Mark Webber im Interview: "Respekt vor der Distanz"

Mark Webber im Interview
"Größter Respekt habe ich vor der Distanz"

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Was ist in diesem Jahr anders als 2014?

Webber: Ich bin dieses Mal viel einfacher in meinen Rhythmus gekommen. Weil ich die Strecke vom letzten Jahr schon kannte. Es ist eine lange Runde. Entsprechend viele kleine Tricks gibt es. Du kriegst vier Mal sechs Runden im Training. Das hört sich nach viel an. Ist es aber nicht. Weil du dich nie richtig auf die ganze Strecke konzentrieren kannst. Immer wieder triffst du auf langsame Autos, und du musst das, was du in einer speziellen Kurve lernen wolltest auf die nächste Runde verschieben. Ich weiß jetzt auch viel besser, wie ich diese lange Woche manage. Wann und wie ich mich ausruhen muss. Letztes Jahr dachte ich, es sei eine gute Idee im Motorhome an der Strecke zu übernachten. Dieses Jahr genieße ich den Komfort eines Hotels. Trotzdem bin ich im Vergleich zu vielen meiner Kollegen immer noch ein Neuling in Le Mans.

Wie meinen Sie das?

Webber: Timo Bernhard ist in seiner Karriere 24 Mal ein 24 Stunden-Rennen gefahren. Diese Jungs sind Super-Spezialisten für diese Art Rennen. Deshalb höre ich immer ganz genau zu, wenn sie etwas zu erzählen haben.

Was ist aus Fahrersicht der Unterschied zwischen einen 6-Stunderennen und einer 24-Stundenschlacht?

Webber: Die 6-Stunden-Rennen sind aggressiver. In Le Mans musst du ein bisschen auf das Auto aufpassen. Nicht zu viel, aber doch. Es gibt hier einige Kurven, die das Auto stark belasten. Da schaust du im Rennen, dass du so easy wie möglich durchkommst. Bei den kurzen Rennen ist die Qualifikation wichtig. Obwohl dann noch sechs Stunden Zeit sind. In Brasilien haben wir letztes Jahr drei Stunden lang von der ersten Startreihe gezehrt. Toyota und wir haben uns drei Stunden lang bekriegt. Da ist es schon ein Vorteil, wenn du vorne startest. In Le Mans sortiert sich das irgendwann aus, über die Strategie, Pannen oder den Rennspeed. In Le Mans musst du zuerst das Rennen selbst schlagen. Wenn Audi uns ab einem bestimmten Moment davonfährt, musst du dir gut überlegen, ob du auch das Tempo erhöhst. Es ist ein bisschen wie beim Radfahren. Manchmal entscheidet das Peleton, den Ausreißern hinterherzufahren, manchmal ist es aus taktischen Gründen besser, abzuwarten. Die Tour de France dauert drei Wochen und wird nicht an einem Tag entschieden. Le Mans ist das Äquivalent im Motorsport.

Aber ist Le Mans nicht auch schon ein Sprintrennen geworden?

Webber: Es ist ein Sprintrennen für das Team. Warum 5 oder 6 Sekunden bei einem Boxenstopp verlieren? Das musst du auf der Strecke wieder aufholen, was das Auto umso mehr stresst. Wenn die Logistik passt, die Abläufe funktionieren und die Fahrer keine Fehler machen, ist das eine gute Investition für die letzten Rennstunden. Wenn du am Ende des Rennens mit schnellen Runden auf Versäumnisse reagieren musst, dann hast du ein Problem.

Porsche hat das schnellste Auto auf eine Runde. Wie gut wart Ihr im Renntrim?

Webber: Es ist unglaublich eng. Was wir nicht wissen, wie es am Ende der Dreifachstints aussehen wird. Das kannst du aus den Trainings nicht herauslesen. Die können aber entscheidend sein. Wer länger mit einem Reifensatz fahren kann, hat einen Vorteil. Reifenwechsel dauern 25 Sekunden. Diese Extrazeit darfst du dir nicht zu oft einhandeln. Es kann uns vier oder fünf Mal über die Distanz passieren. Wir wissen, dass Audi mit einem Satz sehr lange fahren kann. Die weiteren Unbekannten sind das Wetter und die grüne Strecke. Der große Regen am Freitag hat den ganzen Grip wieder weggewaschen.

Dafür kann Porsche mit einer Tankfüllung länger fahren. Kompensiert das den Reifenvorteil von Audi?

Webber: Können Sie mir garantieren, dass wir länger fahren können?

Audi und Toyota sagen das.

