Reifen in der LMP1-Klasse: Am falschen Ende gespart?

Reifen in der LMP1-Klasse
Am falschen Ende gespart?

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24h-Rennen - Le Mans - Reifenwechsel - Toyota TS050 Hybrid
Foto: xpb

Neben den Änderungen für die Aerodynamik stellen besonders jene auf der Reifenseite die LMP1-Teams 2017 vor eine große Herausforderung: Statt wie bisher mit sechs Sätzen für Qualifying und Rennen müssen die LMP1-Hersteller in diesem Jahr auf allen Rennstrecken außer in Le Mans mit vier Sätzen auskommen – damit werden Doppelstints zur Pflicht, während sie zuvor bestenfalls eine strategische Option waren, um sich die Zeit für den Reifenwechsel zu sparen.

Fahrer motzen über weniger Reifen

Die eingesparte Zeit beim Stopp musste jedoch immer verrechnet werden mit dem größeren Reifendrop (also dem Abbau bei der Rundenzeit), der sich zwangsläufig bei einem zweiten Stint auf den gebrauchten Reifen einstellt. In den meisten Fällen waren Doppelstints also bei den Sechs-Stunden-Rennen der Sportwagen-WM nicht mehr als ein Gamble – wo man zum Schluss die Trackposition über den Speed priorisierte, zum Beispiel gegen Rennende.

Toyota hat mit diesem strategischen Kniff 2016 das Sechs-Stunden-Rennen in Fuji gewonnen. „Der Zwang, Doppelstints zu fahren, ist 2017 vermutlich die größte Herausforderung für die Teams“, sagt Porsche-LMP1-Chef Andreas Seidl. „Deshalb mussten wir auf der technischen Seite Änderungen vornehmen, die speziell auf diesen Aspekt abzielten.“ Die Teams, aber besonders die Fahrer sind nicht durchweg glücklich über diese Änderung. Für Reifenausrüster Michelin ist das zwar eine willkommene Challenge, bei der man die auf der Straße wichtige Ausdauerqualität der Reifen nun auch im Rennsport in den Vordergrund rücken kann. Dazu spart die neue Regel auch noch Geld, doch dieser Effekt dürfte gemessen an der Höhe der LMP1-Etats eher überschaubar ausfallen.

Dafür sind die Konsequenzen auf der Rennstrecke vergleichsweise dramatisch, denn das Reifenschonen konterkariert den Speed. Porsche-Werksfahrer André Lotterer bringt das auf den Punkt: „Im ersten Schritt gibt man viel Geld aus, um ein extrem faszinierendes und schnelles Rennauto zu bauen, dann senkt man den Speed im zweiten Schritt wieder künstlich über die neuen Reifenregeln ab. Die meisten Fahrer finden das nicht sehr logisch.“ Dazu muss man wissen, dass die LMP1-Piloten die Box am liebsten nur mit frischen Reifen verlassen wollen, weil das Fahren mit maximalem Grip auch den meisten Spaß bereitet. Die Aufgabe, sich zurückzuhalten, um die Reifen zu schonen, widerspricht sozusagen den Instinkten der Piloten, nämlich immer das Maximale aus dem Auto herauszuholen.

Kreative Strategien durch neue Reifenregeln?

Porsche-Pilot Timo Bernhard glaubt dagegen, dass die Fans davon eher wenig mitbekommen werden und dass auch der Speedabfall marginal sein wird: „Der Doppelstint wird im Abstimmungsprozess eine andere Gewichtung bekommen, aber ich bin mir nicht sicher, ob der Einfluss überall gleich dramatisch sein wird. Bei Rennen, wo der Reifenverschleiß wegen der Strecke eine untergeordnete Rolle spielt, wird der Unterschied vermutlich gering ausfallen. Für uns Fahrer ist das eine neue Herausforderung, der man sich stellen muss.“

Auf Strecken, bei denen der Verschleiß normalerweise dramatisch hoch ausfällt, also besonders in Shanghai und in Bahrain, redet man aber zwangsläufig auch über die Sicherheit: „Auf diesen beiden Kursen wird das schon extrem knackig“, warnt auch Bernhard. Für Porsche-Teamkollege Nick Tandy stellt sich da die Sinnfrage: „Wenn ich mir einen LMP1-Prototyp ansehe, dann sind die Reifen vermutlich eher das günstigste Bauteil, gleichzeitig sind sie aber extrem wichtig, da sie den Kontakt zur Straße herstellen.“ Will sagen: Warum spart man am falschen Ende? Tandy kann der Sache aber etwas Positives abgewinnen: „Vielleicht sehen wir sehr kreative oder spannende Zwischenlösungen bei der Strategie, wie sechs Reifen für zwei Stints oder anderthalb Doppelstints – das könnte im Rennverlauf dann auch für positive Überraschungen sorgen.“