Umgebungsluft um die Karosserie herum. Hier arbeiten ebenfalls die vorderen Aerodynamik-Anbauteile mit und sind die Türen besonders stark eingezogen, um mehr Platz für seitliche Leitbleche zu schaffen und obendrein ein Maximum an Kühlluft zum Verbrenner zu befördern. Der Clou ist aber die "Active Long Tail"-Funktion: Das W1-Heck bewegt sich – gesteuert von vier kleinen Elektromotoren – nicht nur aktiv auf und ab, sondern fährt im Race-Mode auch 30 Zentimeter nach hinten aus. Damit verlängert das System den Wirkbereich des Diffusors, der folgerichtig mehr Abtrieb generieren kann. Obendrein verfügt das Hinterteil über eine DRS- (der Heckflügel klappt auf Highspeed-Passagen weg, um die Höchstgeschwindigkeit zu maximieren) und eine "Airbrake"-Funktion. Hier stemmt sich der Heckflügel bei harten Bremsmanövern besonders heftig in den Fahrtwind.
Doch welches System arbeitet effektiver? In der Theorie ist es – wie schon beim Antrieb – das von Ferrari. Der F80 generiert bei 250 km/h insgesamt 1.050 Kilogramm Abtrieb (460 vorn, 590 hinten). Beim McLaren W1 sind es im Höchstfall "nur" 1.000 Kilogramm (350 vorn, 650 hinten), die zudem erst bei 280 km/h anliegen.
Fahrdynamik und Bremsen
"Aktiv" heißt weiterhin das Zauberwort, denn die Fahrwerke beider Hypercars leisten ihren Beitrag zum vermutlich nahezu grenzenlosen Fahrvergnügen. Hier wie da stammen einzelne, besonders leichtgewichtige Komponenten aus dem 3D-Drucker und passen sich die Dämpfer fortwährend an die jeweilige Fahrsituation sowie den Untergrund an. Der Ferrari nutzt sein reichhaltig bestücktes Elektro-Arsenal auch fahrwerksseitig, denn seine komplett unabhängige Aufhängung wird von vier 48-Volt-Elektromotoren betätigt. Damit lässt sich sogar der Radsturz korrigieren. Mehrere Fahrmodi bieten sowohl der F80 als auch der W1, wobei jeweils Abstimmungen für langanhaltenden Rennstreckenspaß oder maximale Performance, um in einer Runde alles aus dem Auto herauszuquetschen, hinterlegt sind.
Mit 20-Zoll-Rädern vorn und 21-Zöllern hinten lebt der Ferrari auf jeweils exakt einem Zoll größerem Fuß als der McLaren. Das erlaubt den Italienern, an der Vorderachse größere Bremsscheiben einzubauen (408 statt 390 Millimeter; hinten verzögern beide mit 390er-Scheiben). Folgerichtig kommt der F80 etwas früher zum Stehen als der W1: 28 statt 29 Meter Bremsweg von 100 auf null km/h, 98 statt 100 Meter bis zum Stillstand aus 200 km/h. Für beide Hypercars werden mehrere verschiedene Reifenvarianten angeboten: Die Allround-Sportpneus oder Semislicks stammen beim F80 von Michelin (Pilot Sport Cup2 oder Cup2R) und beim W1 von Pirelli (P Zero R oder Trofeo RS). McLaren liefert den W1 auf Wunsch sogar mit Winterreifen aus.
Innenraum
So innovativ wie beim Vor-Vorgänger F1 hat McLaren das W1-Cockpit nicht gestaltet: Die maximal zwei Insassen nehmen ganz klassisch nebeneinander Platz. Ferraris Interieur-Designer scheinen sich dagegen vom 90er-Jahre-Briten, in dem zentral der Fahrersitz eingebaut war und beidseitig versetzt dahinter die Beifahrersitze, inspiriert lassen zu haben. Während der Fahrer oder die Fahrerin – wie im Formel-1-Auto – fast liegend Platz nimmt, befindet sich der Co-Pilot oder die Co-Pilotin etwas versetzt dahinter. Das verbessert nicht nur die Sicht nach draußen, sondern erlaubte es den Designern ebenso, die Fahrerkanzel schlanker zu gestalten. Im Ferrari ist nur der Beifahrersitz direkt ins Chassis integriert; im McLaren trifft dies auf beide Plätze zu.
Ein- und ausgestiegen wird jeweils mit einem spektakulären Prozedere: Beim Ferrari F80 öffnen sich die Scherentüren nach vorn oben – also im, räusper, Lamborghini-Stil. In den McLaren W1 lässt sich vermutlich etwas eleganter klettern, was nicht nur daran liegt, dass seine Türen in Mercedes-300-SL-Gullwing-Manier komplett nach Norden öffnen. Hier schwingen gleichzeitig Teile des Seitenschwellers und das vordere Luftleitelement nach oben, weshalb er mit geöffneten Türen besonders offenherzig dasteht. Ansonsten bieten beide Hypercars den markentypischen Innenraum-Chic mit Fahrer-Informations-Displays statt analoger Instrumente. Während im McLaren viele Einstellungen über den zentralen Vertikal-Touchscreen vorgenommen werden, nimmt der Ferrari die wichtigsten Kommandos über die "Manettino"-Funktionen am Lenkrad entgegen.
Preise und Verfügbarkeit
Das nächste Paradoxon: Der Ferrari F80 ist weit weniger exklusiv, kostet aber deutlich mehr als der McLaren W1. Für jedes der maximal 799 F80-Exemplare werden mindestens 3,6 Millionen Euro fällig. Einer von 399 W1 kostet dagegen "nur" 2,2 Millionen Euro. Dennoch lehrt die Erfahrung, dass die Schlange der Interessenten bei derartigen Ferrari-Raritäten deutlich länger ausfällt als bei den jeweiligen McLaren-Rivalen. Und wehe, einer der Erstkäufer veräußert sein Exemplar zu früh wieder. Dann droht die ominöse schwarze Liste, die sich beim Kaufwunsch des nächsten limitierten Maranello-Boliden sehr nachteilig auswirken könnte.