Es sind unruhige Zeiten unter dem Dach von VW. Der Konzern hat sich der Elektromobilität verschrieben. Chef Herbert Diess bündelt alle Ressourcen und trennt sich von Altlasten, um den schweren Tanker wendiger zu bekommen und fit für die Zukunft zu machen. So wie er sie sich vorstellt. Dabei werden auch Strategien über Bord geworfen, die vor gar nicht mal so langer Zeit entworfen wurden, als Diess bereits am Steuer saß.
Vor rund einem Jahr hatte der Konzern noch verkündet, dass man keinen werkseitigen Motorsport mehr mit Verbrennungsmotoren machen werde. 12 Monate später kommt die VW-Spitze mit einer anderen, noch radikaleren Strategie um die Ecke. Diess und sein Entwicklungsvorstand Dr. Frank Welsch ziehen der Motorsportabteilung den Stecker.
Der Entwicklungsvorstand erklärt das Ende aller Motorsportaktivitäten der Marke so: "Die Marke Volkswagen ist auf dem Weg, der führende Anbieter in der nachhaltigen Elektromobilität zu werden. Zu diesem Zweck bündeln wir unsere Kräfte und haben entschieden, eigene Motorsport-Aktivitäten für die Marke Volkswagen einzustellen."
"Die Motorsport-Belegschaft wird in der Folge in die Volkswagen AG integriert. Die tiefe technische Expertise der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie das gewonnene Know-how aus dem ID.R Projekt bleiben dadurch im Unternehmen und werden uns dabei helfen, weitere effiziente Modelle der ID. Familie auf die Straße zu bringen."
Letztes Großprojekt: ID.R
Die Motorsportabteilung in Hannover wird dichtgemacht. Was Welsch nicht erwähnt, ist, dass mit ihr auch die Infrastruktur verschwindet, die in mehr als fünf Jahrzehnten aufgebaut wurde. Beginnend mit der Formel V, über die Formel 3, verschiedene Cups, den Rallyesport und Tourenwagen. So eine Infrastruktur lässt sich auch nicht von heute auf morgen wieder hochziehen, sollte VW doch irgendwann wieder den Entschluss fassen, die Elektromobilität mit Motorsport zu bewerben. Betroffen von der Entscheidung sind 169 Mitarbeiter der Motorsportabteilung. VW legt ihnen ein Übernahmeangebot vor. Wer es annimmt, wird in andere Projekte innerhalb des Konzerns gesteckt.
Nach dem Ausstieg aus der Rallye-Weltmeisterschaft Ende 2016 hatte sich VW überwiegend auf die Rallycross-Weltmeisterschaft und sein Prestige-Projekt mit dem vollelektrischen Rennwagen ID.R konzentriert. Nach vier Titeln in der WRC mit Sebastien Ogier am Steuer machte VW auch die Konkurrenz im Rallycross platt. Im I.D.R stellte Romain Dumas 2018 einen Rekord beim Pikes-Peak-Bergrennen auf. Ein Jahr später wagte sich VW mit dem Elektrorennwagen auf die Nürburgring-Nordschleife. Die umrundete Dumas in einer Rundenzeit von 6.05,336 Minuten – eine Bestmarke für Elektrofahrzeuge.
Ansonsten baute VW noch den Polo GTI R5 für die zweite Rallye-Klasse. Und den Golf GTI TCR für nationale und internationale Tourenwagen-Meisterschaften. Diese Projekte werden jetzt eingestellt. Die Ersatzteileversorgung für die Kundenteams sei langfristig sichergestellt, sagt VW.
Die Meldung über die Einstellung des Motorsports unter dem VW-Dach folgt auf die Ankündigung von VW-Tochter Audi, sich Ende 2021 aus der Formel E-Weltmeisterschaft zurückzuziehen. 2022 will Audi in die Rallye Dakar einsteigen, 2023 zu den 24 Stunden nach Le Mans zurückkehren.