Webber: Dann sind sie gut informiert. Vielleicht!

Wie gut sind Sie während des Rennens über den Stand informiert?

Webber: Ich weiß ungefähr wie es steht. Im Gegensatz zur Formel 1 siehst du nach einer gewissen Zeit deine LMP1-Gegner nur noch selten. Das ist emotional ein ganz anderes Rennen, als wenn dein Gegner vor deiner Nase fährt oder dich von hinten bedrängt. Wichtiger für Brendon, Timo und mich ist es aber zu wissen, in welchem Zustand sich das Auto befindet. Auf was müssen wir aufpassen? Bahnt sich irgendein Problem an? Du brauchst zwei Runden, um dich wieder ins Auto reinzufinden. Die Pausen dazwischen sind ja doch sehr lang. Entsprechend ändert sich das Auto. Dann musst du deinen Rhythmus finden und dich gut durch den Verkehr fädeln. Wir sind noch nie so schnell auf die langsamen Autos aufgelaufen wie in diesem Jahr. Doch die fahren auch ihr Rennen. Deshalb müssen wir auf sie aufpassen und nicht umgekehrt.

Ist das Überrunden in Le Mans einfacher als in Spa oder Silverstone?

Webber: Ja, es ist einfacher, weil die Strecke länger ist. Spa ist kritisch im letzten Sektor, weil es da ein paar Highspeed-Kurven gibt. Die können leicht zu Missverständnissen führen. Hier in Le Mans sind die Indianapolis-Kurven der unangenehmste Platz zum Überrunden. Dafür gibt es die Hunaudieres-Geraden. Du hoffst immer, dass du da gleich ein paar Autos auf einmal einsammelst. Insofern ist es vielleicht gut, dass Le Mans nächstes Jahr den LMP2-Autos 150 PS mehr gestatten will. Dann wären die Geschwindigkeitsunterschiede nicht mehr so groß.

Wie schätzen Sie Audi und Toyota ein?

Webber: Wir müssen uns zuerst auf uns selbst konzentrieren. Die erste Herausforderung ist es, das Rennen zu beenden. Toyota darf man nicht abschreiben. Sie könnten ohne Probleme durchfahren. So wie wir letztes Jahr. Wir hatten bis zur 20.Stunde keine Defekte, aber unser Auto hatte ein Problem, das Rennspeed gekostet hat. Obwohl wir langsam waren, sind wir in Führung gegangen. Das ist der Luxus von Le Mans. Teamwork, Boxenstopps, Zuverlässigkeit, wenig Fehlern von den Fahrern können dir das Rennen gewinnen. Es soll am Sonntag Regen kommen. Da kann alles passieren. Vergessen Sie die Prognosen. Wenn es hier regnet, gibt es 1000 Chancen Fehler zu machen.

Wovor haben Sie den meisten Respekt?

Webber: Vor der Distanz.

Macht es noch Sinn, bei drei Autos im Team, einen als Jäger loszuschicken, um die Konkurrenz herauszufordern?

Webber: Unsere Taktik wird für alle drei Autos sehr ähnlich sein. Die Strategie eines Jägers wurde bis jetzt noch kein einziges Mal diskutiert. Wir sind noch nicht erfahren genug, um uns auf eine so riskante Strategie einzulassen.

Wie schwierig ist es ein Setup zu finden, dass allen drei Fahrern einigermaßen passt?

Webber: Das gute an Langstreckenrennen ist, dass die Autos über einen so langen Zeitraum und so unterschiedliche Bedingungen funktionieren müssen, was uns das davon abhält, das Setup auf einen der drei Fahrer zuzuschneiden. Das wird nur für die Quali-Runden gemacht. Timo, Brendon und ich haben unsere Vorlieben im Auto. Das ist ein Geben und Nehmen. Es liegt an uns, diesen Kompromiss perfekt hinzukriegen. Deshalb ist es hier so wichtig, das anzusprechen, was man am Auto mag und nicht. Damit die Ingenieure die Möglichkeit haben, die größten Bremsen auszubauen. Es ist wichtig, dass alle drei Fahrer Vertrauen haben. Deshalb müssen alle großen Unsicherheiten in Bezug auf Traktionskontrolle, Powermanagement, Aero-Balance, Reifennutzung ausgebaut werden. Von den Fahrern wird heute eine große Vielseitigkeit verlangt. Deshalb hat Tom Kristensen neunfacher Le Mans-Sieger. Er war vielleicht nicht mehr der schnellste der Audi-Truppe, aber er kam mit allem am besten zurecht.

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